Günter Kunert - Der heitere Melancholiker
Eine Annäherung an Günter Kunert, wie könnte sie aussehen? Lyriker, Aphorismenschreiber, Hörspielautor und auch Maler - all das trifft zu und trifft es doch nicht ganz. Hier schreibt einer mit seinen eigenen Worten "übertrieben metaphorisch gesagt auf Tod und Leben". Geradezu unüberschaubar mutet das Werk des Autors an, der 1929 geboren wurde. Schreiben hält er "für eine Art Zwangsneurose". Für diese These ist er wohl selbst das beste Beispiel, weist seine Bibliografie doch mehr als 200 Titel auf. Sein aktueller Verlag beschränkt sich daher in simpler Manier auf die Auflistung der verlegten Werke seit 1990.
Lyrik im Zentrum des Schaffens
Für Kunert selbst hingegen, bleibt die Lyrik "das Zentrum dessen, was ich betreibe." Um diesen Kern herum gruppieren sich dann - in mit der Länge der Texte zunehmender Entfernung - alle anderen Gattungen seines Schaffens. Gedichte und kurze Prosa stehen auch im Mittelpunkt des Buchs "Der alte Mann spricht mit seiner Seele" von 2006. Mit diesem Band zieht Kunert eine verschmitzt-weise Lebensbilanz.
Kronzeuge eines Jahrhunderts der Katastrophen
Die Historie ist eines der großen Stichworte des Schriftstellers, der nach eigenen Angaben gerne Archäologe geworden wäre. Den großen Hannoveraner Geschichtspessimisten und Philosophen Theodor Lessing schätzt Kunert sehr, denn auch seinem eigenen Werk wohnt eine tiefe Skepsis gegenüber den historischen Abläufen inne. Sie speist sich aus seiner eigenen Biografie.
Am 6. März 1929 wird er in Berlin geboren und erlebt, wie der Terror der Nazis seine Familie zerstört. Aufgrund seiner jüdischen Mutter gilt er als "Halbjude", darf keine weiterführende Schule besuchen. Viele Verwandte von ihm werden von anderen Deutschen ermordet. Als "rassisch minderwertig" und "wehrunwürdig" ausgemustert, überlebt er den Krieg und debütiert 1947 mit dem Gedicht "Ein Zug rollt vorüber" in der Tageszeitung "Berlin am Mittag". 1949 tritt er als glühender Sozialist in die SED ein.
Brechts "Ohr an den Massen"
Johannes R. Becher und Bertolt Brecht werden um 1950 herum auf ihn aufmerksam und fördern ihn. In diesen Jahren seines "intellektuellen Aufbruchs" sei er für Brecht so etwas wie das "Ohr an den Massen" gewesen, berichtet Kunert später. Der damals bereits über 50-jährige Brecht habe versucht, durch ihn mit den Gedanken und Gefühlen der Nachkriegsjugend in Verbindung zu kommen. Der Glaube an die real existierende Utopie hält angesichts der sozialistischen Realität nicht lange vor. 1962 erhält Kunert in Ost-Berlin den Heinrich-Mann-Preis, doch schon wenig später beginnen die Konflikte mit dem SED-Regime.
- Teil 1: Der heitere Melancholiker
- Teil 2: Die "Kassandra von Kaisborstel"
- Teil 3: Vor Altersweisheit wird gewarnt