Auf der Elbe zu Hause: "Wilhelmine von Stade"
Anfang des 20. Jahrhunderts transportiert die "Wilhelmine" als Frachtsegler Backsteine, später wird der Ewer zum Motorschiff umgebaut. Heute halten Schülerinnen und Schüler die "Wilhelmine" instand.
6.600 Mark zahlt der Schiffer Hermann Haak im Jahr 1912 für den sogenannten Ewer, einen flachbodigen Frachtsegler. Er tauft den Zweimaster auf den Namen seiner Frau Wilhelmine. Lastensegler sind zu dieser Zeit keine Seltenheit: Rund 2.000 Ewer sind um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf der Elbe unterwegs, noch bis 1930 bauen die Werften der Elbregion viele dieser Schiffe. Zunehmend verwenden sie dabei wie bei der "Wilhelmine" für den Schiffsrumpf Stahl statt Holz.
Ziegelsteinladungen für das Chilehaus in Hamburg
Die "Wilhelmine" ist ein besonders stabil gebautes Schiff: Die Spanten im Rumpf wurden enger gesetzt, damit sie auch Ladungen mit Ziegelsteinen transportieren kann - rund um Stade gibt es etwa 300 Ziegeleien. So fährt die "Wilhelmine" unter anderem Steine, die später in dem weltbekannten Hamburger Chilehaus verbaut werden. Der Ewer ist hauptsächlich auf der Unterelbe und ihren Nebenflüssen bis hin zum Wattenmeer unterwegs. Später fährt er über Kanäle auch Ziele im Ruhrgebiet oder Groningen in den Niederlanden an.
"Wilhelmine" wird vom Segel- zum Motorschiff umgebaut
1928 wird die "Wilhelmine" zum Motorschiff umgebaut. Segel, Masten und Seitenschwerter werden abgenommen. Weitere Umbauten folgen Ende der 40er-Jahre und in den 50er-Jahren, damit die "Wilhelmine" konkurrenzfähig zu moderneren Binnenschiffen bleibt.
Doch 1976 ist Schluss: Klaus Haak, Sohn des Ehepaares Wilhelmine und Hermann Haak, verkauft das Schiff aus gesundheitlichen Gründen an einen Unternehmer aus Wischhafen. Der entscheidet sich, das Schiff nicht - wie zunächst geplant - zu verschrotten, sondern es zu einem Fahrgast-Ewer umzubauen. Doch er bringt das Projekt nicht zu Ende. Eine Jugendgruppe, die das Schiff daraufhin restaurieren will, scheitert ebenfalls. Über die Jahre verfällt der Ewer, der mittlerweile den Namen "Passat" trägt, immer weiter.
Stader Schüler restaurieren das Traditionsschiff
1981 wird man in Stade auf den alten Elbewer aufmerksam, der in Wischhafen liegt. Auf Anregung des Schulrektors und früheren Kapitäns Joachim Fielitz sucht die Stadt schon länger nach einem Traditionsschiff, das das einstige Stadtbild der alten Hafenstadt mit seinen Großseglern wieder lebendig werden lässt. Für eine symbolische D-Mark wechselt die "Passat"/"Wilhelmine" den Besitzer und wird nach Stade gebracht. Jetzt sind die Stader Schüler am Zug: Sie klopfen und hämmern, entrümpeln und säubern. Neben der finanziellen Hilfe der Stadt unterstützen auch Lehrer, Eltern, Privatleute und regionale Unternehmen die aufwendigen Restaurierungsarbeiten mit Geld, Material und Kenntnissen. Im März 1984 werden die Masten und die Seitenschwerter gesetzt. Kurz darauf geht der Segler erstmals wieder auf Fahrt - mit den glücklichen und stolzen Schülern an Bord.
Ein Schiff für Schüler und zahlende Gäste
Bis heute ist die "Wilhelmine von Stade" ein Schiff der Schüler geblieben und dient vor allem der Jugendarbeit, die ein gemeinnützigen Verein organisiert. Schüler ab elf Jahren dürfen mitsegeln, halten den Traditionssegler aber auch instand. Einmal wöchentlich ist Arbeitstag auf dem Schiff, im Sommer geht es auf Regatten und Traditionsseglertreffs sowie für drei Wochen auf großen Törn über die Nord- und Ostsee. Wer als Gast einmal Seeluft auf der "Wilhelmine" schnuppern möchte, kann an einer der Gästefahrten teilnehmen. Die Crew besteht bei diesen Törns immer auch aus Jugendlichen.