Liebe(r) im Westen
Penibel aufgelistet wurden auch ihre persönlichen Sachen, die sie in den Westen mitnehmen will. "Jeden Stift, jeden Eierbecher musste ich offiziell absegnen lassen." Auch das Geschenk ihres Vaters zur ihrer Hochzeit im Mai 1989, einen gut 200 Jahre alten Sekretär, der wegen seines Alters als "Kulturgut der DDR" nicht ausgeführt werden durfte. "Den hat die Bearbeiterin im Rathaus dann auf dem Papier einfach jünger gemacht."
Gerahmte Erinnerungen
Das Hochzeitsgeschenk ihres Vaters steht heute in Gesines Wohnzimmer. Das "Herzstück" des Hauses, wie sie sagt, umrahmt von Familienfotos. In den Schubfächern des Sekretärs stapeln sich Erinnerungen. Blau-weiß gepunkteter Schulhefte aus der DDR, Gesines Tagebücher, ihre Ausbürgerungsurkunde, handschriftlichen Briefe des Vaters. Wie der vom 27. Oktober 1989 an seine drei Kinder im Westen: "Ihr konntet nicht dabei sein! Aber ohne eure Schritte hätten die DDR-Bürger wohl noch länger geschlafen. ... aber kommt lieber und seht: Es sind historische Tage!"
Gleich nach Rostock, aber nicht zurück
Am Tag nach dem Mauerfall reist Gesine sofort in die alte, neue Heimat. Vor dem Rostocker Rathaus gerät sie am 10. November in eine Demonstration: "Wo früher staatlich organisierte Massenaufläufe stattgefunden hatten, demonstrierten Massen von Rostockern fröhlich fürs Neue Forum und gegen die Stasi - mit kunterbunten Plakaten und selbst ausgedachten Sprüchen. Unglaublich!" Doch zurückzukehren ist für Gesine keine Option. Ihr neues Leben in Bremen hat ja schon bekommen. Dort lebt die Mutter von vier Kindern bis heute, arbeitet als Kinderdiakonin unter dem Dach der Kirche.
(K)ein Happy End
Ihre Liebe in Bremen hat den Zeitenwechsel nicht überlebt. "Wir haben uns erst nach der Hochzeit richtig kennenlernen können. Vorher war das ja nur sehr begrenzt möglich in Rostock, richtigen Alltag hatten wir da ja nicht.“ Der Stadt ihrer Kindheit ist sie aber bis heute treu geblieben. Jugendfreunde sind Paten ihrer Kinder und Gesines ältester Sohn Johann studiert in Rostock Medizin. "Ganz und gar freiwillig", wie Gesine lachend betont. Auch musikalisch folgt er den Spuren seiner Mutter: "Johann spielt in der Jugendband der Petrikirche Klavier, macht christliche Popmusik, so wie ich damals, übt sogar im selben Probenraum!" An einen Zufall der Geschichte mag da glauben, wer will.
- Teil 1: "Die Liebe war mein Schlüssel zur Freiheit"
- Teil 2: Gerahmte Erinnerungen