Schleswigs Entwicklung: Ein Puzzle mit drei Teilen
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.
Wer heute nach Schleswigs Zentrum sucht, landet vermutlich inmitten der Fußgängerzone. Viele Geschäfte haben sich dort angesiedelt. Im Winter ist der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Zum großen Parkhaus sind es nur ein paar Schritte. In der rund 1.000-jährigen Geschichte Schleswigs taucht dieser Ort aber sehr spät auf. Ursprünglich standen dort nur einzelne Häuser, umgeben von Wiesen. Erst im 19. Jahrhundert siedelten sich im Stadtweg vermehrt Geschäfte an. Der Capitolplatz wurde zum neuen Zentrum.
Schleswigs Entwicklung am Stadtweg: 1908 waren hier schon die besten Adressen zum Einkaufen. Bis heute ist der Capitolplatz das Zentrum geblieben. (Mit dem Schieberegler auf diesem und den weiteren Bildern können Sie das Schleswig von früher und heute vergleichen. Verschieben Sie den Regler einfach mit der Maus oder dem Finger auf Smartphone und Tablet.)
Im oberen Stadtweg befand sich einst das kaiserliche Postamt. Wo auf dem alten Bild noch Hecken wachsen, waren später das Kaufhaus Grimme, dann Karstadt und das Hertie-Gebäude, das inzwischen abgerissen ist, zu Hause.
Seit 1711 ist Schleswig die "kombinierte Stadt"
Bis der Capitolplatz zum Zentrum wurde, war es allerdings ein langer Weg. Schleswig wurde erst 1711 offiziell zur "kombinierten Stadt" aus drei Einzelteilen. Wer damals von Süden über die Schlei guckte, sah links das dörfliche Friedrichsberg mit Schloss Gottorf, nur locker verbunden mit dem Lollfuß im heutigen Zentrum, und rechts die Altstadt mit dem Dom.
Sammler Hansen: "Es kam nur Ackerland"
Man könne die Entwicklung "sehr schön an der Schubystraße festmachen", erläutert Sönke Hansen, der privat alte Stadtansichten sammelt und ähnlich wie der Sammler Gerd Tams über einen großen Fundus verfügt. "Es gab etwa in der Mitte ein einzelnes Haus, das war eine Gaststätte. Dann kam nur Ackerland", erklärt Hansen. Die Straße habe weiter Richtung Gottorf geführt, zu den sogenannten Hühnerhäusern. "Das war die Versorgungsecke vom Schloss", sagt Hansen, "und dazwischen war gar nichts." Heute gehen die Stadtteile nahtlos ineinander über.
Das erste Puzzleteil: Die heutige Altstadt
Und so begann die Entwicklung: Als im Jahr 1066 gegenüber von Schleswig die Wikingerstadt Haithabu endgültig zerstört wurde, standen wohl schon ein paar Hütten am nördlichen Schleiufer. Auch die Anfänge der Fischersiedlung Holm, damals noch auf einer Insel, fallen ins Mittelalter.
Am Schleswiger Holm wird seit jeher gefischt. Das war um 1935 so - und das ist heute immer noch so.
Zentrum des Holms war schon auf der Aufnahme, die von 1933 oder etwas später datiert, die kleine Kapelle mit dem Friedhof.
Mit dem Bau des Doms entwickelte sich Schleswig dann zum neuen Zentrum der Region. 1134 wurde er erstmalig erwähnt. Ursprünglich stand ganz in der Nähe noch eine zweite Kirche: Sie gehörte zum 1234 gegründeten Graukloster, das nach der Reformation zum Armenstift wurde.
Der Schleswiger Dom, der aktuell saniert wird, wurde 1134 erstmals erwähnt. Auf dem alten Bild ist das alte Hafenamt im Jahr 1909 zu sehen. Vom Hafen aus lohnt sich heute ein Bummel durch die kleinen Altstadtgassen.
Ursprünglich stand ganz in der Nähe des Doms noch eine zweite Kirche: Sie gehörte zum 1234 gegründeten Graukloster (auf dem alten Bild im Jahr 1908), das nach der Reformation zum Armenstift wurde. Auf den Grundmauern dieser Kirche entstand 1795 das heutige Rathaus. Im angrenzenden Klostergebäude sind jetzt Teile von Schleswigs Stadtverwaltung untergebracht.
Das Rathaus rund um das Jahr 1900 und heute: Auch in den Gassen rund um das Rathaus bekommt man ein Gefühl für Schleswigs Geschichte.
Residenzstadt der Gottorfer Herzöge
Zwei Kilometer vom Dom entfernt liegt Schloss Gottorf. 1544 wurde Schleswig Residenzstadt der Gottorfer Herzöge und damit politisches und kulturelles Zentrum des Fürstentums Schleswig-Holstein-Gottorf. Das Barockschloss Gottorf beherbergt heute die Landesmuseen.
Schloss Gottorf war zu preußischer Zeit Lazarett und Kaserne. Heute beherbergt es die Landesmuseen.
Das zweite Puzzleteil: Friedrichsberg - der Stadtteil für Hofpersonal und Adelige
Wo heute der Wikingerturm das westliche Schleiende markiert, wuchs allmählich der Ort Friedrichsberg heran. Hier entstanden Stallungen und Gärten im Umfeld des Schlosses. In den Häusern wohnten Personal und Adelige. Rund um die 1650 gebaute Kirche bildeten sich dörfliche Strukturen. Im 19. Jahrhundert kamen der Bahnhof und das preußische Regierungsgebäude hinzu, wegen seiner massiven Architektur "Roter Elefant" genannt. Heute ist das Haus Sitz des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes.
Die Friedrichstraße führte schon rund ums Jahr 1900 von Schloss Gottorf in Richtung Bahnhof. Einige Bereiche des Stadtteils gelten inzwischen als sozial schwach.
Noch immer finden sich imposante Villen im Kern des Stadtteils. Das Landesarchiv und das Stadtmuseum residieren in alten Prachtbauten. Noch in den 1930er-Jahren befand sich in der Friedrichstraße "in jedem Haus ein Handwerker, ein Unternehmer. Das muss eine wirtschaftlich bedeutende Straße gewesen sein", meint Sönke Hansen, der ein Adressbuch aus dieser Zeit studiert hat. Hinzugekommen ist über die Jahrzehnte allerdings viel einfache Bebauung. Einige Bereiche des Stadtteils gelten inzwischen als sozial schwach.
Vom ehemaligen Aussichtsturm auf dem Erdbeerberg blickte man vor 100 Jahren noch über Felder. Im Hintergrund Schloss Gottorf und das Regierungsgebäude, heute Oberlandesgericht. Das aktuelle Foto ist von der dänischen Gottorpskole aus aufgenommen.
Das dritte Puzzleteil: Lollfuß und Stadtweg - das neue Zentrum
Schließlich entwickelte sich auch der Bereich zwischen Schloss Gottorf und dem Dom. Zwischen den Stallungen des Schlosses auf dem Hesterberg und der ehemaligen Michaeliskirche siedelten sich Geschäfte an. "Da wundert man sich, wie viele Höker es gab," sagt Sönke Hansen. Eine Kuriosität ist ihm bei seinen Recherchen aufgefallen: "Schleswig hatte unheimlich viele Hobby-Bierbrauer."
Inzwischen sind viele weitere Stadtteile entstanden. Schleswig hat sich vor allem nach Norden ausgedehnt. Ein großes Projekt ist die "Freiheit" in bester Lage an der Schlei, wo bis 2005 noch Kasernen standen. Auf der planierten Fläche sind bereits die ersten Neubauten zu sehen.
Permanent im Wandel ist die Schleswiger "Freiheit": Badestelle, Truppenübungsplatz, nach 1935 Kasernenbau für das Seefliegerhorst, anschließend Bundeswehrgelände. Im Hintergrund auf dem aktuellen Bild: Die neu gebaute A.P. Møller-Skole der dänischen Minderheit.