Stand: 25.08.2018 08:00 Uhr

Lauenburg, der letzte Halt vor der Grenze

Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. NDR Autoren tauchen in die Stadtarchive ein. Dabei fördern sie persönliche Geschichten und historische Aufnahmen zu Tage, die teilweise in großem Kontrast zur Gegenwart stehen. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.

Andreas Lojek steht an der B5 bei Lauenburg. © Stadtarchiv Lauenburg
Andreas Lojek steht dort, wo früher die Grenze zwischen BRD und DDR verlief - an der B5 zwischen Lauenburg und Boizenburg.

Ein Auto fährt über die B5 von Lauenburg (Kreis Herzogtum Lauenburg) Richtung Boizenburg. Von der anderen Seite donnert ein Lastwagen vorbei. Es ist der ganz normale, alltägliche Verkehr. Und Andreas Lojek kann sich immer noch darüber freuen, dass es den gibt. Der gebürtige Lauenburger erinnert sich noch gut an andere Zeiten. "Das Gebäude da hinten, das gehörte zur Grenzkontrollstelle", sagt der 60-Jährige, kneift die Augen zusammen, weil die Sonne blendet, und zeigt auf die andere Straßenseite. Zwischen Bäumen und Gestrüp ist neben der Bundesstraße ein unscheinbarer, grauer Bau auszumachen. "Da war die Lkw-Abfertigung. Dahinter waren Diensthunde untergebracht", erzählt er.

Blick auf die ehemalige Zonengrenze. © Stadtarchiv Lauenburg Blick auf die heutige B5. © NDR Foto: Anne Passow

In den 1950er Jahren wollten Radfahrer, VW-Käfer und Minibusse über den Grenzübergang Lauenburg/Horster Damm, wie man auf dem Foto des Stadtarchiv Lauenburg erkennen kann. Heute kommt es auch mal vor, dass die B5 Richtung Boizenburg wie leergefegt ist. (Mit dem Schieberegler auf diesem und den weiteren Bildern können Sie das Lauenburg von früher und heute vergleichen. Verschieben Sie den Regler einfach mit der Maus oder dem Finger auf Smartphone und Tablet.)

Sowjets schießen Briten ab

Die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - sie verlief genau hier über die heutige B5. Die Straße, die schon immer von Lauenburg nach Boizenburg führte - und nach dem Zweiten Weltkrieg plötzlich zerteilt wurde. Das führte damals zu Spannungen zwischen den Siegermächten. Im März 1953 schossen sowjetische Düsenjäger bei Lauenburg einen britischen Bomber ab - über westdeutschem Gebiet, im Raum Barförde-Bleckede. Ob der Kalte Krieg wirklich kalt bleiben würde, war für einen Moment nicht klar. Mit dem Mauerbau 1961 rollten englische Panzer nach Lauenburg.

Blick auf die Elbbrücke. © NDR Blick auf die neue Elbbrücke. © NDR Foto: Anne Passow

1959 wurde die Bronzefigur des Rufers vor der neuen Elbbrücke aufgestellt. Er sollte an die Tradition der Schiffer Lauenburgs erinnern. Heute befindet sich am Ruferplatz ein Restaurant.

Mit der Grenze aufgewachsen

Andreas Lojek war damals noch ein Kind. Er nahm die latente Bedrohung nicht wahr. Mit einem Freund spielte er häufig nahe der Grenzkontrollstelle. Dass Lauenburg die letzte westdeutsche Stadt vor der DDR war, dass Menschen von hier in die DDR fuhren und andere aus dieser in die BRD kamen - für ihn war das damals normal. "Erst nachher, als man größer und älter wurde, hat man darüber nachgedacht, was das ist, die Grenze", berichtet er.

Ein altes Bild der Kreuzung Büchener Weg. © Stadtarchiv Lauenburg Ein aktuelles Bild von Kreuzung Büchener Straße in Lauenburg. © NDR Foto: Anne Passow

Der Verkehr kreuzt sich heute genau wie 1953 an der Kreuzung Büchener Weg/Berliner Straße. Nur drumherum sind viel mehr Gebäude entstanden.

Die Grenze konnte auch Schikane sein. 1953 erlebte das auch der damalige Regierende Bürgermeister Westberlins, Ernst Reuter. Er wollte über den Kontrollposten Lauenburg Richtung Berlin fahren. Doch die DDR-Grenzer verweigerten ihm die Durchreise - weil in seinem Interzonenpass Hausnummer und Straßenangabe fehlten.

Blick auf Lauenburg. © Stadtarchiv Lauenburg Blick auf Lauenburg. © NDR Foto: Anne Passow

1932 wie heute hat man den besten Blick auf die Lauenburger Altstadt von Hohnstorf aus. Auf dem historischen Foto erkennt man aber noch, was Hohnstorf und Lauenburg einst ausmachte: die Schiffer und ihre Kähne.

Rückstau bis nach Schnakenbek

Als Andreas Lojek später bei der Landespolizei arbeitete, musste er sich öfter um den Rückstau vor der Grenze kümmern. "Es gab manchmal Schwierigkeiten an der Kontrollstelle. Die Ostseite hat gebummelt - oder die Grenze mal für ein paar Stunden zugemacht. Dann standen die Autos durch das Lauenburger Industriegebiet in doppelten Schleifen auf der B5 bis nach Schnakenbek und noch weiter. Dann ging in Lauenburg nichts mehr", erzählt er. Und an noch etwas erinnert er sich gut: Irgendwann Anfang der 1980er Jahre hatte er Nachtdienst auf der Polizeistation. "Da hat’s plötzlich geklopft. Und da stand dann ein ehemaliger Grenzsoldat aus der DDR - unbewaffnet, aber noch in Uniform. Er bat um Aufnahme, weil ihm die Flucht geglückt war."

Die Maria-Magdalenenkirche früher. © Stadtarchiv Lauenburg Die Maria-Magdalenenkirche. © NDR Foto: Anne Passow

Um 1900 sah der Turm der Maria Magdalenen Kirche noch ganz anders aus als heute. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Turm wieder zerstört. 1992 bekam er einen kupfernen Turmhelm.

Gastronomie und Kioske profitieren von Grenze

Die Grenze mit ihren Geschichten hat Lauenburg immer geprägt. Und sie hat der Stadt Einnahmen gebracht. "Die Stadt hat immer mit - und auch durch die Grenze gelebt", betont Lojek. Lauenburg bekam Zonenrandförderung. Und Privatmenschen oder Lkw-Fahrer, die Richtung Berlin unterwegs waren, stiegen noch mal aus, aßen etwas, kauften ein, übernachteten vielleicht sogar. Reisende aus dem Osten hielten ebenfalls an und genossen die erste westdeutsche Stadt nach der Grenze. Kioske, Lebensmittelgeschäfte, Kleidungsläden, Restaurants und Hotels profitierten davon.

Ein altes Foto von der Berliner Straße in Lauenburg. © Stadtarchiv Lauenburg Ein aktuelles Bild von der Berliner Straße in Lauenburg. © NDR Foto: Anne Passow

1958 gab es auf der Berliner Straße noch eine Schlachterei und ein Schuhgeschäft. Heute ist hier ein Postladen.

Umarmt, geweint, gefreut, gelacht

Dass die Grenze nicht wirklich mitten in ein einst vereintes Land gehörte, spürten trotzdem alle. 1989 überschlugen sich die Ereignisse. Auch an der Kontrollstation Lauenburg öffneten die überrumpelten DDR-Grenzer schließlich den Übergang. "Mehr als die Hälfte aller Lauenburger sind erst mal hierher gefahren und haben geguckt. Und an der Ostseite war es ganz genauso", berichtet Lojek. Viele Menschen aus Ost und West kannten sich noch aus früheren Zeiten.

Blick auf die ehemalige Zonengrenze. © Stadtarchiv Lauenburg Blick auf die heutige B5. © NDR Foto: Anne Passow

1963 passierten - wie auf diesem Bild - viele Lkw die Grenzkontrollstelle bei Lauenburg. Heute bekommen Lkw-Fahrer von der großen Geschichte des Ortes nichts mehr zu spüren.

Andreas Lojek erinnert sich lebhaft: "Hier sind Szenen passiert, die können Sie sich gar nicht vorstellen. Man ist sich in die Arme gefallen. Man hat geweint. Man hat sich gefreut. Man hat gelacht." Lojek entsinnt sich, dass Menschen anfingen, Musik zu machen, dass gefeiert wurde. "Es war ein Fest. Und das war nicht nur ein Tag, das ging wochenlang so." Auch Lojek freute sich mit, ging immer wieder zu der Kontrollstelle, um all das mitzuerleben, traute sich nach ein paar Tagen, die Nachbarstadt Boizenburg zu besuchen.

Blick auf eine Gasse mit Fachwerkhäusern- © Stadtarchiv Lauenburg Blick auf eine Gasse mit Fachwerkhäusern. © NDR Foto: Anne Passow

Die Elbstraße ist heute fast im gleichen historischen Zustand wie auf dem undatierten Foto des Stadtarchivs Lauenburg.

Busladungen voller Touristen

Nach der überschwänglichen Freude kam allerdings das Erwachen für Lauenburg. Die Zonenrandförderung fiel weg. Je mehr neue Geschäfte im Osten entstanden, desto weniger Menschen kamen nach Lauenburg zum Einkaufen. "Vielleicht hat Lauenburg auch politisch das ein oder andere verschlafen", resümiert Lojek, der lange Bürgervorsteher Lauenburgs war. Erst nach und nach tat sich was. Die Unterstadt, die im Laufe der Jahre immer mehr verödet und verfallen war, wurde aufwendig saniert.

Ein altes Foto der Hamburger Straße in Lauenburg. © Stadtarchiv Lauenburg Ein aktuelles Bild von der Hamburger Straße in Lauenburg. © NDR Foto: Anne Passow

Dort wo um 1955 das Parkhotel stand, geht es heute in die Fußgängerzone der Lauenburger Oberstadt.

Heute kommen Busladungen voller Touristen, um sich die malerischen Fachwerkhäuser vor der Elbkulisse anzusehen, um die Kunsthandwerksläden in der Elbstraße zu bestaunen, um das Schloss zu bewundern und um den Rufer zu sehen, eine Bronzefigur, die seit 1959 an die Schiffertradition der Stadt erinnert. Die Oberstadt hat, wie viele Kleinstädte, mit Leerständen zu kämpfen. Doch auch hier ist einiges im Gange. Eine Marktgalerie ist geplant. Edeka will neu bauen und ein großes Hotel will sich in der Stadt ansiedeln. Seit man an der Gemeinschaftsschule auch Abitur machen kann, wird Lauenburg für Familien aus Hamburg attraktiver.

Ein altes Bild der Ladenzeile Berliner Straße. © Stadtarchiv Lauenburg Ein neues Foto von Ladenzeilen in der Berliner Straße in Lauenburg.- © NDR Foto: Anne Passow

Kleine Läden sind 1960 wie heute auf der Berliner Straße zu finden.

Lauenburg - das wird, Andreas Lojek ist davon überzeugt. "In drei bis fünf Jahren wird das hier eine liebenswerte Innenstadt. Lauenburg wird sich dann hier im Südkreis des Herzogtums Lauenburg behaupten."

Mehr zur Geschichte Lauenburgs

Lauenburg hat natürlich noch mehr zu bieten als die ehemalige Grenze. Umfassende Informationen zu der Stadt und ihrer Geschichte gibt es zum Beispiel auf der Webseite des Stadtarchivs Lauenburg, des Herzogtums Lauenburg oder auf der Webseite der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte.

Weitere Informationen
Eine Vergleichsaufnahme von Lübeck, früher und heute. © NDR/Fotoarchiv Lübeck Foto: Katrin Bohlmann/Fotoarchiv Lübeck

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 30.08.2018 | 20:05 Uhr

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Zeitgeschichte

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Anne Passow

Seit 2014 bin ich beim NDR Schleswig-Holstein und arbeite in der Aktuell-Redaktion. mehr

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