Wie eine Straße Quickborn prägte und zerschnitt
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.
von Corinna Below
Ein Sonntagmorgen an der Kieler Straße in Quickborn im Kreis Pinneberg. Kaum Verkehr. Eine Seltenheit. "So wie jetzt war es, als ich hierher gezogen bin, 1943. Da war ich fünf Jahre alt. Kaum Autos. Wir konnten damals auf der Straße spielen", erzählt Bodo Schmidt. Er ist ein Quickborner Urgestein, leidenschaftlicher Ahnenforscher und Mitglied in der Geschichtswerkstatt der Volkshochschule der Stadt. Treibball hätten sie damals gespielt, erinnert er sich: "Das spielt man mit einem tennisballgroßen Ball. Den musste die Gegenmannschaft fangen und je nachdem, wo der gelandet ist, konnte man als Mannschaft vorrücken."
Kindheit auf der Kieler Straße. Und doch hat Schmidt wenig dort gehalten. Er ist inzwischen längst weggezogen.
Im Vordergrund links das Haus Kobus, etwa 1929, ein Herrenausstatter. 1912 hatte es der Textilhändler Waldemar Kobus bauen lassen. Jeder hat dort eingekauft, Konfirmations- und Hochzeitsanzüge. Damals kam niemand auf die Idee nach Hamburg zu fahren, um Kleidung zu kaufen. Die Geschäftsleute von Quickborn wussten, von wem sie leben. Wo man kaufte, wurde man persönlich begrüßt. Der Ort war klein, jeder kannte jeden. Heute befindet sich in dem Haus die Volksbank. Die Kieler Straße ist deutlich gewachsen. (Mit dem Schieberegler auf diesem und den weiteren Bildern können Sie das Quickborn von früher und heute vergleichen. Verschieben Sie den Regler einfach mit der Maus oder dem Finger auf Smartphone und Tablet.)
Irgendwann kam das Grundrauschen von Autos und Lkw
Zwei Jahrzehnte hat Schmidt an der Kieler Straße gelebt. Sie wurde mehr und mehr zur Verkehrsader. Irgendwann stellte sich dieses monotone Grundrauschen durch die vielen Autos und Lkw ein, das die Anwohner bis heute begleitet. Als Bodo Schmidt mit seinen Freunden noch Treibball auf der Straße spielte, war das anders. Die Kieler Straße war mit Kleinpflaster gepflastert, teilweise Basalt, teilweise Granit. "Wenn es regnete, dann schlitterten die Autos und lagen quer", sagt Schmidt. Er lacht dabei.
Noch gibt es mehr Radfahrer als Autos zu sehen: Die Postkarte von 1950 zeigt den wirtschaftlichen Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg an der Kieler Straße. Im Quickborner Möbelhaus Hans Iden hat Bodo Schmidt kurz nach seiner Lehre zum Tischler gearbeitet. Mit Auto und Anhänger hat er Möbel beim Kunden ausgeliefert. Dort wo das Möbelhaus stand, wird heute eine Spielhalle betrieben.
Der Bau der königlichen Chaussee 1832 verändert Quickborn
Die Autofahrer werden diesen Zustand wohl weniger witzig gefunden haben. Und doch war das Pflaster etwas, von dem man 1832 nur hatte träumen können. Damals ließ der dänische König, Herrscher bis an die Grenze Hamburgs, die Chaussee Altona-Kiel bauen, um schneller von A nach B zu kommen.
Zunächst war sie nur leicht befestigt für Pferdekutschen, Flaneure, spielende Kinder und Radfahrer. Schon damals zog der Bau der Straße den ersten wirtschaftlichen Aufschwung Quickborns nach sich. Mehr und mehr Geschäftsleute siedelten sich an.
Auch der Buchdrucker Christian Friedrich "Fritz" Dannenmann siedelte sich in der Kieler Straße an. Später wurde er erster Vertreter einer Zeitung (Quickborner Tageblatt 1903 und Quickborn-Hasloher Tageblatt). Diese Postkarte von 1904 zeigt aber auch das benachbarte Geschäft des Textilhändlers Dannenmann. Der verkaufte Berufsbekleidung, Gardinen, Bettenwäsche, Mützen, Flaggen und besorgte alles aus Textil, was die Quickborner so brauchten. Heute steht auf diesem Grundstück ein Heimwerkermarkt.
An der Kieler Straße gab es alles zu kaufen, was man brauchte
Das hielt sich bis in die Zeit, als Bodo Schmidt nach Quickborn zog. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Straße Hauptgeschäftsstraße. Anwohner nannten sie abwechselnd Kieler Straße, Hauptstraße oder auch Kieler Chaussee. Hier gab es alles, was man brauchte. Einen Schlachter, einen Grünhöker, einen Juwelier. Bodo Schmidts Onkel hatte ein Weißwarengeschäft. Es gab ein Geschäft mit Bettwaren und Berufskleidung, daneben ein Papierwarengeschäft, in dem man auch täglich das "Quickborner Tageblatt" kaufen konnte.
Und an zentraler Stelle, gleich gegenüber der Kirche: Schmidt's Gasthof. Dieser hatte vor Bodo Schmidts Zeit über Generationen seinen Vorfahren gehört. "Da sind wir oft gewesen, vom Schützenverein aus. Nach dem Training. Da gab es immer leckere Frikadellen. Die kamen warm aus der Küche."
Diese Postkarte stammt aus den 1960er-Jahren. Sie zeigt Schmidt's Gasthof, der damals bereits nicht mehr im Besitz der Vorfahren von Bodo Schmidt war. Sein Ur-Ur-Großvater hatte mit einer Gastwirtschaft in seinem Bauernhof Anfang des 19. Jahrhunderts angefangen.
Bald nach dem Krieg: Zu viel Verkehr, zu gefährlich für Kinder
Diese Gemütlichkeit gibt es hier so schon lange nicht mehr. Alles vorbei. Das habe sich angekündigt, sagt Schmidt. Als er 1949 mit seinen Eltern in Hausnummer 133 umzog, war es mit dem Spielen auf der Kieler Straße schon vorbei. Wegen des Wirtschaftswunders. Zu viel Verkehr, zu gefährlich. "Da gingen wir dann eher in der Feldmark spielen."
Asphalt kam in den 1960er-Jahren dazu. "Da wurden alle Bäume, die an der Straße standen, runtergeholt. Da wurde die Straße verbreitert und begradigt. Danach war die Kieler Straße keine ruhige Wohnstraße mehr", findet Schmidt. Funktionalität ging vor Atmosphäre.
Ein beliebtes Postkartenmotiv waren die Gasthöfe im Ort. Einer der ältesten ist der Schützenhof am Ortseingang von Süden kommend, ein beliebter Treffpunkt für Ausflügler aus Hamburg und Altona (Postkarte von 1899). Hier traf man sich zu Kaffee und Kuchen. Um die Jahrhundertwende fanden hier Radrennen statt. Der Schützenhof beherbergte später eine Autowerkstatt. Der Abriss folgte 1970. Das Grundstück wurde neu bebaut, was man heute wegen der Hecken und Bäume von der Kieler Straße aus gar nicht mehr sehen kann.
Wenn Lkw vorbeifahren, wackeln die Wände
Bis 1965 lebte Bodo Schmidt an der Kieler Straße. "Ich habe über die Jahre erlebt, wie sie mehr und mehr zu einer Verkehrsader wurde. Hier brettern Lkw durch. An die Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 Kilometern in der Stunde hält sich hier niemand", sagt er und stockt kurz: "Daran hat sich noch nie jemand gehalten."
Er erzählt, dass sein Schlafzimmer damals zur Kieler Straße rausging. "Da haben die Wände gewackelt, wenn Lkw vorbeifuhren." Schlafen habe er trotzdem können. "Man gewöhnt sich an alles."
Der Gerber Johann Friedrich der II. Schmidt ließ 1906 dieses Haus bauen. Es war eine Sensation im Ort. Das modernste Haus der Stadt mit Zentralheizung, Wasserklosett und elektrischem Licht. Dieser Mann setzte Maßstäbe in Quickborn. Seinen Strom erzeugte er selbst - und zwar mit einer Dampfmaschine. Zunächst nur für seine Gerberei und das Wohnhaus, später dann sogar für ganz Quickborn. Heute beherbergt das Haus des Gerbers die Pinnau Apotheke.
Dann kam die A7 und es wurde ruhiger
Bodo Schmidts Mutter betrieb damals einen Gemüseladen im Haus. Sie lebte - so wie alle anderen Geschäftsinhaber an der Kieler Straße - von den durchfahrenden Skandinaviern, den Norwegern, Schweden und Dänen. "Ich musste dann immer übersetzen: Ich hatte ja schon Schulenglisch", sagt Schmidt. Der gesamte Nord-Süd-Verkehr ging damals über die B4, die Kieler Straße. Und Rast machten die Reisenden dann eben auch in Quickborn. Die Hoteliers profitierten.
Und so litten die Hotel- und Gaststättenbesitzer natürlich auch, als 1972 die A7 gebaut wurde, und der Durchgangsverkehr abrupt weniger wurde. Andere waren erleichtert. "Gott sei Dank, dass wir den Lärm los sind", hätten ihm Bekannte erzählt, sagt Schmidt. Er selbst war 1972 längst weg, hatte geheiratet und war zu Hause ausgezogen.
Das Zentrum hatte sich bereits in den 1950er-Jahren von der Kieler Straße Richtung Bahnhof verlagert. 1951 wurde die östliche Bahnhofstraße gebaut, mit Arkadengeschäften und dem Kino "Capitol". Der Bahnhof war bereits 1912 gebaut worden. Dieses Gebäude ist dann 2006 abgerissen worden.
Die Kieler Straße soll bewohnerfreundlicher werden
Und heute? Die A7 wurde noch weiter ausgebaut. Die ehemalige königliche Chaussee ist längst eine Bundesstraße geworden. Sie hat die Stadt durchschnitten. Das ehemalige Zentrum ist keines mehr. Das befinde sich nun entlang der Bahnhofstraße. Die Verwaltung überlege jetzt, wie man die Kieler Straße wieder lebenswerter und schöner machen könne, sagt Schmidt. Bewohnerfreundlicher. Mit leichten Verkehrsberuhigungen, sodass die Autofahrer gezwungen sind, langsamer zu fahren. "Das finde ich in Ordnung", sagt Bodo Schmidt. "Es wird Zeit."
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags stand, dass die Postkarte, die Schmidt’s Gasthof zeigt, aus dem Jahr 1955 stammt. Das ist nicht korrekt, sie stammt aus den 60er Jahren. Wir haben die Passage korrigiert.