1994: Russische Jets verlassen Pütnitz
Zum Abschied standen Kinder am Rand der Startbahn. Mit der einen Hand hielten sie sich die Ohren zu, mit der anderen winkten sie den vorbeirollenden Piloten zu. Am 11. April 1994 hoben die letzten MiG 29 vom Flugplatz Pütnitz in Ribnitz-Damgarten ab. Die 48 Jets der 16. Jagdfliegerdivision sollten wenig später auf russischen Flugplätzen landen.
Mit dem Rückflug der Gardeflieger der Westgruppe der russischen Streitkräfte - die nach dem Zusammenbruch des Riesenreichs formal der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) angehörten - endete am Saaler Bodden zugleich das letzte Kapitel der sowjetischen Besatzungszeit in Ostdeutschland.
Einer der wichtigsten Sowjet-Stützpunkte
Seit der Wende verließen insgesamt 65.000 russische Soldaten Mecklenburg-Vorpommern. Das Bundesland im Nordosten war eine Hochburg des Militärs: 3,2 Prozent der Landesfläche - rund 70.000 Hektar - waren bis zur Wende von Einheiten der Roten Armee und der Nationalen Volksarmee (NVA) in Beschlag genommen worden. Der fast 600 Hektar große Stützpunkt Pütnitz war einer der wichtigsten der Sowjets in Ostdeutschland. 13.000 Armee-Angehörige sollen hier zeitweise stationiert gewesen sein: Flieger, Fallschirmjäger, Radar- sowie Reparatur-Einheiten. Offizielle Zahlen wurden nie genannt.
Zersplitterte Fenterscheiben, russische Parolen
Der Ort, an dem eines der letzten Kapitel des Zeitalters des Ost-West-Konflikts endete, wirkt auch Jahrzehnte später noch wie aus der Zeit gefallen. Die großen Hangars, von den Nazis für eine Seefliegerschule erbaut, dann von den Russen übernommen, gehören neben dem Rollfeld und einigen Flugzeugbunkern zu den wenigen verbliebenen Bauten auf dem Flugplatz. Sie stehen heute unter Denkmalschutz. Viele Fensterscheiben sind zersplittert, überall in den Fugen wuchert Grünzeug, die russischen Schriftzüge an den Außenmauern sind hingegen kaum verblichen und auch heute noch gut lesbar.
Pläne: Freizeitpark, Ferienwohnungen
An Plänen für eine zivile Nutzung mangelte es nicht, nachdem das Grundstück erst in Bundeseigentum übergegangen und 2010 von der Stadt Ribnitz-Damgarten gekauft worden war. Mal hieß es, ein Freizeitpark würde errichtet werden, dann wieder sollten riesige Feriensiedlungen gebaut werden. Auch davon, dass die Friedrichshafener Dornier-Werke an der Ostsee ein Fertigungswerk für Wasserflugzeuge aus dem Boden stampfen wollen, war die Rede. Doch aus all dem ist nichts geworden. Stattdessen hat der Technikverein Pütnitz Teile des Areals bezogen. In den Hallen ist das Erbe des Kalten Krieges ausgestellt: vom alten Ural-Laster über Panzer bis zur ausgemusterten MiG 21. Die Vorführungen der Ostblock-Treffen des Vereins, bei denen militärische und zivile Fahrzeuge aus den alten Ostblock-Staaten vorgeführt werden, locken jedes Jahr viele Besucher nach Ribnitz-Damgarten.
"Die Tische waren teilweise noch gedeckt"
Einer der mit dem Flugplatz eng verbunden ist, ist Frank Jastrzynski. Sein Großvater kam aus Preußen und fand am Flugplatz Arbeit als Offiziersschneider. Sein Enkel Frank Jastrzynski ist Mitglied im Technikverein und erinnert sich noch gut daran, als er den Flugplatz um das Jahr 2000 erstmals betrat: "An einigen Ecken standen noch ausgebrannte Lkw herum. Und in den Gebäuden waren teilweise noch die Tische gedeckt - als ob die Russen gerade erst gegangen wären", sagt der 40-Jährige. Auch ein alter Prototyp eines Gotha-Gleitseglers aus den 1930er-Jahren von der Seefliegerstaffel lag auf dem Gelände herum. "Das hat die Russen gar nicht interessiert."
Wodka gegen Sprit
"Der Stützpunkt war eine abgeschlossene Stadt für sich", sagt Jastrzynski. Die Kontakte zwischen den Soldaten und der einheimischen Bevölkerung hielten sich in Grenzen. "Es gab einen Schulklassen-Austausch", erinnert er sich. "Zu Weihnachten hat man gegenseitig Geschenke ausgetauscht." Die Betriebssportgruppen aus dem Umland kamen hin und wieder aufs Kasernengelände, um mit den Soldaten Sport zu treiben. "Und donnerstags, wenn Markt war, kamen die Russen in die Stadt, um frische Lebensmittel einzukaufen. Die Offiziere sind dann mit ihren Frauen einkaufen gegangen, die einfachen Soldaten durften aber nicht mit und mussten solange in den Lastern warten. Außerdem wurde viel getauscht. Einmal konnte die Post in Ribnitz keine Briefe zustellen, weil der Sprit ausgegangen war. Der wurde dann bei den Russen gegen Wodka eingetauscht", weiß Jastrzynski noch. Hin und wieder kam es auch zu Begegnungen der ungewöhnlichen Art. So landete einmal ein russischer Fallschirmspringer direkt vor dem Balkon der Familie. Der Wind hatte ihn wohl abgetrieben.
Abstürze, Abschüsse und Verhaftungen
Aber es ereigneten sich auch einige Dramen rund um den Armeestandort. Seinerzeit fanden sie freilich nicht den Weg in die Zeitungen. Immer wieder stürzten Flugzeuge aus Pütnitz in der Region ab. In den 1980er-Jahren wurde über Zingst eine am Bodden gestartete MiG 21 von der Flugabwehr abgeschossen. Der russische Pilot wollte desertieren. Ebenfalls in den 80er-Jahren wurden Mitglieder der britischen Militärmission bei Wiepkenhagen festgesetzt. Die Agenten hatten versucht, den Flugplatz auszuspionieren.
Mitnehmen, was nicht niet- und nagelfest ist
Für die russischen Soldaten und deren Angehörige bedeutete der Truppenabzug eine Zäsur. Während die einfachen Soldaten ein hartes Leben zwischen Drill und Drangsalierung hatten, ging es den Offizieren und deren Familien vergleichsweise gut. Zu Hause wartete nach dem politischen Umbruch eine ungewisse Zukunft. "Einige wollten gar nicht weg. Die haben sich teilweise in den Schränken versteckt. Später habe ich gesehen, wie in den Kasernen Wände herausgebrochen waren, um die Räume größer zu machen. Die Menschen haben da wohl noch drin gelebt", blickt Jastrzynski zurück. Mitgenommen wurde alles, was irgendwie verwertbar war - zum Bauern, Verfeuern oder Verkaufen. So seien an vielen Gebäuden die Stahltüren herausgerissen - wegen des wertvollen Edelmetallls. "Ein Bekannter aus dem Rostocker Seehafen hat mir erzählt, dass die russischen Container mit Stahl und Altmetall immer sofort auf die Schiffe verladen wurden, die mit dem persönlichen Hab und Gut gingen dagegen manchmal erst ein halbes Jahr später weg."
Russische Veteranen kommen wieder
Während der Flugplatz heutzutage vor sich hindümpelt, finden immer wieder russische Veteranen den Weg zurück an die Stätte ihrer Armee- und oftmals auch Leidenszeit, berichtet Jastrzynski. "In letzter Zeit kommen vermehrt ehemalige Soldaten, um sich den Platz noch einmal anzusehen. Neulich war einer da, der hat bitterlich geweint. Er hat erzählt, dass es tagelang nichts zu essen und zu trinken gab. Die durften auch nicht auf Toilette. Die haben sich in die Hosen gemacht." Im September soll es erstmals ein offizielles Veteranentreffen in Pütnitz geben.
Zukunft im Tourismus?
Wie es mit dem geschichtsträchtigen Schauplatz in Zukunft weitergehen soll, ist offen. Derzeit plant die Stadt, auf dem Ribnitzer See - dem südlichen Teil des Saaler Bodden - eine künstliche Insel mit Innenhafen zu entwickeln. Rundherum sollen bis zu 3.500 Übernachtungsbetten entstehen. Ein Raumordnungsverfahren soll nach Angaben von Ribnitz-Damgartens Bürgermeister Frank Ilchmann im Herbst abgeschlossen werden. Vorgespräche mit möglichen Betreibern würden derzeit geführt.