Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf und die Biberrettung
Johann Adolf Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf nimmt sich bereits im 17. Jahrhundert der Biberrettung an. Denn der Nager ist damals heiß begehrt und in seiner Art bedroht.
Norddeutschland ist im Mittelalter von dichten Wäldern bedeckt, Lebensgrundlage und Lebensraum vieler Tierarten, die aus heutiger Sicht exotisch erscheinen: Auerochsen, Wildpferde, Bären, Elche und Wisente streifen umher. Auch Biber sind zu jener Zeit in ganz Europa anzutreffen und weit verbreitet. Doch mit der zunehmenden Jagd finden sie immer weniger Lebensgrundlagen. Der Mensch steht damit in Konkurrenz zur Lebenswelt der Tiere. Deshalb gilt der Biber in Schleswig-Holstein schon im späten Mittelalter als ausgestorben. Ein Fürst aus Schleswig-Holstein erkannte die Bedrohung und versuchte sich - allerdings aus wohl eher eigennützigen Beweggründen - in Artenschutz: Johann Adolf Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf.
Vom ersten protestantischen Bischof zum jungen Herzog
Vielleicht war es sein Wissensvorsprung, den er, 1575 auf Schloss Gottorf geboren, als sechstes Kind und dritter Sohn Adolf I. von Schleswig-Holstein und Christine von Hessen, genoss: Er wird am Hofe seines Onkels Wilhelm IV. von Hessen-Kassel erzogen. Gelehrte inspirieren und prägen ihn, sein Wissensdurst treibt ihn voran. Als seine beiden älteren Brüder Friedrich II. und Philipp, letzterer im zarten Alter von 20 Jahren, sterben, wird Johann Adolf Herzog.
Dabei hatte der Vater eigentlich zunächst ganz andere Pläne: Johann Adolf bekam mit zehn Jahren das Amt des Erzbischofs von Bremen - und ein Jahr später auch von Lübeck - zugedacht und war damit der erste protestantische Bischof. Mit dem Tod der beiden älteren Brüder ändert sich sein Leben schlagartig. Johann Adolf ist zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 15 Jahre alt.
Strategische Familienplanung für Machtausbau
Johann Adolf wächst heran, stellt sich strategisch geschickt auf und positioniert sich in großer Nähe zu König Friedrich II. von Dänemark: Er heiratet dessen Tochter Augusta, bekommt mit ihr sieben Kinder und sichert damit die Nachfolge. Die Quellen sprechen bei der Verbindung nicht von Liebe - aber von großem strategischem Geschick des neuen Herzogs.
Mit Johann Adolf wird das Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf glanzvoll und mächtig. Endlich kann sich Johann Adolf nach der Einigung mit seinem Bruder darauf konzentrieren, seine eigene und die Position des Herzogtums weiter auszubauen.
Schloss Gottorf wird zum kulturellen Hotspot
Der umtriebige Herzog gilt als großer Mäzen: Johann Adolf baut Schloss Gottorf aufwendig aus und legt eine umfassende Bibliothek, Bilder-, Münz- und Waffensammlung an, von der zahlreiche Stücke noch heute auf der Museumsinsel Schloss Gottorf besichtigt werden können. Nicht zuletzt durch den Bibliothekar Heinrich Lindenbrog und der Bestände der ehemaligen Kloster-Bibliotheken Bordesholm und Cismar wächst die Gottorfer Bibliothek in seiner Regierungszeit beträchtlich. Der exzellente Ruf der Bibliothek lockt auch auswärtige Gelehrte wie den italienischen Humanisten Aemilius Portus nach Gottorf und machen das Herzogtum weit über die eigenen Grenzen hinaus zum norddeutschen Wissenszentrum.
Der Biber im Mittelalter: gefragt und gejagt
Ob es jene Gelehrten waren, die Johann Adolf für die heimische Tierwelt sensibilisierten, eigene Studien oder schlicht rein praktische Überlegungen, ist nicht überliefert. So oder so: Johann Adolf macht das Verschwinden des Bibers in seinem Herzogtum zu schaffen. Denn der Nager ist begehrt. Sowohl sein Pelz, vor allem aber sein Fleisch: Der Biber darf in Fastenzeiten gegessen werden, gilt er doch nach mittelalterlichem Papst-Edikt wegen seines Lebens am Wasser als Fisch. Auch in der Volksmedizin spielt er eine große Rolle. So sollte beispielsweise die Galle des Bibers gegen Magenkrämpfe helfen, die Kniescheibe vor Zahnschmerzen schützen und die Biber-Leber gegen Durchfall. Auch Hildegard von Bingen, die große Heilkundlerin, steuerte regelrechte Biber-Rezepte bei:
[…] ein Mensch, der in der Milz Schmerzen hat, der esse oft gekochte Biberzunge […] Oder pulverisiere diese Zunge, und schütte von diesem Pulver in Honig, und so iss es mit dem Honig, und es wird dem Kranken in der Milz besser gehen. Hildegard von Bingen: Physica. Heilkraft der Natur
Darüber hinaus hatte das sogenannte Biber-Geil, ein Duftstoff zur Markierung des Reviers, den Ruf eines wahren Wundermittels. Es sollte gegen Impotenz, bei Geburten, Epilepsie, Koliken, Atemnot und vielem mehr helfen. Viele Gründe also, die den Bestand des Bibers gefährdeten und immer weiter reduzierten.
Herzog versucht Biber-Wiederansiedlung - und scheitert
So versuchte der Herzog Anfang des 17. Jahrhunderts in einem groß angelegten Wiederansiedelungsversuch, den kostbaren Biber wieder heimisch zu machen. Anfänglich sogar mit Erfolg. Experten gehen davon aus, dass - wie bei heutigen Ansiedlungsversuchen - auch im Herzogtum lebende Tiere ausgesetzt wurden, die sich anfangs erfolgreich vermehrten. Gerhard Schwab, Biologe vom BUND, hat solche Wiederansiedelungsversuche in ganz Europa begleitet: "Der Grund für die Ausrottung der Tiere ist immer vor allem die Überjagung gewesen. Ansonsten ist der Biber recht genügsam und kann sich in vielen Lebensräumen zurechtfinden."
Der bevorzugte Lebensraum der Biber sind aber feuchte Wälder mit langsam fließenden oder stehenden Gewässern, die im Sommer nicht austrocknen und im Winter nicht zufrieren. Demnach optimale Bedingungen im mittelalterlichen Herzogtum in Schleswig-Holstein. Schwab vermutet, dass auch die Jäger vom Hofe Herzog Johann Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorf lebende Tiere gefangen und sie ausgesetzt haben.
Das Biber-Projekt scheitert
Warum das historische Biber-Projekt am Ende gescheitert ist - darüber kann nur spekuliert werden. Zwei Probleme könnten dabei aufgetreten sein, wie Gerhard Schwab meint: Entweder wurden zu wenige Tiere verteilt, sodass die Population sich nicht ausreichend vermehrt und schnell wieder eingegangen ist. Das könnte an der zu geringen Erfahrung des Herzogs mit Wiederansiedelungen gelegen haben. Oder die herzoglichen Biber seien nicht ausreichend bewacht worden - und wurden von Wilderern wegen ihres begehrten Fleisches getötet.
Am Ende scheitert die Mission des Herzogs. Ein erfolgloser, wenn auch eigennütziger Artenschützer also - aber ein Beleg dafür, dass Artenschutz und Wiederansiedlungsversuche die Menschen aus unterschiedlichen Beweggründen schon seit Jahrhunderten beschäftigt.
Johann Adolf prägt "Gottorfer Kultur" und wissenschaftliches Interesse
Als Johann Adolf 1616 im Alter von gerade einmal 41 Jahren überraschend stirbt, hinterlässt er dem ältesten Sohn Friedrich III. nicht nur einen Berg Schulden und das Herzogtum von Schleswig-Holstein-Gottorf mit seinem prächtigen Schloss. Mit seinem Engagement leitete Johann Adolf auch die "Gottorfer Kultur" des 17. Jahrhunderts ein. So entstand in seiner Regierungszeit der gute Ruf des nördlichen Herzogtums als Ort der Wissenschaft, Kunst und Kultur - und Sensibilisierung für die heimische Tierwelt.
Der Biber weiterhin vom Aussterben bedroht
Vor allem durch Wiederansiedlungsversuche seit den 1970er-Jahren leben heute schätzungsweise wieder mehr als 25.000 Biber in Deutschland - davon übrigens nur ungefähr 2.000 in Norddeutschland - und gelten noch immer als eine vom Aussterben bedrohte Tierart.