Ernst August I. - Ein Tory auf Hannovers Thron
Am 5. Juni 1771 kommt Ernst August I. in London zur Welt. Mit Victorias Thronbesteigung fällt Hannover an den skandalumwitterten britischen Königssohn. Seine Regentschaft beginnt 1837 mit einem Eklat.
Ein beliebter Treffpunkt in Hannover ist "unterm Schwanz" - gemeint ist der Pferdeschweif des mächtigen Ernst-August-Denkmals vor dem Hauptbahnhof. "Dem Landesvater - Sein treues Volk" prangt auf dem Reiterstandbild. In nur 14 Jahren Regierungszeit hat Ernst August I. in seiner Residenzstadt prägende Spuren hinterlassen. Doch obwohl der König durch seinen Streit mit den "Göttinger Sieben" gleich nach der Thronbesteigung deutschlandweit Aufsehen erregte, ist die Erinnerung an ihn hierzulande eher blass. Bekannter - wenngleich unbeliebter - ist er auf der britischen Insel.
Geboren in London als Kind von König Georg III.
Dass der Welfenprinz einmal eine Rolle in der Thronfolge spielen würde, ahnt bei seiner Geburt niemand: Am 5. Juni 1771 kommt Ernst August als achtes Kind des britischen Königspaars im Buckingham-Palast zur Welt. Allein vier große Brüder hat er. Insgesamt schenkt seine Mutter - Sophie Charlotte aus dem Hause Mecklenburg-Strelitz - 15 Kindern das Leben. Ernst Augusts Vater Georg III. regiert als König von Großbritannien und Irland und als Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg in Personalunion. In Norddeutschland lässt er sich aber selbst nie sehen, sondern durch Statthalter vertreten.
Als britischer Prinz an der Uni Göttingen
Ernst August wird von Hauslehrern unterrichtet, ehe ihn seine Eltern 15-jährig zusammen mit zwei jüngeren Brüdern zum Studium nach Göttingen schicken. Die Jungen wohnen im Haus Prinzenstraße 2. Ernst August gilt als eifriger, wissbegieriger Student, doch mit 20 zieht es ihn zum Militär. Zum Abschied schreibt er an die Universität, er wäre einer der "undankbarsten Menschen", falls er je all das vergessen solle, was er "Göttingen & seinen Professoren schulde" - nicht ahnend, dass er sich später ausgerechnet mit Göttinger Professoren anlegen wird.
Militär-Karriere, Kampf und Kriegsverletzungen
Doch zunächst beeindruckt Ernst August als guter Reiter und - trotz seiner Kurzsichtigkeit - treffsicherer Schütze. Bei den hannoverschen leichten Dragonern macht der Welfenprinz eine steile Karriere, wird bald Kommandeur einer Kavallerie-Brigade.
Mit 22 zieht er in den Kampf. In Westeuropa tobt der Erste Koalitionskrieg, das französische Revolutionsheer ist in die Österreichischen Niederlande (heute Belgien) eingefallen. Ernst August dient in Flandern unter seinem älteren Bruder Friedrich, Herzog von York und Albany, dem Oberbefehlshaber der britisch-kurhannoverschen Truppen. Er kämpft an der Front. Im August 1793 erleidet er eine Säbelverletzung - die Narbe wird seine linke Gesichtshälfte für immer zeichnen. Bei der berühmten Schlacht von Tourcoing in Nordfrankreich am 18. Mai 1794 streift ihn eine Kanonenkugel. Der Königssohn erblindet fast auf einem Auge und wird in der Folge zur Erholung nach Großbritannien geschickt.
Ernst August als Ehrenoberst der Husaren
Als er auf den Kontinent zurückkehrt, sind die britisch-kurhannoverschen Kräfte auf dem Rückzug. Ernst August würde gern für die britischen Truppen kämpfen, muss aber auf Geheiß von König Georg III. in Hannover bleiben. Immerhin wird er zum Generalleutnant befördert, später sogar zum Feldmarschall und zum Ehrenoberst des 15. Husaren-Regiments der Königlich Deutschen Legion (King's German Legion, KGL).
Doch obwohl er den König immer wieder bittet, gegen Napoleons Armeen ins Feld ziehen zu dürfen - er wird zwar als militärischer Beobachter auf den Kontinent zurückkehren, aber nie wieder an einem Kampf teilnehmen.
Erhebung zum Duke of Cumberland
Stattdessen geht Ernst August in die Politik. 1799 ernennt Georg III. seinen Spross zum Herzog von Cumberland und Teviotdale und zum Earl of Armagh. Diese Adelstitel sind mit einem stattlichen Unterhalt verbunden - und mit einem Sitz im House of Lords, dem britischen Oberhaus.
Ernst August führt die Tories im Oberhaus - und erntet Spott
Schon bald tut sich der Welfe als Wortführer des rechten Flügels, der Tories, hervor. Seine erzkonservative Haltung gefällt dem König, dem seine älteren Söhne viel zu fortschrittlich sind. In der öffentlichen Meinung aber macht sich Ernst August viele Feinde. Er wird zur Zielscheibe für Karikaturen und Spott. Auch das Privatleben des unverheirateten Prinzen ist Quell für Häme und Spekulationen. Seine Gegner streuen Gerüchte, der unverheiratete Prinz betreibe Inzest mit seiner Schwester Sophie und habe seinen Diener Sellis ermordet. Der Hausangestellte starb 1810 unter nicht restlos geklärten Umständen.
Anfang 1813 kommt es im Rahmen von Unterhauswahl-Vorbereitungen zu Unregelmäßigkeiten - Ernst August wird Einflussnahme vorgeworfen, ein politischer Skandal erschüttert die Insel. Die Regierung schickt den Herzog als Kriegsbeobachter auf den Kontinent. Dort wird Ernst August seine künftige Frau kennenlernen.
Späte Heirat mit Friederike von Mecklenburg-Strelitz
Der Herzog von Cumberland ist schon über 40, als er im Mai 1813 beim Besuch seines Onkels Karl II., Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, auf seine Cousine trifft und sich in sie verliebt. Kurz nach der Völkerschlacht zu Leipzig reist er ein zweites Mal in den Norden, um sie wiederzusehen. Königin Charlotte von England gefällt die Wahl ihres Sohnes überhaupt nicht: Die 37-jährige Friederike - jüngere Schwester von Preußen-Königin Luise (1776-1810) - ist bereits verwitwet und in zweiter Ehe mit Friedrich Wilhelm von Solms-Braunfels verheiratet. Diese Ehe ist jedoch nicht glücklich und Friederikes Mann offenbar zur Trennung bereit.
Die Planungen für eine Scheidung erübrigen sich, als der Prinz von Solms-Braunfels im folgenden Frühjahr plötzlich stirbt. Nachdem das britische Parlament seine Zustimmung erteilt hat, heiratet Ernst August seine mecklenburgische Cousine am 29. Mai 1815 in Neustrelitz. Friederike bringt sechs Kinder in ihre dritte Ehe mit und schenkt Ernst August bald einen Sohn: Georg Friedrich Alexander Karl Ernst August (1819-1878), der später als Georg V. Hannovers letzter König sein wird.
Ernst August lebt zunächst mit seiner Familie in England, obwohl Königin Charlotte unversöhnlich ist und sich standhaft weigert, ihre Schwiegertochter zu empfangen. Sein großer Bruder Georg bietet Ernst August sogar an, ihm das Statthalteramt in Hannover zu übertragen, wenn er um des Familienfriedens willen nur nach Deutschland gehe. Ernst August siedelt schließlich um - nach Berlin.
Aufruhr um die britische Thronfolge
Währenddessen überschlagen sich auf der Insel die Ereignisse: 1817 ist unerwartet Prinzessin Charlotte gestorben, bis dato einzige legitime Enkelin des greisen Königs und Hoffnungsträgerin für die britische Thronfolge. Ernst Augusts Brüder suchen nun hastig nach Bräuten. Georg III. ist dement und wird in seinen Ämtern bereits von seinem ältesten Sohn vertreten.
Ende 1818 stirbt Königin Charlotte, zwei Jahre später König Georg III. Ihm folgt sein Erstgeborener, Georg IV. (1762-1830), auf dem britischen wie auch auf dem hannoverschen Thron, denn seit dem Wiener Kongress 1814 ist Hannover wieder ein Königreich. Nach Georgs IV. Tod regiert mit Wilhelm IV. (1765-1837) sein sehr volksnaher und beliebter Bruder.
Ernst August, in der Thronfolge aufgerückt, ist derweil nach England zurückkehrt, um endlich wieder in der Politik mitzumischen - sehr zum Ärger aller Liberalen. Gerüchte, Verdächtigungen und Skandale um seine Person treiben neue Blüten. Unter anderem kursiert, er habe ein Verhältnis mit Lady Graves, ihr Mann bringt sich 1830 um. Ernst August witzelt später einmal, man habe ihn sämtlicher Übeltaten aus den Zehn Geboten beschuldigt. Es ficht ihn aber offenbar nicht an, er zeigt ein dickes Fell.
1837 endet die Personalunion Großbritannien - Hannover
Am 20. Juni 1837 stirbt Wilhelm IV. Da auch er keine Nachkommen hat, folgt ihm seine Nichte Victoria - das einzige Kind des schon verstorbenen Eduard August, vierter Sohn von Georg III. - auf den Thron von Großbritannien und Irland. Victoria (1819-1901) kann jedoch nicht Königin von Hannover werden. Denn dort gilt das salische Erbfolgegesetz: Es lässt eine weibliche Thronerbin nur dann zu, wenn es keinen männlichen Erben mehr gibt. So wird Victorias Onkel Ernst August I. im Alter von 66 Jahren König von Hannover und Herzog von Braunschweig-Lüneburg. Die 123-jährige Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover ist damit beendet.
Ernst Augusts Thronbesteigung verursacht einen Eklat
Schleunigst übersiedelt Ernst August I. an seinen Regierungssitz, ins Leineschloss. In Hannover freut man sich, endlich wieder Residenzstadt zu sein. Doch kaum in Amt und Würden, brüskiert der neue Monarch sein Volk: Er hebt die relativ freiheitliche Verfassung von 1833 auf und löst die Ständeversammlung des Landes auf. Im November erklärt er das Staatsgrundgesetz offiziell für ungültig und den Beamteneid auf die Verfassung für erloschen - gleichsam ein königlicher Staatsstreich. Stattdessen führt er die Verfassung von 1819 wieder ein, alle Amtsträger müssen ihren Treueeid auf den König erneuern.
Protest der "Göttinger Sieben"
Sieben Göttinger Professoren - darunter die Brüder Grimm - weigern sich und machen am 18. November ihren Protest öffentlich. Der König befürchtet Studentenunruhen, er ist zutiefst erbost. Seinem Schwager schreibt er, die Herren Professoren hätten sich gerne an ihn persönlich wenden können: "Aber eine Versammlung einzuberufen und ihre Meinung zu veröffentlichen, noch bevor die Regierung ihren Protest erhalten hat - das haben sie getan, und das kann ich nicht zulassen." Er entlässt die als "Göttinger Sieben" bekannt gewordenen Professoren fristlos, drei von ihnen verweist er des Landes.
Politisches Taktieren im Vormärz
Ernst Augusts sehr reaktionärer Regierungsstil erregt weit über das Königreich Hannover hinaus Empörung und entfacht sogar im britischen Unterhaus Diskussionen.
Die Ideen der Französischen Revolution gären zu dieser Zeit auf dem gesamten Kontinent, immer mehr Menschen aus allen Schichten stellen das "Gottesgnadentum" der Monarchen infrage. In der deutschen Bevölkerung wächst der Ruf nach Einheit und Bürgerrechten. Ernst August ist bestrebt, seine Macht als König zu sichern und Hannovers Position zwischen Habsburg und Preußen strategisch zu stärken. Er unterstützt eine Postunion und eine gemeinsame Währung unter den deutschen Staaten, lehnt aber aus Sorge vor der starken preußischen Dominanz einen Beitritt zum deutschen Zollverein lange Zeit ab.
Bei allem Machtbewusstsein beginnt er, Volksnähe zu zeigen: Häufig reist er mit seinem Sekretär in verschiedene Teile des Landes und nimmt Petitionen entgegen. Er öffnet hohe Ministerämter für Menschen aller Schichten und Religionen. Schließlich lädt er sogar die vertriebenen Professoren ein, zurückzukehren.
In den späteren Jahren seiner Regentschaft erlangt Ernst August I. so durchaus Popularität. Insbesondere sein Einlenken im Zuge der Unruhen von 1848 versöhnt viele.
Zugeständnisse während der Märzrevolution 1848
Zwar wartet Ernst August zunächst ab, als ihm Bürgervertreter während der Märzrevolution "12 Forderungen des Volkes" stellen. Auf den Straßen Hannovers bleibt der Protest vergleichsweise zahm. Aber in Berlin fordern Barrikadenkämpfe Hunderte Opfer. Ehe sich ähnliche Szenen auch in seinem Reich abspielen, lässt sich Hannovers König auf Reformen ein. Er ernennt mit Johann C. B. Stüve einen Liberalen zum Innenminister und gibt den Auftrag, eine neue Verfassung zu erarbeiten. Am 5. September 1848 tritt sie in Kraft. Darin werden unter anderem Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, die Trennung von Verwaltung und Rechtsprechung sowie die Gleichberechtigung aller Konfessionen gewährt.
Ausbau Hannovers zur würdigen Residenzstadt
Über die Jahre treibt der König den Ausbau Hannovers voran, das bei seiner Thronbesteigung nicht den großzügigen Stil anderer deutscher Hauptstädte besaß. Gaslampen für die Straßen, der Bau einer Eisenbahnstation und die repräsentative Neuanlage eines ganzen Viertels zwischen dem Bahnhof und dem Leineschloss geben der Stadt ein neues Gesicht. Auf Drängen von Hofbaumeister Georg Ludwig Friedrich Laves lässt Ernst August ab Ende der 1840er-Jahre sogar ein Opernhaus errichten. 1847 wird das Welfen-Mausoleum im Berggarten von Herrenhausen fertig, das der König nach Friederikes Tod 1841 beauftragt hat.
Letzte Ehre und ein Denkmal für den Landesvater
Im Herbst nach seinem 80. Geburtstag, zu dem er noch den König von Preußen bewirtet, erkrankt Ernst August schwer. Sein Tod am 18. November 1851 wird in Hannover sehr betrauert - weniger in England, wo die "Times" den sonst bei royalen Todesfällen üblichen schwarzen Rand auf der Titelseite weglässt und behauptet, "das Gute, das über den Verstorbenen gesagt werden kann, ist wenig oder gar nichts".
Binnen zwei Tagen erweisen 30.000 Menschen dem aufgebahrten König im Thronsaal des Leineschlosses die letzte Reverenz. Seine Ruhestätte findet Ernst August I. im Welfen-Mausoleum.
Zehn Jahre später enthüllt sein Sohn Georg V. das Denkmal Ernst Augusts in seiner Husaren-Uniform auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs - bis heute ein Wahrzeichen Hannovers.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand, Ernst Augusts großer Bruder Wilhelm habe ihm das Statthalteramt in Hannover angeboten. Zu dem Zeitpunkt regierte aber noch nicht Wilhelm, sondern Georg, der Erstgeborene. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.