Atomares Zwischenlager Lubmin: Widerstand Fehlanzeige?
Am 14. März 1996 geht das ZLN in Lubmin in Betrieb. Wo das größte Kernkraftwerk der DDR einst Stolz des sozialistischen Staates war, muss man Widerstand auch gegen das größte überirdische atomare Zwischenlager Deutschlands fast schon suchen.
Einst galt das von 1974 bis 1990 betriebene VE Kombinat Kraftwerke "Bruno Leuschner" als Vorzeigeprojekt der Energiewirtschaft der DDR. Kurz nach der Wende geht das Kernkraftwerk sowjetischer Bauart in Lubmin wegen eklatanter Sicherheitsmängel vom Netz und wird zum ersten und größten atomaren Rückbauprojekt der Welt. "1995 hätten wir nicht gedacht, dass wir 2021 immer noch damit beschäftigt sind", sagt Marlies Philipp, Leiterin der Unternehmenskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit beim bundeseigenen Entsorgungswerk für Nuklearanlagen (EWN). Das EWN betreibt seit Mitte der 1990er-Jahre das Zwischenlager Nord (ZLN) und ist verantwortlich für den Rückbau des ehemaligen DDR-KKW bei Greifswald sowie des Forschungsmeilers im brandenburgischen Rheinsberg.
Wohin mit dem KKW-Müll?
Zurück bleiben bis heute jede Menge Altlasten: Rund 1,8 Millionen Tonnen Material - vom meterdicken Betonbau bis zum Reaktordruckbehälter, kilometerlangen Rohrleitungen und Kabelbäumen - wird seit 1995 dekontaminiert, zerlegt und verpackt. Was recycelt werden kann, wird recycelt. Nur was nicht weiter dekontaminiert werden kann, soll später in ein Endlager für radioaktiven Müll verbracht werden, wenn ein solches in Deutschland zur Verfügung steht. Bis dahin wird im ZLN zwischengelagert.
Rückbau in Lubmin ist Pionierprojekt
Vorbilder gibt es damals kaum, denn in Lubmin beginnt Mitte der 1990er-Jahre der erste große Rückbau eines deutschen Kernkraftwerks. Die Gesamtkosten für den Rückbau der beiden ostdeutschen Standorte belaufen sich nach Schätzungen des EWN auf rund 6,6 Milliarden Euro. Heute, 25 Jahre nach der ersten Einlagerung eines Dampferzeugers am 14. März 1996, sind etwa 90 bis 95 Prozent der kerntechnischen Anlagen zurückgebaut.
Von den insgesamt fünf Reaktorblöcken, die bis zur Wende in Betrieb waren, stehen fast nur noch die Außenhüllen. Bis 2028 soll der Rückbau der radioaktiv belasteten Areale abgeschlossen sein, danach beginne der Abriss, so Philipp. Ab 2027 hofft man in Lubmin auf den Beginn der Einlagerung schwach- und mittelradioaktiv belasteten Abfalls in den Schacht Konrad, das einzige bisher feststehende Endlager für schwach- bis mittelradioaktive Abfälle Deutschlands.
Lubmin, das "Atomklo Deutschlands"?
Bereits kurz nach der Abschaltung der fünf Reaktoren 1990 beginnt die Planung für das atomare Zwischenlager in Lubmin. Mit der Genehmigung für den Bau jedoch stellt der Landtag Mecklenburg-Vorpommern Bedingungen: Nur Atommüll der stillgelegten Atomkraftwerke der DDR, Rheinsberg und Lubmin, dürften dort eingelagert werden. Eine Einfuhr von Atommüll aus anderen westlichen Bundesländern nach Mecklenburg-Vorpommern lehnt der Landtag strikt ab. Denn schließlich gelte auch für Atommüll das Verursacherprinzip. Mit dem EWN als Betreiber nimmt Lubmin allerdings eine Sonderrolle ein. Als ehemals Volkseigener Betrieb der DDR geht das ZLN nach der Wende in den Besitz der Bundesrepublik über und wird das einzige staatliche Zwischenlager Deutschlands.
Fortschrittsglaube und Stolz statt Anti-AKW-Bewegung
In der Hansestadt Greifswald regt sich nach der Wende erstmals organisierter Widerstand gegen die Pläne des Bundes. Allerdings werden in der Region, in der das Kernkraftwerk jahrelang wichtigster Arbeitgeber war, nicht annähernd die Massen mobilisiert, die man zum Beispiel aus der jahrzehntelangen Protestkultur rund um Gorleben kennt. Nach einem mit der Anti-Atomkraft-Bewegung der Bundesrepublik vergleichbaren Phänomen sucht man im äußersten Ostzipfel der Noch-DDR bis dahin vergeblich.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Kernkraft gilt in der DDR gemeinhin als sicher und sauber, Zweifel gibt es kaum. Im Lubminer Kernkraftwerk arbeiten zu Hochzeiten rund 15.000 Menschen am Standort, mit Greifswald-Schönwalde wird ein ganzer Stadtteil für die Kraftwerker und Kraftwerkerinnen errichtet, man ist stolz. "Eigentlich gab es in jeder Familie mindestens einen, der dort gearbeitet hat, den man fragen konnte", so Philipp, damals fertig studierte Kristallografin, "zumal in einer Gegend, wo es wenige hochbezahlte Arbeitsplätze gab." Technik-Stolz und gefühlte Teilhabe am Fortschritt statt Anti-Atom-Protest prägen die Region.
Umweltschutz wird eingehegt, doch Tschernobyl "wirkt"
Erst mit der Atomkatastrophe 1986 in Tschernobyl, so scheint es, kommen im Bewusstsein der DDR-Bevölkerung Zweifel an der Sicherheit von Kernkraftwerken auf. Zwar erstarkt in den 1980er-Jahren auch in der DDR ein Interesse für Umweltthemen, allerdings ist die DDR-Führung darum bemüht, die sich gründenden Umweltgruppen im Kulturbund staatlich einzuhegen und ihr Informationsmonopol zu bewahren. So wird zum Beispiel die Veröffentlichung von konkreten Werten zur Belastung der Umwelt mit Schadstoffen 1983 gänzlich verboten und damit einer öffentlichen und sachlichen Diskussionsgrundlage die Basis entzogen. Auch in Greifswald und Rheinsberg gegründete Umweltgruppen fordern mehr Mitsprache und schließen sich unter dem Banner "Tschernobyl wirkt überall" Unterschriftenlisten und Protestaktionen gegen den Ausbau von Kernenergie in der Republik an. Aber eine geschlossene Anti-Atom-Bewegung entsteht nicht.
- Teil 1: Wohin mit dem KKW-Müll?
- Teil 2: Nach der Wende keimt zarter Protest
- Teil 3: Zankapfel "Pufferlagerung" facht Proteste an
- Teil 4: "Estral" soll terrorsicherer Neubau werden