Atomares Zwischenlager Lubmin: Widerstand Fehlanzeige?
Doch es kommt anders als versprochen. Mit der von der EWN 2005 beantragten und vom Bund 2010 genehmigten "Pufferlagerung" von schwach und mittelradioaktiven Abfällen aus dem gesamten Bundesgebiet wird das bundeseigene Zwischenlager für atomare DDR-Abfälle nun zum Zwischenlager von Atommüll, der dem Bund gehört. Dieser soll in Lubmin "fremdkonditioniert", also dekontaminiert, zerlegt, für die Endlagerung verpackt und davor und danach verwahrt werden. Es hagelt Kritik, diesmal nicht nur aus den Reihen von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen, sondern auch aus der Landespolitik von MV und Brandenburg. Ein "Das haben wir immer schon so gemacht" seitens des EWN - das zum Antrag erklärt, seit 1991 seien bereits 256 Kubikmeter radioaktive Abfälle aus anderen Anlagen konditioniert worden - und die Angst vor dem "Atomland Ost", vor einem "bundesweiten Umschlagplatz für Atommüll" im Urlaubsland Mecklenburg-Vorpommern stehen sich unvereinbar gegenüber.
Politischer Wille wird zum zahnlosen Tiger
Am Ende zieht Mecklenburg-Vorpommern den Kürzeren. Der politische Wille der Landesregierung erweist sich in zahlreichen Gerichtsverfahren des EWN als zahnloser Tiger. Der Rechtsstreit zwischen den EWN und dem Land zieht sich über Jahre. Am Ende lautet die Begründung des Gerichts, es sei Sache des Bundes, das Land habe kein Einspruchsrecht. Kritiker sprechen von einem "Dammbruch", der der "Dauerlagerung" von Atommüll aus ganz Deutschland Tür und Tor öffnet.
Und auch bei den hochradioaktiv belasteten Abfällen hält der politische Wille Mecklenburg-Vorpommerns den Änderungsanträgen des EWN für die Lagerung von atomaren Abfällen in Halle 8 des ZLN nicht stand. Genehmigt ist die Aufbewahrung von hochradioaktiven Brennstoffen auch im Castor-Lager des ZLN nur für Abfälle aus Lubmin und Rheinsberg, begrenzt auf 80 Castoren, zeitlich befristet bis 2039. Ahaus und Gorleben, die einzigen anderen deutschen Zwischenlager, sind aus "technischen Gründen" nicht bereit, den Atommüll des Bundes aufzunehmen. Angesichts der Protestkultur um Gorleben hätte der Bund dort wohl auch mit beachtlichem Widerstand rechnen müssen.
Politischer Sündenfall - "Westmüll" darf doch nach Lubmin
Von Bundesrecht gedeckt muss Mecklenburg-Vorpommern mit der Genehmigung des Bundes im Mai 2010 also hinnehmen, dass Atommüll aus Westdeutschland in Lubmin eingelagert wird: Zusätzlich zu den 65 Castoren aus Rheinsberg und Lubmin sollen fünf Castoren mit insgesamt 2.413 bestrahlten Brennstäben aus dem bundeseigenen Kernforschungszentrum Karlsruhe, einem Tochterunternehmen der EWN, und vier Castoren mit 52 Brennstäben aus dem ehemaligen Atomfrachter "Otto Hahn" nach Lubmin kommen. Diese lagerten bis dato im französischen Kernforschungszentrum Cadarache beziehungsweise in Karlsruhe.
Der Widerstand wächst - auch in der Politk
Gegen die Einlagerung des "Westmülls" regt sich ungewohnt breiter Widerstand in der Region. Parteiübergreifend hagelt es Kritik. Bürgerinitiativen, Umweltorganisationen und Oppositionsparteien organisieren wochenlang Aktionen im ganzen Nordosten. Gelbe Fässer werden medienwirksam durch die Innenstädte gerollt, Lichterketten initiiert, Castor-Modelle aufgebaut, Infostände bespielt, rund 2.000 Teilnehmer demonstrieren im Dezember 2010 in der Greifswalder Innenstadt.
Unter den Demonstranten ist auch der seinerzeit amtierende Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), der sich gegen die Castortransporte nach Lubmin positioniert. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sichert den Protesten die volle Unterstützung ihrer Partei zu, die Castortransporte seien ein "Tourismuskiller für die Region zwischen Rügen und Usedom". Selbst der damalige Innenminister Lorenz Caffier (CDU), dessen Landesbehörde die Transporte absichern muss, verlangt von der Bundesregierung, die Kosten für den Polizeischutz der bevorstehenden Castortransporte zu übernehmen - erfolglos.
Gleisblockaden bei Schnee und Kälte
Mitte Dezember 2010 rollen die Castoren aus Cadarache quer durch Frankreich und die Bundesrepublik und werden unterwegs kaum nennenswert aufgehalten. In Mecklenburg-Vorpommern versammeln sich entlang der Strecke kleinere Mahnwachen, es bleibt friedlich. Die Initiativen, die diesmal auch protesterprobte Teilnehmer aus dem Wendland mobilisieren können, haben mit Schnee und eisiger Kälte zu kämpfen. Etwa 300 Teilnehmer einer Sitzblockade auf den Gleisen kurz vor Lubmin trotzen mit Thermodecken und Tee auf Strohsäcken der Kälte, bis die Polizei sie schließlich wegträgt - gegen Gebühr. Zwei Aktivisten von der Umweltorganisation Robin Wood ketten sich mit einer Betonkonstruktion in den Gleisen fest.
Im Vergleich zu Castortransporten nach Gorleben, bei denen zur gleichen Zeit regelmäßig zehntausende Demonstranten den Aufstand proben, bleibt auch dieser Protest vergleichsweise klein und friedlich. Anders als wenige Wochen später, als die letzten Castoren mit hochradioaktiven Glaskokillen, sogenannter verglaster Atomsuppe, ihre letzte Reise von Karlsruhe nach Lubmin antreten. Da sich der Zug durch das gesamte Bundesgebiet bewegt, kommt es entlang der Strecke zu zu zahlreichen Protestaktionen, bei dem es diesmal Verletzte auf beiden Seiten gibt. Am 17. Februar 2011 kommt der bis heute letzte Castortransport mit hochradioaktiven Brennstoffen im Zwischenlager in Lubmin an.
- Teil 1: Wohin mit dem KKW-Müll?
- Teil 2: Nach der Wende keimt zarter Protest
- Teil 3: Zankapfel "Pufferlagerung" facht Proteste an
- Teil 4: "Estral" soll terrorsicherer Neubau werden