Hellmuth Karasek: Ein Jongleur zwischen Ernst und Unterhaltung
Er war einer der prägenden Kritiker und Intellektuellen der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Hellmuth Karasek war Kulturchef beim "Spiegel" und feste Größe im "Literarischen Quartett". Am 4. Januar 2023 wäre er 90 Jahre alt geworden.
Hellmuth Karasek, erst Literatur- und Theaterkritiker bei der "Zeit", dann jahrzehntelang Leiter des Kulturressorts beim "Spiegel" und anschließend Mitherausgeber des Berliner "Tagesspiegel", scheute nie die Nähe zum Boulevard. Seine Fernsehkarriere begann 1988 mit dem "Literarischen Quartett".
Familie flieht vor der Roten Armee
Geboren wurde Hellmuth Karasek am 4. Januar 1934 in Brünn in der damaligen Tschechoslowakei. Während des Zweiten Weltkriegs floh seine Familie vor der Roten Armee aus Bielitz (Schlesien) und kam letztlich nach Bernburg im späteren Sachsen-Anhalt. Dort besuchte der junge Hellmuth von 1948 bis 1952 die Oberschule. Nach dem Abitur verließ Karasek die DDR und studierte Germanistik, Geschichte und Anglistik an der Uni Tübingen. Dort erlangte er auch seinen Doktortitel.
Nach einer kurzen Tätigkeit als Lehrer in Ebersberg zog Karasek nach Stuttgart, wo er bei der "Stuttgarter Zeitung" seine journalistische Karriere startete. Ab 1967 war er Literatur- und Theaterkritiker bei der "Zeit". Von 1974 bis 1996 fungierte Karasek als Chef des Kulturressorts beim Nachrichtenmagazin "Spiegel".
Ein "Turbokarpfen", geprägt von Billy Wilder
Einen "schillernden Turbokarpfen im Teich der grauen Kritikerhechte" hat ihn die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" einmal genannt, eine Bezeichnung, mit der Hellmuth Karasek gut leben konnte. Schließlich sah er sich immer auch als Entertainer. Prägend war für ihn in diesem Zusammenhang die Begegnung mit Billy Wilder, über den der bekennende Cineast auch eine viel beachtete Gesprächsbiografie verfasste. Wilder verkörperte für Karasek - wie George Gershwin - die gelungene Symbiose aus E und U, Ernst und Unterhaltung: "Ich denke, dass Gershwin für mich deshalb auch wichtig war, weil ich immer nach Punkten gesucht habe, wo sich U und E vermischt und berührt, wo sie zusammenkommen, ohne dass ein Teil dabei verliert."
Kein Wunder, dass Karasek auch ein begnadeter Witze-Erzähler war: Er hörte sich gerne reden, wusste aber immer, im rechten Moment die Pointen zu setzen: "Es ist sozusagen mein Türöffner in die Herzen der Frauen. Manchmal geht das auch schief, manchmal geht das auch mit Absicht schief. Man muss den Witz nämlich sehr weit treiben."
Hellmuth Karasek: Zwei große Umbrüche in seinem Leben
Karasek scheute sich im Rentenalter nicht, Witzbücher herauszubringen, in Rateshows im Fernsehen aufzutreten und für die Springerpresse Glossen zu schreiben. Das war ungewöhnlich für einen, der sich nach der Flucht aus der DDR 1952 im Westen schnell einen Namen gemacht hatte als links-intellektueller Kritiker. Nach "Zeit" und "Spiegel" zuletzt als Mitherausgeber beim Berliner "Tagesspiegel": "Ich habe zweimal große Umbrüche in meinem Leben erlebt, den ersten, den Zusammenbruch Deutschlands 1945, und dann habe ich das Ende dieser Phase erlebt, mit der Wiedervereinigung. Ich saß in der Nacht am Fernsehen, und ich habe wirklich geheult wie ein Schlosshund. Und das ist schön, das in einem Leben beides erlebt zu haben."
"Das Literarische Quartett": Karasek polarisierte nicht
Die Fernsehsendung "Das Literarische Quartett" startete 1988 im ZDF. Sie sorgte dafür, dass die Verkaufszahlen der Bücher, die besprochen wurden, häufig stark anstiegen. Dabei war es meistens egal, ob die Kritik eher positiv oder negativ war. Karasek harrte an der Seite von Marcel Reich-Ranicki von Anfang bis zum vorläufigen Ende 2001 der Sendung im "Literarischen Quartett" aus. Anders als als Reich-Ranicki hat der eher sanftmütig auftretende Karasek nie wirklich polarisiert. Ihm fiel die Rolle des Vermittlers zu.
Seit 2015 läuft im ZDF eine Neuauflage der Sendung. Sie wird seit 2020 von Thea Dorn moderiert.
Autor unter Pseudonym
Bereits Mitte der 1980er-Jahre hatte Karasek begonnen, unter dem Pseudonym Daniel Doppler Theaterstücke zu schreiben. 1998 veröffentlichte er den Roman "Das Magazin", in dem er seine Erfahrungen beim "Spiegel" verarbeitete. 2001 folgte der Roman "Der Betrug". Durchweg positiv wurde 2006 die Autobiografie "Süßer Vogel Jugend" aufgenommen, eine abgeklärt-humorvolle Auseinandersetzung mit dem Alter: "Das Leben liegt hinter einem und man kann zurückblicken und die Augen ein bisschen zumachen und sagen, hoffentlich merken die Leute nicht die blinden Flecken und die fauligen Ecken. Und dann ist man ganz froh, wenn man einigermaßen mit sauberer Weste durch dieses Tor gekommen ist."
Kritiker bis zuletzt
Hellmuth Karasek war - so bescheinigte es ihm der "Spiegel" anlässlich seines 80. Geburtstags 2014 - "unter allen clownesken Erscheinungen die melancholischste". Als Kritiker war er immer eher Liebhaber als Papst, und das tat dem manchmal reichlich bärbeißigen deutschen Feuilleton richtig gut.
Zweimal verheiratet - vier Kinder
Der Literaturkritiker war in erster Ehe mit Marvela Ines Mejia-Perez verheiratet, einer aus Venezuela stammenden Musikstudentin. Aus der 1959 geschlossenen Ehe entstammen die Söhne Daniel (*1959) und Manuel (*1967). Daniel Karasek wurde als Intendant und Theaterregisseur bekannt, Manuel als Schriftsteller. Hellmuth Karaseks zweite Ehefrau wurde Armgard Seegers. Mit ihr hatte er zwei weitere Kinder: Laura (*1982), Anwältin und Moderatorin, sowie Niko (*1985), der Fernsehjournalist wurde.
Hellmuth Karasek erlag am 29. September 2015 in Hamburg einem Gallengangskarzinom, einem seltenen bösartigen Tumor. Er wurde 81 Jahre alt. Der Schriftsteller wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet.