Hannah Arendt und die "Banalität des Bösen"
Sie gilt als unbequeme Denkerin: Nach der NS-Zeit analysierte Hannah Arendt Wirkungsweisen totalitärer Herrschaft. Ihr Begriff der "Banalität des Bösen" hat kontroverse Debatten ausgelöst. Am 4. Dezember 1975 starb die jüdische Politologin aus Hannover-Linden in New York.
Sie wollte einfach nur verstehen - auch wenn das bedeutet, "dahin zu denken, wo es wehtut", wie Hannah Arendt sagte. "Denken ohne Geländer" nannte sie das einmal. Themen wie Totalitarismus, Macht und die Verbrechen im Nationalsozialismus beschäftigten sie. Als ihr politisches Hauptwerk gilt "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", in dem sie auf die Strukturlosigkeit totaler Regierungen hinwies und den Terror zum entscheidenden Merkmal des Totalitarismus erklärte. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie 1961 als Berichterstatterin über den Eichmann-Prozess in Jerusalem bekannt.
Kindheit in Linden und Königsberg
Die Deutsch-Jüdin wird am 14. Oktober 1906 als Johanna Arendt im damals selbstständigen Linden, dem heutigen Hannover-Linden, geboren. Als sie knapp drei Jahre alt ist, zieht die sozialdemokratisch geprägte Familie zurück nach Königsberg, der Heimat ihrer Eltern. Der Vater stirbt wenige Jahre später. Arendt studiert Philosophie, unter anderem bei Martin Heidegger, und promoviert bei Karl Jaspers.
Flucht vor den Nazis nach Frankreich und in die USA
Nach der NS-Machtergreifung wird sie 1933 zunächst von der Gestapo verhaftet, kann später aber mit ihrem Mann und ihrer Mutter nach Paris fliehen. 1941 zieht sie weiter in die USA. Dort arbeitet sie als Kommentatorin und Lektorin und erhält nach der Veröffentlichung einer Analyse über "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" 1951 auch eine Professur am New Yorker Brooklyn College, später eine an der University of Chicago.
Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess
1961 reist Hannah Arendt nach Israel, um den Gerichtsprozess gegen den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann zu verfolgen. Eichmann war im Dritten Reich für die Organisation der Deportation der Juden verantwortlich gewesen und damit mitverantwortlich für die Ermordung von Millionen Menschen.
Zurück in New York, beginnt sie ihre Gedanken zu sortieren und niederzuschreiben. 1963 erscheint im "The New Yorker" eine fünfteilige Essay-Serie. Und rasch folgt auch das Buch: "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen".
Arendts Ausdruck der "Banalität des Bösen"
In ihrer Analyse des Prozesses vertritt sie die kontroverse Ansicht, dass Eichmann eine deutlich kleinere Rolle bei der "Endlösung der Judenfrage" gespielt habe, als die Anklage ihm unterstellte. Die jüdische Politologin stellt zudem die Mittelmäßigkeit und Gedankenlosigkeit des NS-Funktionärs in den Mittelpunkt, der als einer der größten Verbrecher seiner Zeit gilt. Dabei will sie die Nazi-Verbrechen - und auch "das Böse an sich" - keineswegs kleinreden.
Für ihren Begriff von der "Banalität des Bösen" wird Arendt heftig kritisiert und angefeindet. Einer ihrer schärfsten Kritiker ist der Religionsphilosoph Gershom Scholem. Er attestiert Arendt, die zwar keiner religiösen Gemeinschaft angehört, sich aber als Jüdin versteht, einen Mangel "der Liebe zum jüdischen Volk" und eine "Akzentsetzung", die "völlig einseitig" und "dadurch bitterböse" wirke.
Lebenslange Forschung über die Macht des Totalitarismus
Die fatale Macht des Totalitarismus bleibt fortan eines ihrer zentralen Forschungsgebiete. Eingehend beschäftigt sie sich mit der Frage, wie das Böse im Menschen und durch den Menschen entsteht - und trotzdem verliert sie nicht das Vertrauen. "Wir schlagen unseren Faden durch ein Netz von Beziehungen" erklärte sie, "wir sind alle darauf angewiesen zu sagen: 'Herr, vergib Ihnen, was sie tun, denn sie wissen nicht, was sie tun.' Das gilt für alles Handeln."
Im Alter von 69 Jahren stirbt Hannah Arendt am 4. Dezember 1975 in New York. Zeitlos aktuell werden ihre philosophischen und gesellschaftspolitischen Theorien auch heute noch viel gelesen und zitiert.
In der Aktualität erinnern: Hannah Arendt Tage in Hannover
In Erinnerung an die unabhängige Denkerin veranstaltet die Stadt Hannover seit 1998 einmal im Jahr die Hannah Arendt Tage: In Kooperation mit der Leibniz Universität Hannover und der Volkswagenstiftung steht in der Veranstaltungsreihe jeweils ein aktuelles politisches und gesellschaftliches Thema zur Debatte. So standen die Hannah Ahrendt Tage in diesem Jahr unter dem Motto "Fragil - Stabil? Demokratie 2020".