Der hundertjährige Traum vom Alster-Tunnel
Für Friedrich Wilhelm Roesing ist es eine Herzensangelegenheit. 1862 stellt der Hamburger Wasserbau-Architekt seinen verwegenen Plan vor: Ein Alster-Tunnel soll den Stadtteil Harvestehude am Westufer mit dem Ostufer in Uhlenhorst verbinden. Dort entsteht gerade ein neues Wohnquartier. Damals gibt es drei Pläne für eine Brücke über die Außenalster. Roesing schildert in seinem 1863 gedruckten Buch über den Alster-Tunnel, dass zu dieser Zeit ein "jahrelanger Zeitungskrieg für oder gegen den einen oder anderen Vorschlag" tobt. Die Stadt lehnt die Pläne allesamt ab. Auch für Roesing ist klar: Eine Brücke über die Alster wäre die falsche Lösung. Dann ginge eine der "lieblichsten Fernsichten verloren". Er wirbt für seinen Tunnel, der "das so schöne Alster-Panorama in keiner Weise stört".
Für Kutschen und Fußgänger gleichermaßen
Roesings ungewöhnliche Idee: Der Tunnel soll die Alster nicht in voller Breite unterqueren. Vielmehr sollen die Menschen vom Ufer aus über eine künstlich angelegte Halbinsel zum Tunneleingang gelangen. Der Weg unter dem Wasser hindurch wäre dann nur 63 Meter lang. Für die Querung hat sich Roesing eine schmale Stelle des Sees ausgesucht: Der Tunnel soll von der Alsterchaussee im Westen - am heutigen Anleger "Fährdamm" - hinüber zur Karlstraße führen. Für jede Richtung soll es eine Fahrbahn für Pferdefuhrwerke geben, getrennt durch eine Arkade. Für Spaziergänger ist auf beiden Seiten ein "Trottoir" vorgesehen. Nötig sei der Tunnel, weil es viele Beschwerden über die bestehende Fähre gebe. Sie komme nur "im Schneckengang" voran und sei für den Verkehr wenig geeignet, findet Roesing.
Die Menschen kannten damals keine Tunnel
Aber die Hamburger sind skeptisch. Roesing berichtet zwar, er habe "großen Anklang" mit seinen Tunnel-Plänen gefunden, aber viele hätten auch ihre Furcht geäußert, unter dem Wasser hergehen zu müssen. Die Hamburger sind Anfang der 1860er-Jahre noch nie in ihrem Leben durch einen Tunnel gelaufen. Für die Hansestadt wäre es der erste Verkehrstunnel überhaupt gewesen. Und einen Unterwasser-Tunnel hat es damals auf dem ganzen europäischen Festland nicht gegeben. So zeigen sich auch viele Hamburger skeptisch, ob man einen Alstertunnel bauen könne.
Roesing ist aber überzeugt von seinem Vorhaben. Er fertigt schließlich ein Modell im Format 1:150 an und stellt es in der Börse, auf der Kunst- und auf der Gewerbeaustellung, aus. Er plant sogar, das Profil des Tunnels in "Naturgröße" aufzustellen, um zu zeigen, dass auch große Fuhrwerke kein Problem bei der Durchfahrt hätten. Aber dieses Modell in Original-Größe wird wohl nie gebaut.
Roesing verspricht Touristen-Attraktion
Aus der Bevölkerung kommen immer neue Bedenken: Wird der Wind im Tunnel nicht zu stark sein? Und was ist mit der Beleuchtung? Wird die Alster durch die künstlich aufgeschütteten Inseln verschlammen? Und was wird aus den beliebten Alsterdampfern, die seit 1859 im Linienverkehr über den See schippern? Roesing beruhigt die Hamburger in allen Punkten. Auch die Schifffahrt werde nicht gestört. Der Tunnel werde vielmehr der Alster "zur schönsten Zierde gereichen". Die beiden künstlichen Inseln sollen "auf's Beste mit Gartenanlagen geschmückt" sein, auch Springbrunnen sind vorgesehen. Die Inseln würden das gewohnte Panorama nicht stören, weil sie unter dem Wasserspiegel liegen und "erst gesehen werden, wenn man dicht davor ist". Das Tunnel-Bauwerk werde sich in der großen Alster verhalten "wie zwei Erbsen in einer Suppenschüssel".
Roesing ist sich sicher, dass sein Alster-Tunnel schon bald die größte Attraktion der Stadt wäre. "Würde nicht ein jeder zu seinen aus der Ferne kommenden Gästen sagen: Wir müssen vor Allem erst nach dem Alster-Tunnel gehen."
"Der Tunnel wäre eine Sensation gewesen"
Für den Hamburger Tunnelbau-Experten Sven Bardua steht fest: Der Tunnel wäre in der Tat für die damaligen Menschen "unglaublich aufregend" gewesen. Eine echte Sensation. "Die Idee, einen Tunnel statt einer Brücke zu bauen, war für die Zeit außergewöhnlich", meint Bardua im Gespräch mit NDR.de. Er ist auch überzeugt, dass Roesing sein Projekt hätte fertigstellen können: "Der Tunnelbau wäre nicht einfach gewesen, aber sie hätten es bestimmt geschafft." Schließlich habe man auch schon Erfahrung im Sielbau unter der Alster gehabt. Mit Holzwänden hätte man die Alster von der offenen Baugrube abgeschottet, in der die Arbeiter das Mauerwerk errichtet hätten. Mit Pumpen wäre es auch ein Leichtes gewesen, das einsickernde Wasser herauszupumpen. "Wasserbautechnisch ist die Alster ja eine Pfütze", sagt Bardua.
Karte: Der geplante Alstertunnel von 1862/63
- Teil 1: Für Kutschen und Fußgänger gleichermaßen
- Teil 2: Einen Alstertunnel für die U-Bahn?