NDR Serie "Was war da los?": Neun standhafte Kerzen gegen die Nazis
Demonstrativ steht 1931 in Kiel ein Chanukka-Leuchter auf einer Fensterbank. In Hintergrund: ein NSDAP-Gebäude mit Hakenkreuz-Fahne. Ein leichtsinniger Moment mitten im erstarkenden Nationalsozialismus? Oder eine bewusste Aktion? Die NDR Serie "Was war da los?" klärt auf.
Es ist Chanukka-Fest, als Rosi Posner im Dezember 1931 einen neunarmigen Leuchter auf eine Fensterbank in ihrer Wohnung am Sophienblatt 60 in Kiel stellt. Im Hintergrund fällt der Blick auf ein Gebäude, an dem eine Hakenkreuz-Fahne hängt. Es ist die Kreisgeschäftsstelle der NSDAP. Rosi Posner drückt auf den Auslöser - und hält mit diesem privaten Foto bildhaft das bedrohte jüdische Leben im Deutschland der 1930er-Jahre angesichts des immer stärker werdenden Nationalsozialismus fest. Standhafte neun Kerzen, die nicht weichen wollen. Mehr Symbolkraft kann ein Bild kaum haben.
Die Frau des Rabbiners Posner: Modern - und selbstbewusst
Seine Urheberin Rosi Posner kommt im Jahr 1900 als Tochter von Willy und Fradel Würzburg in Hamburg zur Welt. Die junge Frau lernt Fremdsprachenkorrespondentin, gibt sich selbstbewusst und modern. 1925 heiratet Rosi den zehn Jahre älteren Rabbiner Arthur Bernhard Posner. Das Paar lebt in Kiel und bekommt drei Kinder: Gitta, Sulamit und Helmut Alfred. Die Familie lebt in der Nähe des Hauptbahnhofs gegenüber der Tonhalle, einem bekannten Veranstaltungsort der Stadt. Beide Posners sind sehr engagiert in der jüdischen Gemeinde. Nach dem Ersten Weltkrieg war dort eine große Kluft entstanden zwischen den tief gläubigen Zuwanderern und den ansässigen, im Glauben nicht so stark verwurzelten Juden. Als Kieler Rabbiner gelingt es Arthur Posner, dass sich alteingesessene Mitglieder und zugewanderte, konservative Juden aus Osteuropa annähern.
Die Posners beziehen Haltung gegen die Nationalsozialisten
Kiel gilt lange als Hochburg der Sozialdemokraten, doch das ändert sich 1932 schlagartig. Im Wahlkampf zur Reichspräsidentenwahl macht Rosi Posner Fotos von Hitler-Plakaten in der Nachbarschaft. Ihr Mann protestiert in einem offenen Brief in Lokalzeitungen gegen antisemitische Plakate in Kiel mit der Aufschrift "Juden haben keinen Zutritt". Im Juli erzielt die NSDAP in Schleswig-Holstein ihre besten Ergebnisse in Deutschland. Die Posners beobachten genau, was gegenüber ihrer Wohnung in der Geschäftsstelle vorgeht, deren Leiter Walter Behrens ist. In einem öffentlichen Streitgespräch muss sich Rabbi Posner vor Behrens wegen seiner offenen Briefe rechtfertigen.
Antisemitische Anschläge auf Synagoge und Kaufhaus
Wie viele andere jüdische Bürgerinnen und Bürger fühlen sich auch die Posners durch Feindseligkeiten zusehends bedroht. Und sie sollen Recht behalten mit ihren dunklen Vorahnungen: Im August verübt ein SS-Angehöriger einen Brandanschlag auf die Synagoge am Schrevenpark. Der Schaden fällt zum Glück glimpflich aus. Wenige Tage später folgt ein weiterer antisemitischer Anschlag - auf Karstadt, das "jüdische" Kaufhaus. In der Folge gibt es außerdem Übergriffe auf kommunistische, sozialdemokratische und gewerkschaftliche Einrichtungen.
"Juda lebt ewig" - Ein Foto wird Instrument der Erbauung
Angesichts der antisemitischen Attacken erinnert sich Rosi Posner an ihr Foto vom Chanukka-Leuchter. Auf der Rückseite notiert sie handschriftlich das Jahr des Jüdischen Kalenders: "5692" - "1932" im Gregorianischen Kalender. Das Jahr markiert vermutlich den Zeitpunkt der Entwicklung des Fotos. Und sie schreibt noch bewegende Worte auf die Rückseite:
"Juda verrecke", die Fahne spricht - "Juda lebt ewig", erwidert das Licht.
Sie fertigt Kopien von dem Bild an und verschickt es unter anderem an jüdische Zeitungen. Das Licht der Erinnerung soll nicht ausgehen. Rosi Posner widersteht mutig der zunehmenden Schreckensherrschaft und Unterdrückung durch die Nazis. Die Enkel der Posners erzählen dem Historiker Gerhard Paul später, dass viele jüdische Familien damals zu Chanukka sicherheitshalber die Gardinen zugezogen hätten. "Unsere Großeltern hatten keine Angst, und man sieht auf dem Bild zwar die Vorhänge, aber sie sind nicht zugezogen, sodass man die Chanukkia gut von außen sehen konnte." Mit ihrem ausdrucksstarken Foto des sichtbaren Leuchters setzt Rosi Posner also sehr bewusst ein couragiertes Zeichen - in einer dunklen Zeit voller Bedrohung für das eigene Leben.
In ihrer Wohnung am Sophienblatt 60 fühlen sich die Posners schließlich nicht mehr sicher. Sie ziehen in die Nähe der Synagoge, wo bereits mehrere jüdische Familien leben.
Die Posners fliehen über Antwerpen nach Jerusalem
Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler im Januar 1933 spitzt sich die Lage weiter zu. Bei den Reichstagswahlen im März behauptet die NSDAP in Kiel ihre Übermacht. Die Nationalsozialisten besetzen das Rathaus und ermorden zwei jüdische Rechtsanwälte. Die Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation schwindet zunehmend auch bei den Posners. Als die jüdischen Gemeinden auch noch ihre staatlichen Zuschüsse verlieren, fassen die Posners im Juni 1933 den Entschluss, das Land zu verlassen. Zunächst fliehen sie ins belgische Antwerpen, im November 1934 weiter nach Palästina, das heutige Israel. Immer mit im Gepäck: der Leuchter und das Foto. In Jerusalem beginnen die Posners ein neues Leben, sie passen dort ihre Namen an. Rosi nennt sich Rahel, ihr Mann übersetzt seine Vornamen ins Hebräische und heißt von nun an Akiva Baruch Posner. Er stirbt 1962, Rosi Rahel Posner zwei Jahrzehnte später, 1981.
Nachfahren holen den Leuchter einmal im Jahr nach Hause
Die Nachfahren der Posners haben den Leuchter der Gedenkstätte Yad Vashem gestiftet. Doch einmal im Jahr holen sie das Erinnerungsstück nach Hause. In Beit Shemesh bei Jerusalem stellen sie den Leuchter ins Fenster und feiern im Kreis der Familie das traditionelle Lichterfest. Auch im Andenken an die Leidensgeschichte von Rahel und Akiva Posner.
Ein Foto als "Zeuge" der Geschichte
Am Kieler Sophienblatt erinnert heute nichts mehr an das Haus, in dem die Posners gewohnt haben. Im Zweiten Weltkrieg wird Kiel zu 80 Prozent zerstört. Auch an der Stelle, von der aus die NSDAP ihre Machenschaften geplant hatte, steht ein Neubau. Das Foto des Leuchters "überlebt", ist erstmals 1974 im Rahmen einer Ausstellung über das jüdische Leben in Kiel öffentlich zu sehen. Das Stadtarchiv hatte es auf Leihbasis von Rosi Posner bekommen. Auch wenn die Zeitzeugen längst verstorben sind, ist das Foto auch mehr als 90 Jahre nach den dramatischen Ereignissen ein mahnendes Erinnerungsstück gegen den Hass und das Vergessen. Ein Licht, das beharrlich standhält.