Das DDR-Kernkraftwerk Bruno Leuschner in Lubmin

Treuhand: Giftiges Altlasten-Erbe, ewige Kosten

Stand: 09.11.2020 09:56 Uhr

Nach der Wiedervereinigung wird die Umweltverschmutzung durch giftige Altlasten in der DDR publik - wie etwa beim KKW Lubmin und einer Deponie bei Pasewalk. Das Dekontamieren verschlingt Milliarden.

von David Holland und Henning Strüber

In Lubmin bei Greifswald wird seit nunmehr 30 Jahren mühsam abgebaut, was in der DDR zu Beginn der 1970er-Jahre innerhalb weniger Jahre aufgebaut wurde: das Kernkraftwerk "Bruno Leuschner" - ein Vorzeigeprojekt der DDR. Und der Rückbau wird noch viele Jahre dauern, wie Jürgen Ramthun, Geschäftsführer des Entsorgungswerk für Nuklearanlagen (EWN), erklärt: "Man kann ganz grob sagen, dass wir in den Reaktorblöcken zu 80 Prozent fertig sind." Im Kernkraftwerk direkt an der Ostsee sind kurz vor dem Mauerfall vier Reaktoren aktiv. Sie decken zehn Prozent des Strombedarfs der DDR. Block 5 nimmt im Wendejahr 1989 gerade den Probebetrieb auf. Block 6 befindet sich in Fertigstellung. Zwei weitere sind in Planung. Doch es kommt ganz anders: Im Dezember wird das Aus des Kraftwerks verkündet. Am 18. Dezember wird mit Block 1 der letzte Kernkraftwerksblock auf dem Gebiet der ehemaligen DDR abgeschaltet.

Investoren ist Nachrüstung zu riskant - also Rückbau

Nach dem Mauerfall werden die enormen Sicherheitsmängel des Kraftwerks publik. Untersuchungen ergeben: Bei Block 1 bis 4 ist eine Nachrüstung nicht möglich. "Anders war das bei dem Block 5", sagt EWN-Chef Ramthun. Untersuchungen auch durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit hätten ergeben, dass eine Nachrüstung machbar ist. "Es ist schlichtweg daran gescheitert, dass dieses Risiko für mögliche Investoren zu groß war." Also bleibt nur der Rückbau. Dafür verantwortlich ist die Treuhand. Ramthun war damals Betriebsratschef und hatte somit direkt mit der Treuhand zu tun.

KKW-Beschäftigte lassen sich nicht ausbooten

Jürgen Ramthun, Geschäftsführer Entsorgungswerk für Nuklearanlagen, in Lubmin
Jürgen Ramthun hat zu DDR-Zeiten im Kernkraftwerk Lubmin gearbeitet, jetzt ist er an dessen Rückbau beteiligt.

"Es gab in den ersten Monaten durchaus hier und da auf Arbeitsebene ganz radikale Meinungen", sagt er. Einige von der Treuhand hätten die Beschäftigten am liebsten nach Hause geschickt und ein anderes Unternehmen mit den Aufgaben betraut. "Aber wir haben uns gesagt, wenn überhaupt, dann können wir es mit am besten, weil wir die Anlagen aufgebaut haben. Insofern haben wir dafür gekämpft: Wenn es Stilllegung sein soll, wollen wir ein Stück weit selbst gestalten", erinnert sich Ramthun. Und das dürfen sie schließlich auch. Also beginnen die ehemaligen Mitarbeiter des KKW unter neuem Namen und der Treuhand als Gesellschafter mit dem Rückbau - eine beispiellose Mammutaufgabe.

"Das ist Steuergeld"

"Es gibt hochradioaktive Bauteile, die können Sie manuell nicht zerlegen. Die müssen sich unter Wasser befinden." Denn das Wasser schirme die Strahlung ab. Aber die Teile müssten darüberhianus auch unter Wasser zerlegt werden - "und zwar von einem Stand aus, der sich in Entfernung befindet." Eine Aufgabe, die auch heute jedes Jahr Millionen beansprucht: "2016 haben wir abgeschätzt, dass wir insgesamt für den Rückbau etwa 6,4 Milliarden Euro eingestellt haben. Natürlich immer unter akribischer Prüfung. Das muss auch so sein, denn man darf nicht vergessen: Das ist unser aller Geld. Das ist Steuergeld", erklärt Ramthun.

Deponie Waldeshöhe: Chemie-Cocktail in der Kiesgrube

Eine Deponie in der Nähe von Waldeshöhe bei Pasewalk
Deponie Waldeshöhe: Ein hochgiftiger Chemie-Cocktail schwimmt 75 Zentimeter dick auf dem Grundwasser.

Das KKW ist aber bei weitem nicht die einzige ökologische Altlast, die es nach der Wiedervereinigung zu bewältigen gibt. Immer wieder werden kontaminierte Flächen publik. Wie etwa 1994 eine Deponie in der Nähe von Waldeshöhe bei Pasewalk. Zwischen 1970 und 1987 wurden hier etwa 50.000 Kubikmeter flüssige Industrieabfälle und tonnenweise Pflanzenschutzmittel in eine Kiesgrube gekippt.

Gummistiefel mit Bleisohlen für schwangere Treuhand-Mitarbeiterin

Rechtsanwältin Andrea Eggers war damals bei der Treuhandanstalt im Direktorat Umweltschutz/Altlasten tätig. "Das war ein gerade erst erfundenes Direktorat, als ich kam, weil sich herausgestellt hatte, dass die Altlasten in der DDR deutlich, deutlich, deutlich höher waren als alle gedacht hatten", sagt sie. Sie weiß noch, dass ihr Direktor, als sie schwanger war, ein Paar Gummistiefel mit Bleisohlen gegeben hat - "damit ich von unten mich nicht kontaminierte."

 

Milliarden für die Altlasten-Beseitigung

Im September 1994 beginnt in Waldeshöhe die Sanierung. Das Öl wird vorsichtig vom Grundwasser abgeschöpft. Bundesweit verschlingt das Sanieren und Dekontaminieren Unsummen. Übernommen werden die Kosten meist zu 60 Prozent von der Treuhand, zu 40 Prozent vom jeweiligen Bundesland. "Unter diesen Bundesumweltministern ist ein Altlastenabkommen geschlossen worden, zwischen der Treuhandanstalt und den neuen Ländern, jedes Jahr eine Milliarde D-Mark für die Beseitigung von Umweltaltlasten bereitzustellen, die sind auch ausgegeben worden", sagt Eggers. Das heiße: Was heute an sauberen Böden in der ehemaligen DDR vorhanden ist, habe der Steuerzahler via Treuhandanstalt in den letzten 30 Jahren aufgebracht.

Es gibt noch viel zu tun für Treuhand-Nachfolgerin

Im Haus am Berliner Alexanderplatz sitzt heute die TLG, eine der Nachfolgegesellschaften der Treuhand. Ein Ende der Arbeit ist noch längst nicht in Sicht: Alleine in Mecklenburg-Vorpommern gibt es noch knapp 3.000 bekannte Altlasten. 500 davon befinden sich aktuell in der Sanierung. Auch die Deponie in Waldeshöhe beschäftigt die Behörden weiterhin: Von den genehmigten Gesamtkosten von 8,1 Millionen Euro sind bisher etwas über die Hälfte ausgegeben worden. Ab Januar 2021 erfolgt die Grundwassersanierung. Laufzeit: vermutlich weitere 30 Jahre - oder länger.

Weitere Informationen
Eine Familie überquert im November 1989 mit Einkaufstüten einen geöffneten Grenzübergang zwischen DDR und BRD. © picture-alliance / dpa Foto: Wolfgang Weihs

Deutsche Einheit: Viel Neuland für Ost und West

Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 ändert sich für die Ostdeutschen alles. Ihr Alltag ist meist Neuland, wie ein Blick zurück zeigt. mehr

Jubelnd laufen drei junge Ost-Berliner am 10. November 1989 durch einen Berliner Grenzübergang. © dpa

Mauerfall 1989: Umbruch eines Systems

Massenfluchten und Montagsdemos bringen 1989 das DDR-Regime ins Wanken. Am 9. November fällt in Berlin überraschend die Mauer. Ein Dossier. mehr

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 08.11.2020 | 19:30 Uhr

Mehr Geschichte

Für fünf Tage, bis zum 30. Dezember 1974, hatte die Hamburger Baubehörde zwei der drei neuen Elbtunnelröhren zur Besichtigung frei gegeben. © picture-alliance / dpa Foto: Lothar Heidtmann

Vor 50 Jahren: Tausende Hamburger besichtigen Neuen Elbtunnel

Vom 26. bis 30. Dezember 1974 feiern 600.000 Hamburger ein Tunnelfest unter der Elbe. Die Bauarbeiten hatten 1968 begonnen. mehr

Norddeutsche Geschichte