Kultur im Hamburger Stadtpark: Vom Kinderchor zum Stadtpark Open Air
Konzerte, Theater, Tanz: Seit seiner Eröffnung 1914 ist der Hamburger Stadtpark eine grüne Bühne. Anfangs treten vor allem Laiengruppen auf, heute auch internationale Stars auf der Freilichtbühne, die 1924 eingeweiht wurde.
Seit seiner Eröffnung 1914 finden im Stadtpark im Hamburger Stadtteil Winterhude Konzerte, Theateraufführungen und Tanz-Darbietungen statt. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wird er zum bevorzugten Ort für Massenveranstaltungen aller Art. Während die Sprechchor-Aufführungen, bei denen bald sogar Pyrotechnik und Lichtregie eingesetzt werden, im Stadion stattfinden, marschieren bei den Feiern zum 1. Mai Hunderte von uniformierten Trommlern, Pfeifern und Schalmei-Spielern der Arbeiterbewegung über die große Stadtpark-Wiese.
Freilichtbühne im Stadtpark: Der Stehplatz kostet 30 Pfennig
Die Freilichtbühne - entstanden durch Lehmabbau für das Planschbecken in einer Senke im nordöstlichen Waldbereich - wird 1924 eingeweiht. Umgeben von hohen Bäumen und Hecken bietet das Theater 4.000 Zuschauern Platz und verfügt über eigene Umkleideräume und Toiletten. Dort singt etwa der Volkschor aus dem nahen Stadtteil Barmbek, Hamburgs größter Arbeiterchor mit 800 Sängern. Neben politischen und Volksliedern führt er auch Haydns Oratorium "Jahreszeiten" auf.
Auch Schauspiele gibt es hier von Anfang an: Hans-Sachs-Festspiele, die Klassiker Goethe und Schiller und sogar Modernes werden geboten. Auch Richard Ohnsorgs Niederdeutsche Bühne tritt hier auf, mit Lustspielen, die zum Teil eigens für das Stadtpark-Theater geschrieben werden. Die Preise sind damals noch moderat, 60 Pfennig zahlt man für einen Sitz-, 30 Pfennig für einen Stehplatz.
Ode "An die Freude" wird zum ersten Massen-Event
Am 25. August 1925 tönt der Gesang von 31.000 Menschen über den Stadtpark: "Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium". Die SPD feiert ihren Jugendtag. Höhepunkt des Spektakels ist der Auftritt des parteieigenen Sprechchores. Er rezitiert Dichtungen mit expressivem Körperausdruck, was damals als repräsentative Kunstform der Arbeiterbewegung gilt. Mehr als 1.000 Mitwirkende stellen im Stadion den Sieg der proletarischen Jugend über dunkle böse Mächte dar, schaffen ein monumentales Gesamtkunstwerk aus Theater, Musik und Tanz. Schillers und Beethovens Ode "An die Freude" singen sie am Ende gemeinsam mit den Zuschauern - ein bewegendes Schauspiel.
Doch das Freilichttheater findet auch andere Nutzer: Eine Schule für Ausdruckstanz führt frühmorgens ihre Übungen durch, Pfadfinder, Arbeitersportkartell und der Bund der Kinderreichen versammeln sich dort.
Künstlerbälle und Open-Air-Kino in den Goldenen Zwanzigern
Die von Fritz Schumacher entworfene Stadthalle, das Hauptrestaurant des Parks mit zahlreichen Nebensälen, das rund 10.000 Menschen Platz bietet, wird in den 1920er-Jahren zu einem Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Auf Künstlerbällen, "Bayerischen Volksfesten" und Märchentagen amüsieren sich hier Tausende, ebenso auf Tanzveranstaltungen und Platzkonzerten des Polizeiorchesters. Im Sommer spielt auf der Terrasse täglich eine Blaskapelle, im Garten werden Kinofilme gezeigt.
Arbeiterchor, Hochbahn-Orchester und Indianer-Theater
Nach dem Zweiten Weltkrieg dauert es einige Jahre, bevor Flakstände, Nissenhütten für Obdachlose und Kartoffeläcker aus dem Stadtpark verschwinden. Ab Sommer 1952 wird auf der Freilichtbühne wieder musiziert, gesungen, Theater gespielt und getanzt, vor allem von Laien-Gruppen. Den Anfang macht der Arbeiterchor Barmbek "mit einer bunten Liederfolge". Das Betriebsorchester der Hochbahn spielt heitere Blasmusik und mehr als 15.000 große und kleine Zuschauer sehen in einer Saison das Indianer-Schauspiel "Der letzte Mohikaner".
Musikalisches Turn-Spektakel mit 50.000 Zuschauern
1953 strömen 50.000 Menschen in den Park, um anlässlich des Deutschen Turnfests die abendliche Uraufführung des Hamburg-Festspiels "Stadt am Ufer zu den Meeren" zu sehen. Scheinwerferlicht lässt die Festwiese zu einer riesigen Bühne werden. 900 Turnerinnen in weißen und schwarzen Gewändern schreiten, laufen und tanzen zu Musik von Bach, Schubert und Haydn über den Rasen, dazu treten Fahnenschwingerinnen, Fackelläufer, Speerwerfer und Ballspieler auf. Das Publikum ist begeistert.
"Jazz im Stadtpark" wird zur festen Größe
Die Veranstaltungen der folgenden Jahrzehnte erzählen auch ein Stück Kulturgeschichte, vor allem den Wandel des Publikumsgeschmacks. Nach Kinderliedern, Männerchören und Polizeiorchestern kommt in den 60er-Jahren der Jazz auf. Zunächst spielen in den Sommermonaten Hamburger Amateurbands Dixieland, Oldtime und Skiffle. Die Veranstaltungsreihe "Jazz im Stadtpark" wird eine feste Größe.
Beat, Pop, Klassik und Rock erobern die Freilichtbühne
Bald kommen weitere Musikrichtungen hinzu, Beat und Pop halten Einzug auf der Freiluftbühne, auch Reggae und Folklore werden populär. Die Hamburger Symphoniker geben ihre beliebten Promenadenkonzerte - mit abermals rekordverdächtigen Zuschauerzahlen: An einem Abend im August 1988 spielt das Orchestre National de France unter Lorin Maazel beim "Open Air Classic" Stücke von Berlioz und Dvořák vor 50.000 Menschen, bevor ein spektakuläres Feuerwerk in den Himmel steigt.
Stadtpark Open Air seit Mitte der 1970er
Mit den niederländischen Hardrockern von Golden Earring tritt bereits 1970 eine der ersten namhaften Rockbands im Stadtpark auf. Aus anfangs wenigen Rock- und Blues-Konzerten entsteht über die Jahre die Reihe "Stadtpark Open Air", die jeden Sommer ein vielseitiges musikalisches Programm auf die Bühne bringt - von kleinen Independent-Bands über Deutschrock bis hin zu den Legenden der internationalen Rockmusik. Vor jährlich mehr als 100.000 Zuschauer treten hier nun Ina Müller und Anastacia auf, Udo Lindenberg, Supertramp, Bob Dylan, Peter Gabriel und Alice Cooper mit den Hollywood Vampires.
Freiluft-Konzerte trotz Corona
Noch immer tönt wie seit Jahrzehnten in den Sommermonaten die Musik über den Stadtpark, zur Freude auch der Zuhörer, die außerhalb der Freilichtbühne auf Decken und Klappstühlen den Klängen ihrer Favoriten lauschen. Da die Konzerte unter freiem Himmel stattfinden, konnten viele der geplanten Veranstaltungen - angepasst an die jeweiligen Corona-Auflagen - auch in den Pandemie-Sommern 2020 und 2021 stattfinden.
Jugendgruppen oder Männerchöre singen heute kaum noch auf der Freilichtbühne, doch die Verbindung zum nahen Barmbek bleibt bestehen, wenn alljährlich die Lokalgröße Lotto King Karl mit seinen Barmbek Dream Boys auftritt.
Theater hingegen wird heutzutage zumeist auf der Sommerbühne im Sierichschen Forst gespielt oder im ehemaligen Licht- und Luftbad. Laien-Konzerte gibt es an verschiedenen Orten, etwa vor dem Planetarium, am Seeufer oder in der Trinkhalle.