Als der Rock 'n' Roll nach Hamburg kam
Mit dem Rock 'n' Roll erfasst die Jugend ab Mitte der 1950er-Jahre ein neues Lebensgefühl die Jugend. In Hamburg verschreiben sich viele Klubs der neuen Musik. Dort treten unter anderem die Beatles auf.
"Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein" - deutsche Schlager mit braven Texten, vorgetragen von biederen Sängerinnen und Sängern in Kleid oder Anzug - so sieht die Musiklandschaft Anfang der 1950er-Jahre aus. Die Musik passt zum Lebensstil im Nachkriegsdeutschland, wo Sittsamkeit und Gehorsamkeit noch die herrschenden Werte sind. Von Aufbruch ist wenig zu spüren.
Ein neues Lebensgefühl erfasst die Jugend
Das ändert sich, als eine neue, andere Musik aus den USA nach Deutschland kommt: der Rock 'n' Roll. Erst werden die Songs von Bill Haley, Chuck Berry, Elvis Presley und Co. nur von britischen und US-amerikanischen Soldaten-Sendern wie BFN und AFN gespielt, dann erobern sie die Musikboxen und nationalen Radiosender.
Ein neues, rebellisches Lebensgefühl erfasst eine ganze Generation, die sich gegen bürgerliche Normen und Zwänge auflehnt. Der Rock 'n' Roll liefert den passenden Soundtrack. "Wir wollten alle weg von zu Hause und wollten mit unseresgleichen zusammen sein. Immer dieser Druck und immer nur gehorchen. Und dann kam diese schnelle Musik, sie veränderte alles", erinnert sich Rosi McGinnity vor einigen Jahren an diese Zeit. Die Kiez-Wirtin der legendären Kultkneipe "Rosi's Bar" war mit dem Beat-Musiker Tony Sheridan verheiratet, der damals gemeinsam mit den Beatles in Hamburg auftrat.
Indra, Star Club und Top Ten: Bühnen der Rebellion
Auch Hamburg ist im Rock-'n'-Roll-Fieber. Viele Klubs in der Stadt verschreiben sich der revolutionären Musik, sie heißen Kaiserkeller, Top Ten und Indra. Hier treten im Sommer 1960 erstmals die Beatles auf, die in der Hansestadt den Grundstein für ihre spätere Weltkarriere legen. 30 Mark verdient jedes Bandmitglied im Indra pro Nacht. Dafür müssen sie laut Vertrag sonnabends sechs, wochentags vier Stunden spielen.
Im April 1962 eröffnet an der Großen Freiheit der Star Club. Der Slogan des Plakats, das in der ganzen Stadt für den neuen Klub wirbt, ist provokant: "Die Not hat ein Ende! Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei." Mit Dorfmusik ist Schlagermusik gemeint, und die will die Jugend nicht mehr hören. Stattdessen ist auch im Star Club Rock 'n' Roll angesagt. Auf der Bühne am Eröffnungsabend: die Beatles. Bis 1962 treten sie 78 weitere Male dort auf.
"Hottentottenmusik" für "Wilde" und "Halbstarke"
Was den Jungen gefällt, sorgt bei vielen Erwachsenen für Entsetzen. Als "Neger- oder Hottentottenmusik" geißeln sie den neuen Sound, nennen die Rock-'n'-Roll-Fans abfällig "Wilde" und "Halbstarke". Auch die neue Mode - Röhrenjeans, Caprihosen, Lederjacken und längere Haare bei Männern - stößt bei vielen Älteren auf Ablehnung. Ein Verfall der Sitten, so kommt es vielen offenbar vor.
Der Mythos lebt weiter
Längst sind Jeans selbst in den Chefetagen kein Aufreger mehr. Die meisten der legendären Klubs von damals haben allerdings mittlerweile geschlossen - doch der Mythos des Rock 'n' Roll lebt auf St. Pauli weiter. Live-Musik ist in vielen Clubs noch immer fester Bestandteil des Programms. An die berühmten Pilzköpfe aus Liverpool erinnert seit 2008 an der Ecke Reeperbahn/Große Freiheit der Beatles-Platz mit den Stahl-Silhouetten der Musiker.