1914: Altona lädt zur großen Gartenschau
Bayerisches Bierlokal und amerikanische Bar
Die Gartenschau ist organisiert wie eine kleine Stadt in der Stadt: Es gibt ein Postamt, eine Fernsprechzentrale, Polizei-, Feuer- und Sanitätswachen. Das Ausstellungsorchester spielt täglich Konzerte. Im Donner-Schloss befinden sich eine Weinstube, ein Ruhe- und Lesezimmer, im Vergnügungspark ein bayerisches Bierlokal mit "feschen Kellnerinnen", wie es in einer Werbeschrift heißt, und - hochmodern - eine "amerikanische Bar".
An fünf Eingängen strömen die Besucher in die Gartenschau, vor allem an der Flottbeker Allee in Höhe der Susettestraße. Das Gelände umfasst die heutigen Anlagen Heine-Park, Donners Park und Rosengarten, den Tutenberg anlegen ließ, weil ein dort ansässiger Villenbesitzer der Stadt Altona 10.000 Mark für freie Elbsicht versprochen hatte. Allgemein wird der Platz bald "beim Zehntausendmarkblick“ genannt. Hier führt eine Brücke über die Flottbeker Allee auf die ehemalige Donner-Weide (heute Fischers Park), auf der sich weitere Anlagen und Gebäude befinden.
50.000 Rosen, edler Gartenschmuck und Obstanbau
Im Zentrum der Ausstellung, die 150 Tage dauert, steht die Gartenkunst mit Rosengärten, Stauden, Bäumen und Wasserpflanzen. Dazu kommt Gartenschmuck wie Plastiken, Brunnen, Wegweiser, Bänke. Hier können sich die Bürger Anregungen holen für ihre Vorstadtvillen, Gärten und Parks. Die Sonderschau der Holsteiner Rosenzüchter etwa offeriert ausgefallene Züchtungen wie die "Prince de Bulgarie", "Gruß an Teplitz" und "Mrs Theodore Roosevelt".
Aber die Schau zeigt nicht nur die schönen Seiten der Gartengestaltung. Auch Friedhofskunst und Grabsteine sind zu sehen sowie gewerblicher Gartenbau mit Obstbäumen, Gemüse und Weinbereitung. Fabriken und Handwerksbetriebe führen industrielle Produkte wie Gewächshäuser, Gartengeräte und Maschinen vor. In der 83 Meter langen Hauptausstellungshalle werden Pläne, Modelle und Bilder von Grünflächen, Volksparks, Gartenstädten und Privatgärten aus zahlreichen deutschen Städten präsentiert.
Heimat- und Naturschutz als Gegenentwurf zur Industrialisierung
Der neuen, sozialhygienischen Komponente städtischer Grüngestaltung folgend nimmt der "volkstümliche Gartenbau" eine besondere Stellung auf dem Gelände ein. Heimat- und Naturschutz sind die Stichworte dieser Reformbewegung, die sich gegen die Auswüchse der Moderne richtet, gegen die Folgen der Hochindustrialisierung wie verschmutzte Flüsse und zersiedelte Landschaften.
Auf der ehemaligen Donnerweide, bis zu der die Gewerbehöfe, Fabriken und Mietskasernen des Arbeiterstadtteils Ottensen bereits vorgedrungen sind, steht nun im Zentrum der Wegachse ein wuchtiges "niederdeutsches Bauernhaus" mit stilisiertem Bauerngarten. Hier dient ein Schulgarten der Jugenderziehung, der "Blumenpflege durch Schulkinder" der 7. Mädchen-Volksschule. Außerdem simulieren ein Vogelschutzgehölz und eine angelegte Heidelandschaft norddeutsche Natur. Auch gibt es Informationen über heimische Pflanzen, die vom Aussterben bedroht sind, über seltene Bäume und andere Naturdenkmäler.
Modelle für Schrebergärten und Siedlungshäuser
Im Bauernhaus sind Pläne und Modelle für Schrebergärten und Arbeiter-Siedlungshäuser zu sehen, der Entwicklung zu gesundem, naturnahem Leben in der Stadt folgend, inklusive Selbstversorgung für die ärmeren Schichten. Denn die hygienischen Zustände in den Mietskasernen der schnell gewachsenen Arbeiterquartiere sind um die Jahrhundertwende teilweise katastrophal, nicht nur in den Hinterhöfen Berlins, sondern auch in Altona mit seinen rund 200.000 Einwohnern.
In der Nähe des Bauernhauses sind als Muster zwei Kleingärten mit Lauben eingerichtet und drei Reihenhäuser gebaut worden. Die Vor- und Hausgärten hat Gartendirektor Tutenberg persönlich entworfen. Die Stadt plant, ähnliche Siedlungen für Arbeiter in Bahrenfeld zu errichten.
- Teil 1: Konkurrenz für Hamburg
- Teil 2: Bierlokal, Rosengarten und Naturschutz
- Teil 3: Nach Kriegsbeginn bleiben die Besucher aus