VIDEO: Hamburg damals: Als Altenwerder dem Hafen weichen musste (4 Min)

Altenwerder: Das verschwundene Dorf - nur die Kirche blieb

Stand: 22.10.2024 00:00 Uhr

Für die Erweiterung des Hamburger Hafens wurde das Dorf Altenwerder ab 1977 abgerissen - nur die Kirche St. Gertrud steht bis heute. 2.500 Menschen lebten früher dort. Sie verloren ihr Zuhause und ein Stück Identität.

Als Altenwerder verschwand, geschah das nicht von heute auf morgen. Doch ab 1977 ging es schnell. Innerhalb eines Jahres wurde mehr als die Hälfte der Häuser in dem Hamburger Stadtteil abgerissen. "Ein Zahn nach dem anderen wurde rausgeknackt, weil sobald einer verkauft hat, kam der Bagger und hat das Haus umgerissen", erinnert sich Klaus Lippmann 2024 im Hamburg Journal des NDR.

Zuhause und Identität verloren

Hamburg-Altenwerder in den 1970er-Jahren: Blick aus einem Abbruchhaus auf die Elbe. © NDR
Heute nicht mehr möglich: Ein Blick auf die Elbe durch das Fenster eines Hauses in Altenwerder.

2.500 Menschen lebten früher in dem ehemaligen Fischerdorf am Köhlbrand. Sie verloren ihr Zuhause und ein Stück Identität. "Ich habe als junger Mensch schon immer gesagt, dieser alte Spruch: 'Nen alten Baum, den verpflanzt man nicht'", merkt Bernd Meyer vom Förderverein Altenwerder an.

Für Klaus Lippmann und Bernd Meyer ist Altenwerder bis heute Heimat. Die Erinnerung bleibt - an ein intaktes Dorfleben und eine unbeschwerte Kindheit. Die Natur und der viele Platz, das könne man sich heute gar nicht mehr vorstellen, so Lippmann. Es gab Kneipen, Geschäfte, Handwerksbetriebe, Landwirtschaft. "Das war wie die Prärie in Amerika - mit Wildwuchs und Weidenbüschen. Da konnten wir Erdhöhlen bauen und Kartoffeln braten. Das war einfach toll", schwelgt Lippmann in seinen Erinnerungen.

Hafenerweiterung: Altenwerder soll Industriegebiet werden

Doch der Hafen mit seinen Industrieanlagen dehnte sich aus. Mit dem Hafenerweiterungsgesetz von 1961 beschloss die Stadt, dass Altenwerder Industriegebiet werden solle - jedenfalls perspektivisch. Von nun an durften die Einwohner des Dorfes nichts mehr bauen oder Wesentliches auf ihren Grundstücken verändern. Viele Bewohner wollten die Bedrohung, Haus und Hof zu verlieren, nicht ernst nehmen - und lange passierte auch wenig.

Gutachter schätzen den Wert der Häuser

Hamburg-Altenwerder in den 1970er-Jahren: Ein Gutachter ermittelt den Wert der Häuser, die abgerissen werden sollen. © NDR
Für ihre zum Abriss vorgesehenen Häuser sollen die Bewohner eine Entschädigung bekommen.

Anfang der 1970er-Jahre übernahm Klaus Lippmann die Seilerei seiner Familie in Altenwerder. Im Dorf tauchten Gutachter auf, die den Wert der Häuser schätzten. Unterhändler der Stadt versuchten, die Bewohner mit Entschädigungen zum Wegziehen zu bewegen. Lange kämpften die Bewohner für den Erhalt ihres Dorfes - vergeblich. "Steter Tropfen höhlt den Stein, irgendwann haben sie uns dann doch zu fassen gekriegt", erklärt Unternehmer Klaus Lippmann. 1973 wurde die Räumung des Dorfes schließlich endgültig beschlossen.

"Wir sind 1977 weggezogen. Das war die Hauptzeit, wo es losging, dass Häuser aufgekauft und auch teilweise abgerissen wurden", ergänzt Bernd Meyer. Er ist in Altenwerder groß geworden und war gerade mit der Schule fertig, als die Familie nach Neugraben zog. "Für mich als junger Mensch war es so: 'Es ist jetzt so, wir werden es hier nicht mehr ändern. Da, wo wir hingehen, das kenne ich schon.' Das habe ich für mich als Umfeld so akzeptiert", erzählt Meyer.

Filmaufnahmen vom Abriss bis heute nicht angesehen

Hamburg-Altenwerder in den 1970er-Jahren: Ein Bagger beginnt, ein Haus abzureißen. © NDR
Ein Bagger beginnt in den 1970er-Jahren mit dem Abriss eines Hauses.

"Am schmerzlichsten war das, als das eigene Haus abgerissen wurde. Ich habe das damals auch gefilmt. Ich hab den Film bis heute noch nicht angeguckt", berichtet Klaus Lippmann. Der Unternehmer baute die Seilerei im Stadtteil Hausbruch neu auf und zog 1983 endgültig weg.

Neugraben, Hausbruch, Finkenwerder: Viele, die weggingen, blieben südlich der Elbe und bauten sich dort ein neues Leben auf. In den folgenden Jahren wurden in Altenwerder in großem Stil Häuser abgerissen, 1989 standen nur noch elf Gebäude. Altenwerder verkam zu einem Geisterdorf. Es dauerte etliche Jahre, bis dort wirklich ein Containerterminal für den Hafen entstand.

"Freundschaften fürs Leben"

Das Herz von Klaus Lippmann schlägt bis heute für Altenwerder. "Man hat natürlich versucht, sich gegenseitig zu stützen. Wir haben ja Freundschaften fürs Leben gebildet. Deshalb ist das auch Heimat." Einmal im Jahr treffen sich Ehemalige aus Altenwerder zum sogenannten Klönschnack und feiern ihre Wurzeln.

Altenwerder - ein verschwundenes Dort, das in der Erinnerung weiterlebt. Von dessen Existenz zeugt bis heute die ehemalige Dorfkirche St. Gertrud - zwischen Containerterminal und der Autobahn 7.

VIDEO: Das verschwundene Dorf (2011) ( Min)

Fotos im Filmbeitrag: H.U.Schwartau und Lothar Ehlers

Weitere Informationen
Wohngebäude neben der Köhlbrandbrücke im Hamburger Ortsteil Neuhof © NDR

Hamburg-Neuhof: (K)ein Leben im Schatten der Köhlbrandbrücke

Nach der Fertigstellung der Köhlbrandbrücke im September 1974 zogen viele alteingesessene Neuhofer weg. Die Wohnhäuser wurden plattgemacht. mehr

Die Köhlbrandbrücke, die Verbindung von Norder- und Süderelbe im Hafen der Hansestadt Hamburg, aufgenommen am 24.01.1975. © picture-alliance/ dpa Foto: Georg Spring

Die Köhlbrandbrücke: Seit 1974 Hamburgs Wahrzeichen

Am 20. September 1974 wurde die Köhlbrandbrücke im Hamburger Hafen eingeweiht. Inzwischen ist das Wahrzeichen der Stadt marode. mehr

Autos fahren am 06.05.2003 durch die vierte Röhre des Hamburger Elbtunnels. © picture-alliance / dpa Foto: Soeren Stache

Neuer Elbtunnel: Hamburgs Hoffnungsträger unter Wasser

Am Hamburger Elbstrand beginnen 1968 die Arbeiten am Neuen Elbtunnel. Auch nach dem Bau einer vierten Röhre ist die Unterführung weiter ein Nadelöhr. mehr

Ein Pferdewagen und mehrere Menschen im Alten Elbtunnel © NDR

Der Alte Elbtunnel: Hamburger Baudenkmal im Sanierungszustand

Der erste große Flusstunnel Europas ist 1911 in Betrieb gegangen - und wird seit Jahren saniert. Die Weströhre soll 2025 wiedereröffnet werden. mehr

Die Visualisierung zeigt eine beispielhafte Nutzung der Flächen im Hamburger Hafen. © HPA

Der Hamburger Hafen wird um weitere Flächen erweitert

Der Hafen soll ausgebaut werden - und schon ab diesem Jahr damit begonnen werden. Den Platz können Unternehmen dann nutzen. (04.02.2023) mehr

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 20.10.2024 | 19:30 Uhr

Mehr Geschichte

Ein Lkw fährt in Hannover aus der Georgstraße kommend an der zerstörten Kröpcke-Uhr vorbei. (1945) © picture alliance/dpa/Historisches Museum Hannover

Vor 70 Jahren: Historische Kröpcke-Uhr in Hannover demontiert

Das bekannte Wahrzeichen, das den Krieg überstanden hatte, musste im Zuge der Innenstadt-Modernisierung am 25. Oktober 1954 weichen. mehr

Norddeutsche Geschichte