Wedel: Von Bier, Ochsen, Kultur und frischem Wind
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute, möglichst aufgenommen von derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". Hier dokumentieren wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland. Ein interaktiver Foto-Vergleich veranschaulicht die Veränderungen auf besondere Weise.
von Robert Tschuschke
"Von den historischen Gebäuden hat Wedel nicht mehr viele", sagt Museumspädagogin Ulrike Mayer-Küster. Autos und Lastwagen donnern an ihr vorbei. Jedes vorbeifahrende Fahrzeug lässt ihre dunklen langen Haare nach hinten wehen. Die Bundesstraße 431 ist in Wedel besonders eng und kurvig. Sie teilt die Stadt in zwei Hälften und ist politisch seit Jahrzehnten umstritten. "Wedel hatte mal einen ganz zauberhaften Charme. Es ist einfach sehr viel Bausubstanz weggekommen im Zweiten Weltkrieg - und auch leider danach. Es war eine bäuerlich geprägte Stadt. Aber das ist fast alles weg", sagt Mayer-Küster. Sie erzählt, dass auch die ganzen Viehweiden in der Umgebung weggekommen sind. "Die letzten Gehöfte, die an den Ausfallstraßen Wedels standen, weichen nun neuer Wohnbebauung. Das ist verständlich, aber eben auch ein bisschen schade."
1950 trieben die Bauern ihre gekauften Ochsen über den Jahrmarkt. Heute führt dort die Bundesstraße 431 am Geburtshaus (Mitte) des Künstlers Ernst Barlach vorbei. Es dient seit 1987 als Museum und ist nach ihm benannt. (Mit dem Schieberegler auf diesem und den weiteren Bildern können Sie das Wedel von früher und heute vergleichen. Verschieben Sie den Regler einfach mit der Maus oder dem Finger auf Smartphone und Tablet.)
Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen
Rund zwei Drittel aller Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Mehr als 8.000 Menschen wohnten hier an der Wedeler Au. Heute sind es fast 34.000. Neue Wohnhäuser entstanden auf den vorher landwirtschaftlich genutzten Flächen. Ulrike Mayer-Küster ist in den 60er- und 70er-Jahren in Wedel aufgewachsen. Sie findet es "fürchterlich", dass man bei Neuem vergisst, was war vorher war. Sie deutet auf einen Betonklotz mit Flachdach: "Wedel war eine lange Zeit berühmt-berüchtigt für die Zahl seiner Gaststätten. An das historische Brauhaus, das hier stand, erinnert rein gar nichts. Es ist gesichtslos geworden."
Bier und Ochsen haben Wedel bekannt gemacht
Die vielen Brauereien, Krüge und Gaststätten entstanden in einer Zeit, in der der bekannte Ochsenweg von Jütland nach Wedel führte. Dort auf dem Marktplatz wurden Ende des 16. Jahrhunderts bis zu 30.000 Ochsen verkauft. Mensch und Tier mussten versorgt werden. "Dann ging es mit dem Fährprahm über die Elbe nach Brabant und Köln weiter. Das war sozusagen eine europäische Handelsroute", sagt Wedels Stadtarchivarin Anke Rannegger. Der Fährprahm war ein Transportschiff speziell für Ochsen und Pferde. "Das Heu für die Versorgung der Tiere wurde hier in Wedel angebaut und teuer verkauft. Die Leute mussten mit Wedeler Bier versorgt werden, das auch einen guten Ruf bis Hamburg hatte", erklärt Rannegger.
Der verrückte Roland
Die wirtschaftliche Bedeutung Wedels im ausgehenden Mittelalter und der Frühen Neuzeit bezeugt auch die Statue des Ritters Roland von 1558. Er gilt als Symbol der Marktgerechtigkeit. Was auf dem Ochsenmarkt per Handschlag abgemacht war, galt. Jahrhunderte später, um 1950, wurde der Roland verrückt - im wahrsten Sinne des Wortes. "Weil er für den Verkehr im Wege stand", sagt Anke Rannegger. "Er war im Zweiten Weltkrieg völlig unzerstört geblieben. Jetzt hat man ihn in eine Ecke gestellt, auf ein Gelände, wo früher ein Hof stand."
Der Marktplatz wanderte mit dem Roland mit. Ulrike Mayer-Küster erinnert sich noch an den Ochsenmarkt in den 70ern: "Das waren richtig große Veranstaltungen. In der Austraße waren die Rinder in einer langen Reihe am Zaun angebunden. Da muss noch ein alter Bauernhof gestanden haben. Irgendwann wurde das dann auf den Festplatz in Wedel verlegt, ein gutes Stück runter Richtung Elbe und nicht mehr in Marktnähe."
Die Lithographie von Peter Suhr zeigt den Wedeler Marktplatz mit dem Roland um 1837. Viele Häuser wurden im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe zerstört. Der Roland musste wegen des verstärkten Autoverkehrs in dern 1950er-Jahren ein paar Meter in Richtung Kirche umziehen.
Kultur und frischer Wind
Geblieben ist der charmante Ortskern mit der Immanuelkirche am Roland und dem Geburtshaus des Künstlers Ernst Barlach. Einen Steinwurf die B431 hinauf steht auch noch das alte Reepschlägerhaus von 1758. Das Handwerkerhaus für Seiler, die Großsegler herstellten, war bis 1964 im Betrieb. Danach verfiel es, bis sich eine Bürgerinitiative um das alte Fachwerkhaus kümmerte. "Es war dann der In-Treffpunkt für junge Leute. Das Haus machte immer um 22 Uhr zu und diente immer als Startrampe, um weiter auf Piste zu gehen", erinnert sich Ulrike Mayer-Küster.
1935 fuhren Pferdewagen und Fahrräder entspannt auf der Austraße zwischen dem Wedeler Hafen und dem Marktplatz. In der Hochphase des Wedeler Ochsenmarktes in der Frühen Neuzeit brachten Händler und Bauern auf diesem Weg ihre Ochsen zum Hafen, um sie dort mit der Fähre über die Elbe zu bringen.
Mühle erstmals im 14. Jahrhundert erwähnt
Heute ist das Reepschlägerhaus eine Teestube mit Garten, Konzerten und Lesungen. "Besonders hübsch und malerisch ist auch der Mühlenteich mit seinen Trauerweiden. Hier ist die Wedeler Au, die zur Elbe führt, aufgestaut." Die Mühle, erstmals im 14. Jahrhundert erwähnt, wurde in den 1950er-Jahren stillgelegt. Heute ist dort ein Restaurant. Dahinter fließt die Wedeler Au hin zu einem Sperrwerk und dem kleinen Wedeler Hafen. Statt flacher Fähren für Ochsen liegt heute das Theaterschiff Batavia vor Anker. Eines hat sich hier eher wenig verändert: der Blick über die Wedeler Marsch in Richtung Elbe und der frische Wind.