Atomares Zwischenlager Lubmin: Widerstand Fehlanzeige?
Rosmarie Poldrack, damals Medizinstudentin in Greifswald, gründet 1989 in der Wendezeit gemeinsam mit anderen Medizinern die vergleichsweise kleine "Bürgerinitiative Kernenergie", die regelmäßig sogenannte Anti-Atom-Picknicks im Umfeld veranstaltet, auch gegen den Bau des Zwischenlagers klagt. Die damals mit einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent "ärmste Region Deutschlands" könne sich unter diesen Zwängen letztlich zur "Atommüllkippe der Nation" entwickeln, fürchtet die Greifswalder Bürgerinitiative.
Zwischenlager Nord ein "Etikettenschwindel"?
Nach der Wende, scheint es, wird der zuvor sehr dünne und leise Protest lauter. Im November 1991 demonstrieren rund 1.000 Menschen gegen das Zwischenlager. Viel in einer Region, in der Widerstand und ziviler Ungehorsam kaum Tradition haben. Die schiere Größe - eine achtschiffige Halle mit einer Lagerfläche von 180 Metern Länge, 120 Meter breit, 18 Meter hoch - scheint den Kritikern damals überdimensioniert für den atomaren DDR-Abfall. Dies führt zu Vermutungen und Befürchtungen, dass früher oder später atomare Abfälle aus dem gesamten Bundesgebiet in Lubmin eingelagert werden könnten. Die "offizielle Bezeichnung als Zwischenlager Nord" könnte "Etikettenschwindel" sein, fürchtet man. Groß ist die Angst, das Lager könne sich am Ende als größtes überirdisches Atommüll-Endlager Europas entpuppen.
Der erste Castortransport rollt - Besuch von Greenpeace
Als 1996 erstmals teilabgebrannte Brennstoffe aus dem Block 5 das Lager in Richtung Ungarn zur dortigen Weiterverwendung verlassen sollen, blockieren Greenpeace-Aktivisten das Gleis mit einem Baucontainer, 20 Aktivisten ketten sich an den Lagertoren des ehemaligen KKW fest. "Dass sich Greenpeace-Mitglieder an das Werkstor ketten, das war schon ungewohnt", erzählt Marlies Philipp, die fast ihr ganzes Leben auf dem Gelände des ehemaligen KKW gearbeitet hat. Während der Bauzeit des ZLN von 1994 bis 1997 begleiten kleinere Demonstrationen und Protestaktionen immer wieder die geplante Zwischenlagerung an der Ostsee. Mit jedem Protest steigt das Medieninteresse. Immer wieder fordern Demonstranten den sofortigen Baustopp, sammeln mehr als 15.000 Unterschriften in der Region, sogar aus dem benachbarten Polen - vergeblich.
"Atomland Ost" - Lubmin "das neue Gorleben"?
"Atomland Ost" munkelt 1996 auch der "Spiegel" und betitelt das noch im Bau befindliche Zwischenlager als "das neue Gorleben". Greenpeace schätzt, die Kapazitäten des ZLN von 200.000 Kubikmetern würden reichen, um den "Atomschrott aus der ganzen Bundesrepublik einzulagern". Das EWN hält dagegen. Auch die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) verbürgt sich dafür. Dem Nordmagazin gegenüber sagt sie 1998, man habe "politisch sehr deutlich gemacht", dass man "keine hochradioaktiven Brennelemente aus der alten Bundesrepublik in Lubmin haben wolle". Im "Spiegel" bekräftigt sie diese Haltung im gleichen Jahr: "Das Argument, dass die Bevölkerung in Greifswald so ruhig sei, solle nicht für Castor-Transporte aus dem Westen herhalten." Viel Protest gibt es in der Tat nicht. Zur offiziellen Inbetriebnahme des ZLN versammeln sich vor den Toren der Anlage Medienberichten zufolge "vereinzelte Demonstranten".
- Teil 1: Wohin mit dem KKW-Müll?
- Teil 2: Nach der Wende keimt zarter Protest
- Teil 3: Zankapfel "Pufferlagerung" facht Proteste an
- Teil 4: "Estral" soll terrorsicherer Neubau werden