Porträt von Uwe Johnson. © picture alliance / dpa | dpa

Uwe Johnson: Dichter der deutschen Teilung

Stand: 23.02.2024 05:00 Uhr

Die Spaltung Deutschlands war sein zentrales Motiv, doch Uwe Johnson selbst wurde weder in Ost- noch in Westdeutschland heimisch. Am 23. Februar 1984 starb der Dichter im Alter von nur 49 Jahren in England.

von Irene Altenmüller

Uwe Johnson gilt als derjenige deutsche Autor, der die Spaltung Deutschlands und seine Folgen für den Einzelnen am konsequentesten ins Zentrum seines Schaffens gestellt hat. Er selbst lernte beide deutsche Staaten kennen, kam als Flüchtlingskind nach Mecklenburg und kehrte der DDR als junger Schriftsteller den Rücken. Doch auch in der Bundesrepublik wurde er nie ganz heimisch.

Undatierte Aufnahme des Schriftstellers Uwe Johnson (Archivbild) © dpa Foto: Binder
AUDIO: Das Uwe-Johnson-Puzzle (54 Min)

Güstrow, Rostock, Leipzig: Johnson zieht oft um

Uwe Johnson hat in seinem Leben mehrmals die Wohnorte gewechselt - nicht immer freiwillig. Johnson wird am 20. Juli 1934 im Pommerschen Kammin, im heutigen Polen, geboren. 1945 flieht er mit Mutter und Schwester vom bisherigen Wohnort Anklam nach Mecklenburg. Sein Vater war von der Roten Armee interniert worden, wird 1948 für tot erklärt. Die Familie baut sich eine neue Existenz in Güstrow auf, wo Johnson das Abitur macht. Er studiert zunächst in Rostock, wird jedoch exmatrikuliert, weil er eine Kampagne gegen die evangelische "Junge Gemeinde" öffentlich kritisiert. 1953 wird Johnson wieder an der Universität zugelassen. Er setzt sein Germanistik-Studium in Leipzig fort und macht dort 1956 sein Diplom.

Aufsehenerregender Debütroman

1959 erscheint mit "Mutmassungen über Jakob" Johnsons erster Roman - nicht etwa bei einem Verlag in der DDR, sondern beim westdeutschen Suhrkamp-Verlag. Die Geschichte handelt von dem 28-jährigen Eisenbahner Jakob Abs, der von einer Lokomotive überrollt wurde. War es ein Unfall? Selbstmord? Oder gar ein politischer Mord? Johnson erzählt aus wechselnder Erzählperspektive und setzt damit stilistisch und formal neue Maßstäbe. Der Leser muss sich aus den bruchstückhaften Informationsfetzen - Dialogen, inneren Monologen, Berichten von Freunden und Gegnern - sein eigenes Bild des Geschehens machen.  

Sowohl wegen seiner neuartigen Erzählstruktur als auch wegen des zentralen Themas, das die Zerrissenheit des Einzelnen im geteilten Deutschland widerspiegelt, erregt der Roman großes Aufsehen. Er ist neben Günter Grass' "Blechtrommel" das literarische Ereignis des Jahres 1959. Im selben Jahr siedelt Johnson nach West-Berlin um. Fortan zählen die Kritiker ihn zu den bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Johnson wird Mitglied der Gruppe 47 - gleichsam ein Ritterschlag innerhalb der deutschen Literaturszene. 1960 erhält er den Fontane-Preis der Stadt West-Berlin.

"Das dritte Buch über Achim"

14 Tage vor dem Bau der Mauer in Berlin erscheint Johnsons zweiter Roman "Das dritte Buch über Achim". Es handelt von dem Versuch eines westdeutschen Journalisten, eine Biografie über das ostdeutsche Radsport-Idol Achim zu verfassen - und von seinem Scheitern, als er merkt, dass sich die Wahrheit nicht feststellen lässt. Wieder ist die deutsche Teilung zentrales Motiv der Erzählung, wie auch in seinem 1965 veröffentlichten Roman "Zwei Ansichten".

Uwe Johnson © picture alliance/United Archives
AUDIO: Das dritte Buch über Achim (1/2) (68 Min)
Uwe Johnson © picture alliance/United Archives
AUDIO: Das dritte Buch über Achim (2/2) (74 Min)

Schreibkrise und Neuanfang: Der Kampf mit dem Selbst

Der Schriftsteller Uwe Johnson 1973 © picture-alliance / dpa/dpaweb Foto: Manfred Rehm
Uwe Johnson 1973. Nur ein Jahr später verfiel er in eine tiefe seelische Krise.

Von 1966 bis 1968 lebt Johnson mit seiner Familie in New York, wo er als Schulbuchlektor arbeitet. Dort verfestigt sich auch seine Freundschaft zu der politischen Philosophin Hannah Arendt, die bis zu ihrem Tod 1975 halten sollte. In New York beginnt Uwe Johnson 1968 sein viel gerühmtes Hauptwerk, die "Jahrestage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl". Der erste Band erscheint 1970, der zweite und dritte Teil schließen sich 1971 und 1973 an.

1974 zieht Uwe Johnson nach Sheerness-on-Sea auf der Themse-Insel Sheppey. Dort verfällt er in eine tiefe seelische Krise, die sich in einer fast zehn Jahre andauernden Schreibblockade manifestiert. 1979 ist der Autor Gastdozent für Poetik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Im selben Jahr erhält er den Thomas-Mann-Preis. 1983 erscheint schließlich der vierte Band der "Jahrestage".

In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 1984 stirbt Uwe Johnson in Sheerness-on Sea an Herzversagen. Dieses Datum gilt als wahrscheinlich und liegt Berechnungen zugrunde. Denn seine Leiche wird erst knapp drei Wochen später, am 12. März, aufgefunden.

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Uwe Johnson © picture alliance/United Archives

Lesung: "Aus dem Leben Gesine Cresspahls" von Uwe Johnson

Zum 40. Todestag von Uwe Johnson liest Rolf Boysen einen Seitenstrang aus Johnsons monumentalem Werk "Jahrestage". mehr

Uwe Johnson: "Dichter beider Deutschland"

Schon kurz nach dem Erscheinen seines ersten Romans ehrte die Literaturkritik Uwe Johnson mit dem Titel "Dichter beider Deutschland". Johnson selbst lehnte diese Festlegung ab: "Damit können sie mir gestohlen bleiben", so der Schriftsteller wörtlich.

Und doch trifft die Bezeichnung durchaus zu. Denn die deutsche Teilung und das, was die politischen Umstände mit den Menschen anstellen, wie sie in das Individuum hineinwirken, diese Themen sind zentrale Motive seines Werks. Die Schicksale von Johnsons Figuren sind, obgleich auch universell lesbar, sehr deutsche Schicksale.

Weit nach dem Mauerfall hat Johnson mit seinem Werk zusätzlich an Bedeutung gewonnen - als Dokumentar des Traumas der deutsch-deutschen Teilung. Zu seinen Ehren wird bereits seit 1994 jährlich der Uwe-Johnson-Preis verliehen.

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