Es ist wieder Disco-Zeit: Eine Generation feiert den Party-Kult
In den 70er-Jahren kommt die Disco in den Norden: Statt Live-Musik hält die Schallplatte Einzug in die Clubs. Spätestens mit Travoltas Moves in "Saturday Night Fever" ist es um Millionen Teenies geschehen.
Höhepunkt der Disco-Ära bilden die 1970er- und 80er-Jahre: Nicht nur in den Städten, sondern auch in den Dörfern Norddeutschlands wird jetzt zu Musik von Schallplatten getanzt. Statt auf Live-Musik setzen immer mehr Tanzschuppen-Betreiber auf DJs. Die Diskotheken werden zum Ausdruck einer neuen Jugendkultur.
Von der Jukebox zum DJ
Vorgänger der Diskotheken sind amerikanische Bars mit Jukeboxen, die die US-Soldaten in den 1950er-Jahren auch nach Deutschland bringen. Als eine der ältesten Diskotheken in Deutschland gilt der Ocambo Club in Osnabrück, wo schon 1959 zu Musik von Schallplatten getanzt wird. Im Tanzlokal Scotch Bar in Aachen legt 1959 der Zeitungsvolontär Klaus Quirini spontan Platten auf und unterhält die Gäste mit launigen Sprüchen. Er gilt als der erste DJ der Welt, sogar amerikanische Tanzclubs laden ihn ein. Auch nach seiner DJ-Karriere bleibt er der Musik und den Musikschaffenden eng verbunden und gründet sowohl die Deutsche Discjockey Organisation (DDO) als auch den Verband Deutscher Musikschaffender (VDM) und den Verband Deutscher Diskotheken-Unternehmer (DDU). Den Begriff "Diskothek" übrigens nimmt der Duden bereits 1961 erstmals auf.
Günstig und flexibel: Schallplatte verdrängt Live-Bands
In weiten Teilen Norddeutschlands tanzt die Jugend in den 1960er- und 1970er-Jahren zu Rock 'N' Roll und Beat-Musik. In vielen Tanzschuppen treten Bands auf, etwa in "Metas Musikschuppen" in Norddeich. Howard Carpendale und Otto Waalkes beginnen hier ihre Karriere. Auch die Scorpions treten in Metas Musikschuppen auf. Besitzerin Meta Rogall engagiert auch viele der britischen Beat-Bands, die im Hamburger Star Club spielen.
Ihr Sohn Sven Rogall erzählt in der NDR Dokumentation "Unsere Geschichte - Wie die Disco in den Norden kam", wie aus Metas Musikschuppen eine Diskothek wird: "Wir hatten eine Band aus England hier, die hatte eine Diskothek mit. Das hieß, in der Tanzpause, wenn die Musiker nicht gespielt haben, legte einer von den Jungs Singles auf. Und das hat Meta gesehen." Obwohl keine Band spielt, tanzen die Leute einfach weiter. Meta habe sofort Feuer gefangen von dieser Idee: "Dann brauchen wir keine Bands mehr, haben keine Gagen mehr und haben trotzdem die Bude voll. Und so ist es gelaufen."
Disco wird zum Massenkult - Publikum wird zum Haupt-Act
So wie Meta denken damals viele Betreiber von Tanzschuppen. Denn eine Diskothek ist billiger zu betreiben als ein üblicher Tanz-Klub, ein DJ bekommt damals weniger Gage als eine Band. Irgendwann ist die Zeit der Kapellen vorbei: Statt auf Beat-Konzerte setzen die Betreiber der Klubs auf Disco-Abende, und auch die Räumlichkeiten passen sich der neuen Jugendkultur an: Statt einer Bühne wird die Tanzfläche zum Mittelpunkt. Lichteffekte rücken statt der Künstler nun das Publikum ins Licht. "Der Sound wird deutlich besser, die Musik vielfältiger, und sie ist nun nicht mehr auf das mehr oder weniger passive Zuhören der Fans orientiert, sondern animiert das Publikum zu eigenen körperlichen Aktivitäten", schreibt die Bundeszentrale für Politische Bildung über das Phänomen "Disco". "Der Tanz und die aktive Inszenierung der eigenen Körperlichkeit gerät zum ersten Mal in den Mittelpunkt einer Musikkultur." Die Disco wird in den 1970er-Jahren zum Massenkult.
Travolta macht den Move - und der Disco-Fox hält Einzug
Anfang der 1970er-Jahre eröffnen auch im Norden immer mehr Diskotheken, die das Publikum meist mit Schlager und Popmusik anlocken. Aber auch neue Musikstile halten Einzug, etwa mit Gründung der Band AC/DC der Rock. Mit der Disco-Musik entwickelt sich auch ein neuer Tanzstil, der Disco-Fox. Dabei erhalten die Diskotheken enormen Aufwind durch den amerikanischen Tanzfilm "Saturday Night Fever" mit John Travolta, der Ende der 1970er-Jahre die Jugend in die Kinos lockt - und anschließend auf die Tanzfläche. Und auch den Bee Gees mit "Night Fever" nochmal einen ordentlichen Beliebtheits-Schub verpasst.
Proteste gegen Schließung des Osnabrücker Hyde Park
In Osnabrück entwickelt sich die Diskothek Hyde Park aus einem ehemaligen Jugendclub. Sie ist ein Zentrum für Live-Musik, für Rock und Metal, Bands wie BAP oder Eric Burton spielen hier. Allerdings kommen mit den Massen an Besuchern auch die Probleme. Weil der Hyde Park mitten im Wohngebiet liegt, beschweren sich die Nachbarn, auch wegen Drogen gibt es Ärger mit Behörden und Polizei. 1983 wird die Diskothek geschlossen - und ein zunächst friedlicher Protest von Jugendlichen entwickelt sich zur Straßenschlacht. Eine Woche lang gibt es wütende Proteste, die Polizei setzt Schlagstöcke, Tränengas und Wasserwerfer ein. Die Jugend aber ist rebellisch und will sich ihre Disco nicht nehmen lassen. Der Kompromiss ist schließlich ein neuer Standort in einem Zirkuszelt.
Der Niedergang der Dorf-Disco im Norden
Zwei Jahrzehnte dauert der Siegeszug der Diskotheken auf dem plattdeutschen Land. Doch Anfang der 1990er-Jahre wird es schwieriger, denn die Disco-Landschaft verändert sich: Immer mehr Großraum-Diskotheken entstehen, in denen die Gäste auf verschiedenen Dancefloors zu verschiedenen Musikrichtungen abtanzen können. Techno-Sound erobert die Disco-Szene, gleichzeitig entsteht in den größeren Städten eine rege Clubszene, in der viele verschiedene alternative Musikrichtungen eine Heimat finden. Auf dem Land steigt die Arbeitslosigkeit, in einigen Orten Ostfrieslands auf bis zu 30 Prozent. Die Umsätze der kleinen Diskotheken sinken, das Fernsehen gewinnt mit Sendungen wie dem "Rockpalast" an Aktualität und Attraktivität.
Dass viele junge Leute mittlerweile meist erst nach Mitternacht aufbrechen, um in die Disco zu gehen, verschärft das Problem für die Betreiber: "Das war eine der Schwierigkeiten: dass man das Personal vorhalten und warten musste, ob denn überhaupt noch der große Ansturm kommt", erzählen Lüppo und Elli Wermerßen, die früher sechs Diskotheken im Norden betrieben haben, dem NDR Fernsehen. So geht es auch anderen Betreibern. Für viele rechnet es sich einfach nicht mehr - und das große Diskotheken-Sterben beginnt. Kämpfen in den 1990er-Jahren vor allem kleinere Dorf-Discos ums Überleben, befinden sich heute auch viele Großraum-Diskotheken im Niedergang. Denn die Musik und Feierkultur zerfallen in immer kleinere Szenen, Clubs und Bars treten an die Stelle der großen Tanztempel.
Die Disco als Museumsstück
Inzwischen ist so manche Disco museumsreif - wie etwa das "Zum Sonnenstein" aus Harpstedt. Im Heimatmuseum Cloppenburg ist sie neben alten Mühlen und Bauernhäusern originalgetreu wieder aufgebaut worden. Einige der frühen Diskotheken gibt es aber bis heute, wie den Hyde Park in Osnabrück, in dem nach mehreren Umzügen nun im Industriegebiet getanzt und gefeiert werden kann - vorausgesetzt, das Infektionsgeschehen im Rahmen der Corona-Pandemie lässt es zu. Und das Dr. Jack in Wittmund, das früher Whiskey hieß. Ebenso wie Metas Musikschuppen, der 2020 stolze 60 Jahre alt geworden ist.