Werner Pinzner: Ein Auftragskiller schockt St. Pauli
Mit Werner Pinzner wurde aus einem Kleinkriminellen ein skrupelloser Auftragsmörder. Im Rotlichtmilieu auf St. Pauli tötete er mindestens fünf Menschen und sorgte für einen der spektakulärsten Fälle in Hamburgs Kriminalgeschichte.
Werner "Mucki" Pinzners Vita liest sich zunächst wie die eines Kleinkriminellen. Er hat keine leichte Jugend, begehrt auf und gerät auf die schiefe Bahn. Ohne Schulabschluss und mit abgebrochener Lehre scheinen Pinzners Möglichkeiten begrenzt. Er hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser - und fällt immer wieder durch kleinere Straftaten auf. Doch dann geht er unter die Schwerverbrecher, mit zwei Komplizen begeht er einen Raubüberfall, bei dem ein Mensch stirbt. Es gibt keinen Weg mehr zurück in ein bürgerliches Leben. Im Gegenteil: Noch im Strafvollzug verübt Pinzner einen Mord. Es ist der Beginn einer unheilvollen Entwicklung zum "Killer der Nation".
Mit einer Mordserie trifft er Mitte der 80er-Jahre die Fachdirektion 65 mitten ins Herz, die als Spezialeinheit gegen das Organisierte Verbrechen auf St. Pauli kämpft. Die True-Crime-Dokumentation "Reeperbahn Spezialeinheit FD65" - als fünfteilige Serie in der ARD-Mediathek - blickt auf die Arbeit der Ermittler zurück und leuchtet dabei auch die Rolle des Auftragsmörders Pinzner aus.
Flucht aus dem Kleine-Leute-Stadtteil Bramfeld
Werner Pinzner wird am 27. April 1947 als Sohn eines Rundfunkmechanikers und einer Verkäuferin in Hamburg geboren. Kindheit und Jugend verbringt er Bramfeld, einem bürgerlichen Stadtteil im Nordosten der Stadt. Schon als Schüler hat er ein Problem mit Autoritäten, er legt er sich mit Lehrern an, seine Eltern bedroht er mit dem Messer und geht bei ihren Streitereien dazwischen. Mitschüler erpresst und verprügelt er. So kommt der jugendliche Pinzner früh mit dem Gesetz in Konflikt. Die Schule bricht er schließlich ab, auch eine Schlachterlehre wirft er nach einem Jahr hin. Pinzner versucht, der bürgerlichen Enge der 60er-Jahre zu entfliehen - in die große, weite Welt?
Neue Perspektive bei der Bundeswehr
1964 heuert Pinzner auf einem Schiff an, weil der Vater es so will. Aber auch auf See hält es ihn nur ein knappes Jahr. Anschließend arbeitet er einige Wochen lang als Fahrer. Nach einer Messerstecherei verbringt er 1966 drei Wochen im Krankenhaus. Eine neue Chance bekommt Pinzner bei der Bundeswehr, aber auch hier eckt er an, weil er keine Grenzen anerkennt. Eine Verpflichtung als Zeitsoldat scheitert wegen seiner Vorstrafen. Pinzner muss die Streitkräfte verlassen. Die Ablehnung kratzt am Ego, als Ungelernter muss er sich weiter mit diversen Jobs durchschlagen.
Hochzeit und Geburt der Tochter Birgit
Privat läuft es zunächst besser: Pinzner heiratet zum ersten Mal, 1971 kommt Tochter Birgit auf die Welt. Nach ihrer Geburt jobbt er als Gerüstbauer, Fliesenleger und Schlachter - "also überall dort, wo er bestimmt keine Macht über andere Menschen hatte", schreibt die "Welt". Immer wieder gerät er auf die schiefe Bahn, klaut und prügelt sich. Das ändert sich auch nicht nach der Bekanntschaft mit Jutta. 1974 lernt er die schüchterne Angestellte aus gutem Hause in der Disco "Big Ben" kennen. Alle vier Wochen trifft sich das Paar heimlich, da Pinzner noch verheiratet ist. Die etwas biedere Frau verfällt dem Mann mit dem Schnauzbart, den sie "Mucki", "Geilus" oder "Gott" nennt. Sie begibt sich schließlich in eine psychische wie physische Abhängigkeit.
Werner Pinzner fährt für zehn Jahre in "Santa Fu" ein
Im August 1975 nimmt Pinzners Leben eine entscheidende Wende: Mit zwei Komplizen überfällt er einen Supermarkt, der Marktleiter wird dabei erschossen. Es ist der Anfang einer beispiellosen kriminellen Entwicklung. Weil die Ermittler Pinzner nicht nachweisen können, für den Tod des Filialleiters verantwortlich zu sein, beläuft sich die Freiheitstrafe auf zehn Jahre. Seine erste Frau Elfi lässt sich daraufhin scheiden, Jutta schreibt ihm Briefe und besucht ihn in der JVA Fuhlsbüttel. 1976 heiraten die beiden in "Santa Fu", wie die Haftanstalt im Volksmund heißt. Jutta nimmt Pinzners Tochter zu sich.
Kontakte zu Mitinsassen aus dem Hamburger Rotlichtmilieu
Im gleichen Jahr lernen die Pinzners Isolde Oechsle-Misfeld kennen. Die Anwältin betreut mehrere Kiez-Größen und hilft dem Verurteilten Pinzner bei Problemen und Vergünstigungen im Vollzug. Sie gehen zunächst wieder getrennte Wege. Im Hamburger Gefängnis geht es in den 70ern eher lax zu: Für Inhaftierte ist der Zugang zu Drogen, Waffen oder Kontakten mit Komplizen in Freiheit leicht zu organisieren. Auch Pinzner kommt in Berührung mit Drogen, darüber hinaus knüpft er Kontakte zu Mitinsassen, die im Rotlichtmilieu auf St. Pauli einen gewissen Rang und Namen haben.
Als Freigänger beschafft sich Pinzner eine Waffe
Nach einem erneuten Mandat erwirkt Anwältin Oechsle-Misfeld, dass Pinzner das letzte Jahr seiner Haftstrafe im offenen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt Vierlande verbringt. Möglich macht das der liberale Hamburger Strafvollzug mit seinem Resozialisierungsprogramm. In der JVA verfügt Pinzner über ein Schließfach, das nie durchsucht wird. Er besorgt sich einen Revolver der Marke Arminius vom Kaliber 38 Special - und deponiert ihn im besagten Schließfach. Der Revolver hat eine Besonderheit: Er besitzt zehn statt der üblichen sechs Züge und hat einen Rechtsdrall. Eine Waffe wie eine Visitenkarte.
"Ich geh hin und knall ihn weg"
Noch während seiner Zeit als Freigänger begeht Pinzner das nächste Verbrechen: Im Juni 1984 überfällt er mit seiner Knast-Bekanntschaft aus dem Rotlichtmilieu, Armin Hockauf, einen Geldboten. Die Beute: 70.000 D-Mark. Nur einen Monat später soll er einen Zuhälter einschüchtern, indem er ihm einen Finger abhackt. Auftraggeber ist Josef Peter Nusser, auch "Wiener Peter" genannt. Doch Pinzner macht kurzen Prozess: "Ich geh hin und knall ihn weg", zitiert ihn der Autor Marco Maurer. Das Opfer ist der Kieler Bordell-Besitzer Jehuda Arzi alias Hans Jenö Müller. Fatal ist: Noch im selben Monat wird Pinzner entlassen, weil die Strafkammer beschließt, seine Reststrafe auszusetzen.
Ein kleiner, böser Möchtegern-Gott aus den Wohnsilos von Hamburg-Steilshoop, der ein ungelernter Arbeiter war. Auch als Kellner auf St. Pauli bekam er wenig Anerkennung. Da suchte er sich einen Job, der allen Ehrfurcht einflößte: Mörder. aus "DER SPIEGEL" 36/1987
Mordserie an fünf Zuhältern schockt das Milieu
Der Mord an Arzi im Juli 1984 ist nur der Anfang einer kaltblütigen Mordserie, die deutschlandweit erschüttert. In kurzen Abständen sterben weitere Zuhälter aus dem Milieu: der Hamburger Zuhälter Dieter Pfeilmeier und der Münchener Bordell-Besitzer Dietmar Traub. Am Ostermontag 1985 trifft es Bordell-Besitzer Waldemar Dammer und seinen Wirtschafter Ralf Kühne. Immer handelt sich dabei um unliebsame Konkurrenten vom "Wiener Peter" und seinem Geschäftspartner Gerd "Erzengel" Gabriel.
"Ich habe von Flensburg bis Süddeutschland gemordet"
Der aus Österreich stammende Lude Nusser hat sich auf dem Kiez ein Bordell-Imperium aufgebaut. Seinen Einfluss will er weiter ausbauen und im Kampf um Macht und Geld im Geschäft mit Prostitution und Drogen die Oberhand behalten. Der kokainsüchtige Pinzner kommt ihm dabei sehr gelegen. Dem geht es um Macht, Anerkennung und Bewunderung. Er brüstet sich mit seinen Taten: "Ich habe von Flensburg bis Süddeutschland gemordet", gibt Staatsanwalt Martin Köhnke in der True-Crime-Dokumentation "Reeperbahn Spezialeinheit FD65" die Worte Pinzners wieder. Und seiner Schwester Monika schreibt er über seine Aufträge laut "Hamburger Abendblatt": "Du, das ist ein Job wie jeder andere. Das Arbeitsamt hatte ja doch nichts für mich."
Unter Hamburgs Zuhältern herrscht Unruhe und Unsicherheit
Doch Pinzner bleibt unter den Kiez-Größen ein Handlanger und Außenseiter - als Junkie allerdings ein unberechenbarer. Und so herrscht Unruhe und Unsicherheit unter den Zuhältern auf dem Kiez, als durchsickert, dass wohl Pinzner hinter den Morden steckt. "Wir waren im Empire feiern. Da hat sich das Milieu getroffen und Pinzner war drüben bei der Staatsoper und hat uns beobachtet, wie wir da oben saßen. Und dann hat man schon dieses blöde Gefühl", sagt Carsten Marek in der True-Crime-Doku. Der ehemalige Kampfsportler ist ab den 80ern als Zuhälter tätig.
Sex, Crime - Kiez
Soko 855 muss Pinzner schnell "dingfest machen"
Rolf Bauer arbeitet damals in der Sonderkommission 855 als leitender Ermittler. Der Leiter der Fachdirektion 65, Wolfgang Sielaff, hatte die Soko der Polizei nach dem fünften Mord ad hoc aufgestellt. Bauer erhält eine Woche nach den letzten beiden Morden einen Zeugen-Anruf. Pinzner wird darin als Täter bezichtigt; Anstifter soll der "Wiener Peter" sein. Als wichtiger Zeuge entpuppt sich Gerd Gabriel. Der Druck auf die Ermittler ist groß, weil in dem Gespräch mit Gabriel schnell deutlich wird, dass die "Chikago-Bande" den Fall Pinzner selbst in die Hand nehmen will. Die Angst vor dem unberechenbaren Killer im Milieu ist offenbar immens. Ein schneller Zugriff ist aber auch für die Beamten nicht ohne Risiko: "Pinzner hatte ja immer gesagt: 'Ich lass mich nicht verhaften. Ich. Dann nehme ich noch einige Leute mit'", äußert Wolfgang Sielaff seine damaligen Befürchtungen.
Auftragskiller geht den Ermittlern in die Falle
Für die Soko eilt es also, sie müssen den Luden zuvorkommen. Mit einer überraschenden Finte wird Pinzner in eine Falle gelockt - und am Morgen des 15. April 1986 in seiner Wohnung an der Steilshooper Allee überwältigt. "Der Kollege sah, dass Pinzner nur mit einem Bademantel bekleidet war und auch keine Waffe oder irgendwas getragen hat. Und hat dann sofort die Situation erkannt und zugegriffen", beschreibt Bauer die Verhaftungssituation. Im Polizeipräsidium sagt Pinzner zum leitenden Staatsanwalt Wolfgang Bistry: "Ihr habt den Richtigen, ich kann euch alles erzählen."
Pinzner richtet Blutbad im Polizeipräsidium an
Doch wie schon bei seiner ersten Haftstrafe genießt Pinzner gewisse Freiheiten. "Mucki ließ die Herren für sich springen. Er durfte sich in einer Polizeikaserne zum Schäferstündchen mit seiner Frau Jutta treffen, ließ sich sein Essen vom Hotel Atlantic in die Zelle bringen - und Kokain angeblich von seiner Anwältin", schreibt 1987 der "Spiegel". Pinzners Anwältin Oechsle-Misfeld ist es auch, die am 29. Juli 1986 eine Waffe ins Präsidium schmuggelt und auf einer Toilette deponiert.
Jutta Pinzner wiederum schleust den Revolver ins Vernehmungszimmer. Dort soll ihr Mann umfänglich aussagen. Bei der Vernehmung kommt es schließlich zur Tragödie. Pinzner schießt auf Bistry, dann richtet er die Waffe auf seine Frau, die vor ihm kniet. Er schießt ihr durch den Mund in den Kopf, anschließend tötet er sich selbst.
"Mit einem Knall von dieser Welt verabschiedet"
"Diese Waffe ist von der Anwältin aus der Hand hochkarätiger Kiezianer besorgt worden, die ein Interesse daran hatten, dass Pinzner das tun würde, was ihnen die Sorge nimmt", fasst der damalige Staatsanwalt Martin Köhnke zusammen. Alles also, nur nicht plaudern. Der wichtigste Zeuge für die Ermittler ist nun tot.
Bei der Durchsuchung von Pinzners Gefängniszelle finden die Ermittler unter anderem sein Tagebuch. Ausdrücklich geht laut Köhnke daraus hervor, dass sich Pinzner diesen "Exitus Triumphalis" gewünscht und von langer Hand geplant hat. "Er wollte sich mit einem Knall von dieser Welt verabschieden", bringt es der damalige Polizeireporter Thomas Osterkorn auf den Punkt.
Ermittler geben im Fall Pinzner nicht auf
Nach einer kurzen Schockstarre sind die Beamten erst recht hoch motiviert, den Fall aufzuklären. Für wen hat Pinzner getötet? Und von wem hatte die Anwältin die Waffe? Isolde Oechsle-Misfeld selbst wird 1988 wegen Beihilfe zur fahrlässigen Tötung zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Und im Zuge der Ermittlungen fallen Namen. "Da wurde der Name genannt von jemandem, der die Waffe dann gegeben hat und das war eben Schwensen", erläutert Sielaff.
Karl-Heinz Schwensen bestreitet, an der Beschaffung der Tatwaffe beteiligt gewesen zu sein. Doch er kommt vor Gericht, allerdings nicht allein: Im Oktober 1989 verurteilt die Große Strafkammer 21 des Landgerichts Hamburg ihn, Reinhard "Ringo" Klemm und Holger Sass wegen fahrlässiger Tötung und anderer Delikte zu je drei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die drei die Waffe besorgt hatten, mit den Pinzner im Polizeipräsidium geschossen hat.
Auch Pinzners Auftraggeber können die Ermittler schließlich dingfest machen: 1990 wird der "Wiener Peter" Peter Nusser wegen mehrerer Auftragsmorde zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach 13 Jahren und neun Monaten Haft wird er nach Österreich abgeschoben.