Erinnerung digital: Mit der App durch Bergen-Belsen
In dem ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide, das am 15. April 1945 befreit wurde, starben neben Tausenden anderen auch Anne Frank und ihre Schwester Margot. Heute ist Bergen-Belsen eine Gedenkstätte. Der Leiter Jens-Christian Wagner und seine Mitarbeiter haben vor rund fünf Jahren eine App entwickelt, mit der die Besucherinnen und Besucher das Gelände erkunden können. Was kann eine solche digitale Aufbereitung im Rahmen der Erinnerungskultur leisten?
Es ist ein grauer Tag. Doch das Grün der Wiesen wirkt frisch, die Vögel zwitschern. Birken und Kiefern säumen den Weg. Die Historikerin Stephanie Billib ist auf dem Gelände des ehemaligen KZ Bergen-Belsen unterwegs. Die Historikerin hält ein Tablet nach vorne und schaut damit wie durch ein Fenster in eine andere Zeit. Eine App zeigt ihr traditionelle Kartenansichten zweier Zeitpunkte in der Lagergeschichte: die Befreiung des Lagers und eine Luftaufnahme der Royal Air Force, auf der klar zu erkennen ist, wie das Lager aufgebaut war. "Von dem Zeitpunkt der Befreiung gibt es ganz viel Foto- und Bildmaterial, sodass wir auch die Gebäudestruktur gut abbilden können", so Billib. Bei der Entwicklung der Anwendung sei der Gedenkstätte wichtig gewesen, keine Rekonstruktionen auf Basis von Vermutung und Spekulation zu erstellen, sondern nur das abzubilden, was wirklich da war.
Provokationen nehmen zu
Diese historisch belegte Darstellung ist von großer Bedeutung. Nur so kann die Gedenkstätte glaubwürdig auftreten und sich vor Anfeindungen von Geschichtsrevisionisten und Holocaust-Leugnern schützen. Gerade in den vergangenen Jahren hätten die sich vermehrt bemerkbar gemacht, erzählt Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten.
Seit ein paar Jahren spüre er eine deutliche Zunahme von geschichtsrevisionistischen Provokationen. "Das Ziel dieser Provokationen ist es nicht, irgendeine Form von Wissenserwerb zu haben oder mit uns in eine Auseinandersetzung zu kommen. Ihr Ziel ist es, eben diesen argumentativen Diskurs unmöglich zu machen, indem Behauptung gegen Behauptung gestellt wird. Oder auch, die Diskurs-Hoheit in einer Besuchergruppe zu bekommen", erzählt Wagner.
Befreier brannten Gebäude 1945 nieder
Die meisten Besucherinnen und Besucher wünschen sich allerdings reale Gebäude auf dem Gelände. Die sind in Bergen-Belsen nicht mehr zu sehen, weil die Befreier sie 1945 niedergebrannt haben. Grund waren grassierende Krankheiten und Seuchen. Genau hier setzt die App an: Mit ihr werden die Bauten wieder sichtbar, wenn auch bewusst nur schemenhaft. Stephanie Billib fährt mit dem Tablet über die Landschaft: Auf dem Bildschirm tauchen grauflächige Gebäude auf: Baracken, Latrinen, Wachtürme. Es sind keine realistischen Darstellungen, vielmehr ist es eine Unterstützung der Vorstellungskraft.
Historische Quellen und Zeitzeugen-Dokumente in App verankert
Es geht darum, sich in der Landschaft selbständig zurechtzufinden, historische Quellen zu erforschen, den Geschichten der Menschen nachzuspüren, wie Billib erläutert. Dabei tippt sie auf einen der blauen Tropfen, die nach und nach auf dem Bildschirm auftauchen: "In dem Bereich, in dem ich gerade stehe, ist der Appellplatz des Sternlagers gewesen - zumindest in einer bestimmten Zeit während der Lagerzeit." Ein anderer Tropfen zeigt die Skizze eines Häftlings. Denn auch das hält die Anwendung bereit: historisches Quellen-Material und Dokumente wie Texte, Bilder und Zeichnungen von zum Beispiel einstigen Lagerinsassen, mit denen sich die Besucher der Gedenkstätte das Leben im ehemaligen Konzentrationslager erschließen können.
Ein Tablet können Besucher im Dokumentationszentrum beziehen.