Eine Frau sitzt auf dem Bett und hält ihre Hand vors Gesicht © picture alliance / Zoonar | Channel Partners
Eine Frau sitzt auf dem Bett und hält ihre Hand vors Gesicht © picture alliance / Zoonar | Channel Partners
Eine Frau sitzt auf dem Bett und hält ihre Hand vors Gesicht © picture alliance / Zoonar | Channel Partners
AUDIO: Europäischer Depressionstag: Mehr Diagnosen, weniger Suizide (6 Min)

Europäischer Depressionstag: Mehr Diagnosen, weniger Suizide

Stand: 30.09.2024 14:34 Uhr

Seit 20 Jahren findet am ersten Sonntag im Oktober der Europäische Depressionstag statt. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, klärt im Gespräch über die Krankheit auf.

Herr Hegerl, seit 2004 gibt es den Europäischen Depressionstag. Was hat sich in den letzten 20 Jahren verändert, was die Wahrnehmung der Krankheit angeht?

Ulrich Hegerl © picture alliance/dpa Foto: Christophe Gateau
Prof. Ulrich Hegerl ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Ulrich Hegerl: Da hat sich einiges getan. Die Menschen wissen heute besser als früher, dass Depression eine richtige Erkrankung ist und nicht nur eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände. Dieses Wissen hat sich verbreitet. Die Ärzte sind auch besser geschult als früher, Depressionen zu erkennen. Das Stigma hat etwas abgenommen, sodass sich mehr Menschen Hilfe suchen. Deswegen ist auch die Zahl der Diagnosen in den meisten europäischen Ländern nach oben gegangen, auch sehr deutlich in Deutschland. Es werden viel mehr Menschen mit dieser Erkrankung diagnostiziert, aber wir haben nicht unbedingt mehr Erkrankte, sondern mehr Menschen suchen sich Hilfe, bekommen eine Diagnose und eine Behandlung. Das ist mit ein Grund, dass wir in den letzten 40 Jahren einen deutlichen Rückgang der Suizide haben. Das ist die naheliegendste Erklärung, warum die jährlichen Suizidzahlen von etwa 18.000 vor 40 Jahren, auf etwas mehr als 10.000 zurückgegangen sind.

Woran erkennt man selbst, dass man von einer Depression betroffen ist, und das es sich nicht um eine Verstimmung, einen schlechten Tag oder Lebensumstände handelt?

Depression: Hilfe für Betroffene

Info-Telefon Depression
0800 / 33 44 533
Mo, Di, Do: 13.00 - 17.00 Uhr
Mi, Fr: 08.30 - 12.30 Uhr

Info-Mail Depression
Schreiben Sie eine E-Mail an die Deutsche Depressionshilfe

Hegerl: Man hat das Gefühl, dass man innerlich dauerangespannt ist, als ob man permanent vor einer Prüfung wäre. Man ist erschöpft, aber nicht im eigentlichen Sinne schläfrig. Man kann nicht gut einschlafen, man kann in der Nacht nicht gut durchschlafen, sondern es ist eher eine innere Daueranspannung. Viele Menschen neigen zu Schuldgefühlen; sie beschweren sich nicht über den Arbeitgeber oder die undankbaren Kinder, sondern sie geben sich selbst die Schuld: Ich bin eine schlechte Mutter, ich bin ein schlechter Kollege, ich mache alles falsch. Hinzu kommt, dass nichts mehr Freude macht; man ist unfähig, Freude zu empfinden. Der Appetit lässt nach, und viele Menschen verlieren Gewicht in der Depression, weil einfach nichts mehr schmeckt. Hoffnungslosigkeit ist eingebaut in einer Depression: Man hat das Gefühl, dass das eine Sackgasse ist, aus der man nie wieder rauskommt. Das ist mit einem Grund, warum viele Menschen in der Depression Suizidgedanken entwickeln, das Gefühl haben, der einzige Ausweg aus dieser schrecklichen Sackgasse, aus diesem unerträglichen Zustand, sei, sich das Leben zu nehmen - der dunkle Begleiter der Depression ist Suizidgefährdung. Es gibt weitere Krankheitszeichen, und mindestens vier, fünf, sechs Krankheitszeichen müssen mindestens über zwei Wochen permanent vorliegen - erst dann spricht man von einer depressiven Erkrankung.

Weitere Informationen
Eine Frau sitzt hält sich die Hände vor das Gesicht. © picture alliance / photothek Foto: Thomas Trutschel

Depressionen erkennen und rechtzeitig behandeln

Depressionen sind weit verbreitet, die Symptome nicht immer eindeutig. Doch die Behandlung sollte möglichst früh beginnen. mehr

Das heißt, wenn man Hilfe sucht - und man sollte sich Hilfe suchen -, dann findet man die auch relativ schnell, weil die Ärztinnen und Ärzte inzwischen ein bisschen besser Bescheid wissen, oder?

Hegerl: Es gibt drei Anlaufstellen, wenn man den Verdacht hat, eine Depression zu haben. Das eine sind die Fachärzte, also Psychiater. Dann haben wir in Deutschland die Gruppe der Psychologischen Psychotherapeuten - das sind Psychologen, die auch in der Psychiatrie gearbeitet haben und die eine gute Ausbildung in Psychotherapie haben und die auch über die Kasse abrechnen können, wenn sie einen Kassensitz haben. Und dann sind auch die Hausärzte zuständig. Die beiden Behandlungssäulen sind Antidepressiva und Psychotherapie. In der Psychotherapie ist vor allem die kognitive Verhaltenstherapie das Verfahren mit den allerbesten Wirksamkeitsbelegen. Da geht es um Tagesstrukturierung, um Unterbrechung von negativen Gedankenkreisen, um Schutz vor Selbstüberforderung. Das Ganze ist also sehr praxis- und lebensnah.

Weitere Informationen
Harald Schmidt und Prof. Ulrich Hegerl © NDR Foto: Foto Harald Schmidt: Marcus Simaitis / Foto Prof. Ulrich Hegerl: Martin Jehnichen

Raus aus der Depression

Über Depressionen reden hilft, die Krankheit besser zu verstehen - mit Betroffenen, Angehörigen und Experten, wie in diesem Podcast. mehr

Und wenn ich das Gefühl habe, jemand in meinem Umfeld könnte an einer Depression erkrankt sein, wie gehe ich damit um?

Hegerl: Das Wichtigste ist, ihn zu motivieren, sich Hilfe zu holen. Man kann als Angehöriger nicht selber als Therapeut fungieren. Man ist auch nicht schuld als Angehöriger, selbst wenn es einen bitteren Streit gegeben hat - Schuld ist diese dumme Erkrankung Depression. Man muss wissen, dass man in eine Depression nur reinrutscht, wenn man eine Veranlagung dazu hat. Menschen, die die Veranlagung haben, die rutschen immer wieder rein, selbst wenn ihnen das Leben ansonsten sehr freundlich gesinnt ist, sie eine nette Familie haben und einen guten Beruf. Wenn sie die Veranlagung haben, rutschen sie meistens mehrfach im Leben in eine Depression rein. Menschen ohne diese Veranlagung haben oft die größten Bitternis - bekommen davon aber keine depressive Erkrankung. Das ist wichtig zu verstehen, dass eine Depression etwas anderes ist als eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände. Hat man die Veranlagung, können dann äußere Faktoren als Auslöser, als Trigger wirken. Aber entscheidend ist die Veranlagung.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

Weitere Informationen
Eine auf Stein gemalte Sonne bahnt sich ihren Weg durch die Wolken. © samuelschalch / photocase.de Foto: samuelschalch

Diese 8 Tipps helfen gegen den Herbstblues

Grau, kalt, nass: Die dunkle Zeit des Jahres ist wieder da - und damit bei vielen der Herbstblues. Wir verraten euch, wie ihr euch gegen das Stimmungstief wehren könnt. mehr

Burnout: Eine junge Frau sitzt verzweifelt vor einem Laptop und stützt den Kopf in die Hand. © IMAGO/ imageBROKER Foto: Paul Hartl

Burnout - Symptome, Phasen und Behandlung

Starke Erschöpfung, geringes Selbstwertgefühl und Antriebslosigkeit sind Symptome von Burnout. Welche Behandlung hilft? mehr

Ein Kind hält einen Teddybären im Arm. © picture alliance/photothek Foto: Thomas Trutschel

Kongress für Kinder- und Jugendpsychiatrie: Kliniken überlastet

Beim Bundeskongress in Rostock suchen rund 2.000 Experten aus ganz Europa nach Lösungen - zum Beispiel mehr Prävention. mehr

Eine Mutter sitzt erschöpft auf einer Treppe, während die Kinder sich um einen Teddybär streiten. © picture alliance / ZB | Patrick Pleul

Corona-Burnout: So bewältigen Mütter Stress und Depressionen

Mütter haben laut einer Studie in der Pandemie mehr zusätzliche Arbeit geleistet als die Väter. Viele leiden unter Depressionen als Folge der Pandemie. mehr

Eine Frau sprüht sich Nasenspray in die Nase. © IMAGO / Dreamstime Foto: IMAGO / Dreamstime

Ketamintherapie gegen schwere Depressionen

Ketamin, ein Narkosemedikament, verursacht Rauschzustände, die Depressionen lindern. Auch LSD und Psilocybin werden erforscht. mehr

Eine bedrückte Frau telefoniert. © picture-alliance/ZB Foto: Marion Gröning

Suizidgedanken? Es gibt Auswege!

Auch in scheinbar ausweglosen Situationen gibt es Menschen, die Ihnen helfen können. Hier gibt es Links und Telefonnummern. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 01.10.2024 | 08:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Psychische Erkrankungen

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Szene aus dem Film "Element of Crime - Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin" © Superfilm / Noel Richter

Element of Crime: Charly Hübners Musik-Doku nur heute im Kino

Der Regisseur hat die Berliner Musiker auf ihrer Mini-Tournee in der Hauptstadt begleitet - ein Muss für Element of Crime-Fans. mehr