Männer und Frauen tanzen und flirten © St. Pauli Museum / Panfoto Foto: Günter Zint

Café Keese auf der Reeperbahn: Von Damenwahl zum Räucheraal

Stand: 22.09.2024 00:00 Uhr

Zunächst Single-Börse für Damen im besten Alter, später Party-Tempel, "Quatsch Comedy Club" und Edel-Fischbude. Kulinarisch geht es heute mexikanisch zu. Die Geschichte des Hamburger Café Keese ist wechselvoll.

von Kristina Festring-Hashem Zadeh

Fein onduliert sitzt die Dame im knielangen Kostüm im roten Plüschsessel. Nur oberflächlich ins Gespräch mit der Freundin vertieft, lässt sie den Blick über den Rand ihres Sektglases schweifen. Da: Der an Tisch 11, der mit dem dezenten Oberlippenbärtchen, der wäre doch was - zumindest für einen Schwof. Sie greift zum Hörer. "Klingeling" - "Darf ich bitten, der Herr?" - "Mit Verlaub, die Dame." Der Oberlippenbart steht auf, rückt den Zwirn zurecht und kommt an ihren Tisch. Ein leichter Diener, dann geht es Richtung Parkett. Die Freundin hätte ihm zwar besser gefallen. Aber ablehnen darf er die Aufforderung zum Tanz nicht. Das besagt der rosafarbene "Knigge", der auf jedem Tisch neben dem Telefon liegt: "Denken Sie stets an die These, es regiert die Frau im Keese".

Unzählige Male hat sich obige Szene im Hamburger Café Keese so und ähnlich abgespielt. Dank seines "Ball Paradox", bei dem Damenwahl angesagt war, entwickelte sich das Tanzlokal im Hamburg der Nachkriegszeit zu einer Institution. 50.000 Ehen sollen hier in die Wege geleitet worden sein.

Am Anfang steht die Neukrönung der Dame

Am 1. November 1948 eröffnet der Hamburger Gastronom Wilhelm Bernhard Keese zunächst an der Fruchtallee in Eimsbüttel das erste Tanzlokal - eine Art Single-Börse für Kriegswitwen und andere Damen im besten Alter. Der von ihm erfundene "Ball Paradox" wird ein Riesenerfolg - und ist ein Schritt Richtung Gleichberechtigung. Keese damals: "Die Dame soll wieder gekrönt, soll reinthronisiert werden, soll wieder die Achtung und Verehrung erhalten, die ihr zukommt. Um das zu erreichen, muss die Initiative beim Tanz von ihr ausgehen."

Von außen schon weithin sichtbar, symbolisiert die anvisierte Neu-Adelung der Frau eine hell erleuchtete, weiß gewandete Prinzessin - fortan das Markenzeichen des Keese. "Honi soit qui mal y pense" ("Ein Schelm, der Böses dabei denkt") lautet das vom Hosenbandorden übernommene Motto, unter dem sie den Saum ihres Rocks lupft. Dass es bei der Damenwahl im Keese stets "reizend und kultiviert" zugeht, verspricht zudem der Schriftzug über dem Eingang.

Dreiste Konkurrenz - da zieht Keese vor Gericht

Das Cafe Keese Ende der 1950er Jahre © St. Pauli Archiv
Im März 1953 zieht Keese mit seinem Café an die Reeperbahn.

Weniger kultiviert wird es, als im August 1950 am Neuen Pferdemarkt das Café Rena eröffnet und Keeses Erfolgsmodell direkt kopiert. Nicht nur lädt es zum "Exklusiven Ball Verkehrt" ein, auch die Portiers sind in ähnliche Uniformen wie die Keeses gekleidet, als Firmenlogo prangt das Bild einer gekrönten Frauenfigur am Café. Rena-Mitarbeiter verteilen Werbezettel direkt vor Keeses Ballhaus. Zunächst schreitet dessen Portier ein, "runde 1,90 groß und mit gesundem Kreuz", wie es im "Abendblatt" heißt.

Wenig später zieht Keese selbst wegen unlauteren Wettbewerbs gegen das Rena erbost vor Gericht. Er erwirkt zwar eine einstweilige Verfügung, die das Verteilen der Werbezettel in unmittelbarer Nähe seines Ballhauses untersagt. Seine Klage ob der offensichtlichen Ähnlichkeiten bei Geschäftszeichen und Portieruniformen wird aber abgelehnt.

Dependancen an der Ostsee und in Berlin

Doch die direkte Konkurrenz um tanzlustige Damen auf Partnersuche stoppt Keeses Erfolg nicht. Im März 1953 verlegt das Ballhaus seinen Sitz auf die Reeperbahn. Zwar sorgen sich viele Gäste angesichts des Ortswechsels zunächst um den Ruf des etablierten Tanzlokals, aber die Befürchtungen zerschlagen sich schnell. Keese wird Kiez-Kult.

An der Bar im Cafe Keese  Foto: Günter Zint
Nach dem Tanz erfrischen sich die Gäste gern mit einem Gläschen an der Bar.

Für den guten Ton und dafür, dass aufgrund der Reeperbahn-Umgebung keine Missverständnisse aufkommen, sorgt unter anderem Gattin Amalie Ilonka. Sie begrüßt die Gäste am Eingang des Cafés und weist auch mal dezent darauf hin, wenn ein Kleid gar zu offenherzig ausgeschnitten ist. Im März 1965 stirbt Amalie Ilonka. Keese heiratet nach ihrem Tod nicht wieder, verlobt sich jedoch später mit Charlotte Jürges, die seit Anfang der 1950er-Jahre bei Keese die Geschäfte führt. Der Erfolg hält an. Keese eröffnet weitere Dependancen in Niendorf an der Ostsee und in Berlin.

Keese verhandelt selbst mit seinen Entführern

Zielstrebigkeit und Schlagfertigkeit zeichnen den Hamburger Gastronomen aus. "Was er sich in den Kopf gesetzt hatte, das machte er auch", charakterisiert Jürges ihren langjährigen Verlobten. Diese Eigenschaften helfen ihm auch in heiklen Situationen: Am 23. August 1971 wird er gemeinsam mit Jürges an seinem Wohnsitz in Wedel überfallen und entführt. Die Unbekannten wollen Geld von ihm.

Sechs Stunden später hat er das Lösegeld von einer Million auf 100.000 Mark heruntergehandelt. Die Kidnapper lassen seine Freundin Jürges frei, die besorgt das Geld, Keese kann gehen - und die Geiselnahme ist ohne Zutun der Polizei beendet. Sie wird erst danach eingeschaltet. Die Täter werden trotz von der Hausbank notierter D-Mark-Scheine nie gefasst.

Sex-Magazin-Verleger kaufen das Keese

Zwei Jahre später zieht sich der inzwischen 72-jährige Keese aus dem Geschäft zurück und verkauft das Lokal an Heinz-Peter Feussner und Klaus Tietje, bis dato Verleger von Sex-Magazinen wie "St. Pauli Extra". Die beiden führen das solide Tanzlokal zunächst im Keese-Stil weiter. Themennächte wie die "Damenwahl nach Sternzeichen" sollen den ursprünglichen "Ball Paradox" neu beleben.

Doch in Zeiten der Emanzipation ist die Damenwahl kein Aufreger mehr. Entsprechend setzt das Traditionshaus an der Reeperbahn mit Konzerten und Partys wie dem schrillen "Sweet Sunday" auf Alternativen und jüngere Gäste. Dass die Umsätze dennoch weiter abnehmen, erlebt Wilhelm Bernhard Keese nicht mehr. Er stirbt 1988.

Vor allem wegen des Kults geben sich viele Prominente dort weiter gern die Ehre. 1996 bekommt Udo Lindenberg zum 50. Geburtstag nach Vorbild des Hollywood "Walk of Fame" einen Stern vor dem Haus, der gut 25 Jahre später zum Spielbudenplatz verlegt werden soll. Nach dem Tod Tietjes scheint die Zukunft des legendären Gebäudes damals zunächst fraglich. 1998 wird das Café zunächst geschlossen.

Große Party zur Neueröffnung

Schließlich pachtet der sogenannte Osmani-Clan das Unternehmen von der Erbengemeinschaft und baut für drei Millionen Mark um. 2002 wird groß Neueröffnung gefeiert. Das an das Tanzlokal anschließende, neu erbaute "Hotel Keese" schürt Gerüchte um einen Bordellbetrieb, die von den Betreibern jedoch dementiert werden.

Im April 2004 wird das Keese zum Schauplatz eines Dramas. In der Toilette des Traditionshauses verschanzen sich vier schwer bewaffnete Männer, nachdem sie zuvor in einem benachbarten Club einen Gast erstochen und dessen Begleiterin angeschossen haben.

Vom Quatsch Comedy Club zur Fischbude

Comedian und Moderator Thomas Hermanns posiert im Café Keese auf der Reeperbahn in Hamburg, wohin der Quatsch Comedy Club nach zehn Jahren im Fernsehen zurückkehrt. © picture-alliance/ dpa/dpaweb Foto: Patrick Lux
Komik im Keese: Von 2006 bis 2011 sorgte Thomas Hermanns mit seinem "Quatsch Comedy Club" für Lacher.

2006 siedelt sich Thomas Hermanns mit seinem "Quatsch Comedy Club" im Keese auf der Amüsiermeile an. Für die Auftritte der Comedians wird das Gebäude erneut für 200.000 Euro umgebaut. Ob sich diese Investition gelohnt hat, ist fraglich. Fünf Jahre später zieht die Veranstaltungsreihe wieder aus - und es wird wieder umgebaut.

Im Frühjahr 2013 eröffnet der Sylter Fischgastronom Jürgen Gosch im Café Keese eine Edel-Fischbude mit Straßenverkauf - von der "sündigsten Fischbude der Welt" ist die Rede. Wo einst die Damenwahl per "Knigge" geregelt wurde, wählt nun der Kunde aus der Speisekarte zwischen Räucheraal und Rotbarsch. Doch der Erfolg bleibt aus, der Gosch-Fischladen schließt zum 1. Oktober 2014 bereits wieder.

Burritos mit Liebe gemacht

2015 pachtet die Münchner Restaurant-Kette Sausalitos das ehemalige Café Keese. Nun werden dort unter anderem Burger, Tapas und Burritos angeboten. Immerhin dreht es sich wie kurz nach dem Krieg auch weiter um die Liebe - zumindest ein ganz klein bisschen. "Handrolled con amor" heißt es auf der Speisekarte über die Burritos.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 22.03.2013 | 19:30 Uhr

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