Der Brocken - Hochsicherheitstrakt der DDR
Auf dem Brocken im Harz blieb die Zeit auch nach dem Mauerfall am 9. November 1989 stehen. Der höchste Gipfel des Mittelgebirges war nämlich zu DDR-Zeiten ein ganz besonderer Mikrokosmos. Hier arbeiteten DDR-Grenzsoldaten, Abhörexperten von der Staatssicherheit und russische Geheimdienstler daran, die DDR für immer abzuschotten. Der Kalte Krieg und die wechselseitige Aufrüstung prägten die Landschaft 28 Jahre lang. Das Schreckgespenst eines atomaren Überraschungsangriffes bedrohte die Menschen auf beiden Seiten des "Eisernen Vorhangs" gleichermaßen.
Gleichgewicht des Schreckens
Der Glaube an ein noch so wackeliges Gleichgewicht der Kräfte steigerte sich zur Rüstungsspirale. Der höchste Berg Norddeutschlands war der Gipfel der Abschreckung - im wahrsten Sinne des Wortes. Hier installierten die DDR und ihre sowjetischen Verbündeten seit den 1950er-Jahren immer umfangreichere Abhöranlagen in Richtung Westen. Einen Höhepunkt der Aufrüstung bildete der NATO-Doppelbeschluss von 1979: In der Stationierung von Mittelstreckenraketen in Westdeutschland 1983 sahen die UdSSR eine außerordentliche Bedrohung: Die Pershing II-Raketen waren der Grund, im Harz ein effizientes Frühwarnsystem zu installieren, um die Sicherheit des Sozialismus zu gewährleisten, so die Ideologen aus dem Ostblock. Denn die US-Raketen hätten innerhalb weniger Minuten sowjetisches Territorium erreichen und vernichten können. Ein atomarer Gegenschlag von östlicher Seite wäre nur möglich gewesen, wenn die Geheimdienste extrem hellhörig auf alle verdächtigen Anzeichen reagierten. Und vom Brockengipfel aus konnte man den Feind am besten belauschen.
Als die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg über Deutschlands Teilung verhandelten, machten die Amerikaner auf der Konferenz von Jalta 1945 einen entscheidenden Fehler und tauschten den Harzgipfel gegen Teile des Landkreises Blankenburg ein. Von da an blieb ihnen nur der Wurmberg, der zweithöchste Harzgipfel, als Horchposten. Auf dem nahegelegenen Stöberhai arbeiteten Bundeswehr und Franzosen an der Feindbeobachtung. In keiner anderen Region Deutschlands waren sich die Gegner der Weltmächte so nah.
Brockenplateau war ein Hochsicherheitstrakt
Der innere Ring auf dem Brockenplateau war ab 1961 sowjetisches Sperrgebiet, denn hier stand der westlichste Vorposten Moskaus, der Horchposten mit dem Tarnnamen "Jenissej". Der Militärgeheimdienst GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije, übersetzt "Hauptverwaltung für Aufklärung") und der KGB schöpften vom Brocken aus westliche Quellen ab und beobachteten Politiker, Bundeswehr und Waffen - Aufklärungsobjekte von allergrößter Bedeutung für den gesamten Warschauer Pakt im Kalten Krieg.
Daneben lauschten die Abhöranlage "Urian" und mehr als 20 Mitarbeiter der Staatssicherheit rund um die Uhr im Schichtbetrieb in der so genannten Stasi-Moschee bis zur niederländischen Grenze. Immer massivere Grenzanlagen machten den Berg zu einer Festung. Die "Sicherheitsdienste" bespitzelten ganz Norddeutschland und bewachten auch alle Bewegungen in der Nähe der Grenzanlagen. Unerbittlich und gnadenlos verfolgten sie Flüchtlinge, die immer wieder versuchten, im Schutz des Waldes in den Westen zu gelangen.
Beliebt, aber für viele verboten: Wintersportort Schierke
Seit 1949 war Schierke wegen der Nähe zur Grenze ein besonderer Ort - ein beliebter Wintersportort für Funktionäre, der seit den 60er-Jahren ausnahmslos mit Passierschein zugänglich war. Nur wer als "zuverlässig" galt, durfte hier Urlaub machen oder arbeiten. So hatte zum Beispiel Karl-Eduard von Schnitzler, Gesicht des "Schwarzen Kanals" und der prominenteste Propagandist der DDR, hier ein idyllisches Wochenendgrundstück.
Meteorologen durften auf dem Brocken Klimadaten erheben
Seit 1939 steht eine Wetterwarte auf dem Brocken. Auch in den Zeiten des Kalten Krieges sammelten Meteorologen hier Klimadaten in der Nähe des Todesstreifens, angekläfft von den extrem gefährlichen Hunden, die an Laufleinen die Grenze bewachten. An mehr als 300 Tagen des Jahres liegt der Berg im Nebel. Das schweißte die Männergesellschaft dort oben zusammen: Die Meteorologen bescheinigten den russischen Soldaten, dass die Durchschnittstemperatur auf dem Brocken viel tiefer als überall sonst in Ostdeutschland liegt. So lieferte Moskau mehr Kohle und niemand brauchte mehr zu frieren. Offiziell natürlich wurden die Meteorologen als Zivilisten von den Sicherheitsdiensten misstrauisch kontrolliert. Sie waren die einzigen, die täglich zu Fuß aufsteigen mussten - und die einzigen, die unverdrossen Westfernsehen schauten.
Der Brocken als "Wächter unserer aller Sicherheit"
Wer oben auf dem Brocken arbeitete, wohnte in Schierke. Je nach Arbeitsgebiet wurden Passierscheine für das Grenzgebiet, den Schutzstreifen oder das militärische Sperrgebiet ausgestellt und als Vermerk in die Ausweise gestempelt. Alle Besucher des Harzges wurden mit viel Aufwand überwacht. Dabei lagen gerade die beliebtesten Urlaubsorte des Oberharzes im unmittelbaren Grenzgebiet. Rund zwei Millionen Urlauber im Kreisgebiet Wernigerode machten die Lage mehr als unübersichtlich.
Obwohl es in der DDR tabu war, über die Grenzanlagen und den Klassenfeind zu reden, warb die Obrigkeit um Verständnis: "Die exponierte Grenzlage des Brockens macht es aus Gründen der Sicherung unserer Staatsgrenze auch nicht möglich, ihn zu besuchen. Erfreuen wir uns daher an seinem majestätischen Anblick, wie er, gleichsam über dem Gebirge thronend, von einigen Punkten der Umgebung des Ortes zu betrachten ist. Wehklagen ist unangebracht, ist er doch gewissermaßen ein Wächter für unser aller Sicherheit."
Am dritten Dezember 1989 wurde dieser "Wächter" befreit - an diesem Tag fiel die Mauer auch auf dem Brocken. Seitdem ist der "deutscheste aller Berge" wieder das, was er jahrhundertelang war: Ausflugsziel für Deutsche aus Ost und West.