Stand: 17.03.2015 14:37 Uhr

KZ-Aufseherin: Das dunkle Geheimnis der Hilde M.

von Anne Ruprecht

Anita Lasker-Wallfisch hat Bergen-Belsen überlebt. Die Cellistin erinnert sich, wie im März 1945 das Massensterben im Lager begann, an die erste Leiche in ihrem Block, die sie aus der Baracke tragen half, und die vielen Toten, die folgten: "Der Gestank! Das ist schwer zu beschreiben. Normalerweise sieht man keine Leichen. Nachdem sie gestorben sind, werden sie begraben. Dort sind sie liegengeblieben und sind verwest. Vor unseren Augen." Das Grauen von Bergen-Belsen sei für alle sichtbar gewesen. Im hoffnungslos überfüllten Lager werden die Menschen zu Tausenden dahingerafft. Sie sterben an Hunger, Auszehrung, Seuchen. Allein zwischen Anfang März 1945, als Hilde M. ihren Dienst in Bergen-Belsen antritt, und der Befreiung sterben im KZ Bergen-Belsen über 28.000 Menschen. Bis Ende März wird darüber noch säuberlich Buch geführt: Es sind in diesem Monat durchschnittlich 675 Tote pro Tag.

"In Auschwitz war das Ermorden organisiert, in Belsen ist man einfach krepiert"

Anita Lasker-Wallfisch
Das Grauen von Bergen-Belsen sei für alle im Lager sichtbar gewesen, erzählt Anita Lasker-Wallfisch. Sie hat das Konzentrationslager überlebt.

"In Auschwitz war das Ermorden organisiert, in Belsen ist man einfach krepiert", fasst es Lasker-Wallfisch zusammen. "Da brauchte man nichts zu organisieren. Da sind die Menschen krepiert! An Hunger, an Typhus - das war das Ende." Die SS-Leute unternehmen nichts, um die mörderischen Lagerbedingungen zu verbessern. Das kleine Krematorium am Ende des Lagers kann die Toten schon bald nicht mehr fassen. Am Ende verwesen im Lager Zigtausende Leichen unter freiem Himmel. Noch im sieben Kilometer entfernten Bergen können Anwohner den Leichengestank riechen.

"Nein, wir wussten nichts"

"Haben Sie da Erinnerungen, an den Geruch?", fragt die Interviewerin Hilde M. "Nee. Ich habe nichts gerochen", antwortet sie. "Das einzige Mal, wo ich was gerochen habe, war als wir bei den Leichen waren. Aber sonst? Nein, wir wussten nichts. Wir konnten uns nicht vorstellen, was da vor sich geht."

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Als im Herbst 1945 der erste Bergen-Belsen-Prozess in Lüneburg vor einem britischen Militärgericht beginnt, ist auch Hilde M. unter den Angeklagten. Eine ehemalige Lager-Insassin sagt gegen ihre ehemalige Aufseherin aus. Ihre Zeugenaussage wird im Prozess verlesen: "Sie stieß die Männer zu Boden und schlug ihnen auf die Hände mit einem dicken Stock, den sie immer bei sich trug. Sie trat mit ihren Stiefeln auf ihre Brust ein." Im Kreuzverhör streitet Hilde M. damals jegliche rohe Gewaltanwendung, Stockhiebe und Stiefeltritte ab. Lediglich "mit der Hand ins Gesicht" will sie Häftlinge geschlagen haben. Warum sie die Menschen geschlagen habe, wird sie gefragt. "Weil sie gestohlen haben und ich sie nicht verjagen konnte", antwortet sie, "darum musste ich sie schlagen."

2004, fast 60 Jahre später, will sie sich auch daran nicht mehr erinnern. "Man hat sie weggejagt, also wir jedenfalls, wir Frauen", erklärt sie. "Da habe ich gelesen, ich hätte einer eine Backpfeife gegeben. Kann ich mir überhaupt nicht vorstellen", sagt sie und lächelt in die Kamera. Ein Jahr Haft, so lautete das Urteil 1945 für Hilde M. Nachdem sie ihre Strafe im Zuchthaus in Hamburg Fuhlsbüttel verbüßt hat, lässt sie ihre Vergangenheit hinter sich und beginnt ihr anderes, ihr neues Leben.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 17.03.2015 | 21:15 Uhr

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