Kronprinzessin Cecilie zu Mecklenburg am Steuer, im Auto ihre Geschwister Großherzog Friedrich Franz IV. von Mecklenburg-Schwerin, dessen Gemahlin Alexandra und Kronprinzessin Alexandrine von Dänemark. Foto um 1909 (Ferdinand Esch, Ludwigslust). © picture-alliance / akg-images | akg-images

Hatte Opas Opa ein Auto? Stöbern Sie im "Automobil-Adreßbuch"

Stand: 17.10.2024 11:00 Uhr

Im "Deutschen Automobil-Adreßbuch" wurden 1909 erstmals alle deutschen Automobil-Besitzer zentral erfasst. 45.000 Fahrzeuge waren registriert - Pkw, Lkw und Motorräder. Per Suche können Sie herausfinden, wer wo mit welchem Gefährt unterwegs war. Vielleicht ja auch in ihrer Nähe?

von Claus Hesseling

Heute undenkbar: Ein Buch, in dem jede und jeder in Deutschland erfasst ist, der ein Motorrad, Auto oder Lkw besitzt. Bei 69,1 Millionen Kraftfahrzeugen inklusive Anhängern, darunter rund 49 Millionen Pkw, würden die Bände heute auch so einige Regalmeter füllen. Vor mehr als 100 Jahren sah das anders aus: Das "Deutsche Automobil-Adreßbuch - gefertigt anhand des amtlichen Materials der listenführenden Behörden der sämtlichen deutschen Bundesstaaten" verzeichnet damals 45.000 Besitzerinnen und Besitzer. Das Buch ist die erste Quelle, in dem jede Besitzerin und jeder Besitzer mit Wohnort und Beruf in Preußen und anderen Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches aufgeführt ist.

Stöbern Sie selbst!

Hier können Sie das Adressbuch durchsuchen, zum Beispiel nach Namen oder Orten. Es wird die damalige Scheibweise der Orte verwendet, zum Beispiel taucht die Domstadt Köln als "Cöln" auf. Die Hamburger Stadtteile Altona und Wandsbek etwa waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch eigenständige Gemeinden.

Über die Automobil-Typen steht leider nichts in dem Adressbuch. Viele der Hersteller wären heute allerdings auch unbekannt, sagt der niedersächsische Automobil-Historiker Manfred Grieger: "Anfang des 20. Jahrhunderts gab es erstmal eine Vielzahl von Produzenten, mehr als 150. Viele von denen haben auch nur drei bis fünf Autos hergestellt und waren dann wieder pleite. Jedes Auto war ja ein handwerkliches Einzelstück." Auch finden sich im Datensatz Lücken - nicht immer haben die lokalen Behörden offenbar alle Daten an die Verfasser des "Automobil-Adreßbuchs" weitergeben können.

"Deutsches Automobil-Adreßbuch" von Hand abgetippt

Das "Deutsche Automobil-Adreßbuch" gehört zum Bestand der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Braunschweig und wurde 2014 eingescannt und digital verfügbar gemacht. Allerdings waren die Daten damit noch nicht durchsuchbar oder in Tabellenform strukturiert. Das erledigten 2019 Mitglieder des Vereins für Computergenealogie e.V. (CompGen). Mit einer für solche Zwecke konzipierten Software tippten Freiwillige die Einträge ab und speicherten das Ergebnis in einer Datenbank. Mit diesem System wurden bereits Verlustlisten aus dem Ersten Weltkrieg mit mehreren Millionen Einträgen als Text digital verfügbar gemacht.

"Die 1.210 Seiten zu erfassen, hat insgesamt nur ein paar Tage gedauert", sagt Horst Reinhardt, der an dem Projekt beteiligt war. Die Mitglieder des Vereins interessieren sich vor allem für Ahnenforschung und Familiengeschichte. "Natürlich gibt es die Hauptquellen wie Kirchenbücher und Familienstandsregister. Aber für uns sind diese Quellen aus dem Alltag sehr interessant."

In den 1920er- und 30er-Jahren entstehen weitere solcher Adressbücher, allerdings nur für Teilgebiete des Deutschen Reichs.

Regionale Verteilung der Automobile und Krafträder 1909

Was dem "Automobil-Adreßbuch" unter anderem zu entnehmen ist: Die meisten Pkw, Lkw und Motorräder gab es im Westen des Deutschen Reichs - dort schlug zur Jahrhundertwende dessen industrielles Herz.

Ordnung ins Chaos bringen

Zeitungsausschnitt aus dem Jeverschen Wochenblatt vom 10. August 1909: Ein tödlicher Automobil-unfall ereignete sich auf der Bassumer Chaussee kurz vorBinghausen. Ein mit fünf zum Teil noch schulpflichti-gen Knaben besetztes Fuhrwerk aus Twistringen wolltenach Bassum fahren, als plötzlich ein Automobil hinterdem Wagen auftauchte. Um ein Scheuwerden desPferdes zu verhüten, sprang der Kutscher schnell ab, bogin einen Sommerweg ein und machte Halt. Zwei andereInsassen sprangen ebenfalls vom Wagen; der eine, der11jährige Sohn des Kaufmanns H. Bellersen aus Twist-ringen, lies unglücklicherweise ein paar Schritte auf dieChaussee, wurde vom Auto erfaßt und etwa zwanzigSchritt mit fortgeschleift. Als der Kraftwagen zumStehen gebracht war, fand man den Knaben zermalmtund tot vor. Der Automobilbesitzer, ein Herr aus Kre-feld, war im ersten Augenblick ganz außer sich und wolltesich erschießen. Die Körperreste des verstümmeltenKnaben wurden von dem Autofahrer dann nach demKrankenhause überführt. Den Kraftwagenführer scheintnach Lage der Sache keine Schuld zu treffen; die Auto-insassen taten alles, was in diesem traurigen Falle nochzu tun übrig blieb. © CC BY-SA 4.0
Der Unfall als Meldung - Zeitungsausschnitt aus dem "Jeverschen Wochenblatt" vom 10. August 1909 (CC BY-SA 4.0 Landesbibliothek Oldenburg)

In Zeiten lange vor dem Internet und der digitalen Kennzeichen-Abfrage war das "Adreßbuch" vor allem für die Polizei interessant. Denn zur Jahrhundertwende mehrten sich die Unfälle mit den noch relativ neuen Automobilen. Diese Meldung etwa könnte auch heute erscheinen: "Ein tödlicher Automobilunfall ereignete sich auf der Bassumer Chaussee kurz vor Binghausen." Nur: Sie stammt vom 10. August 1909, abgedruckt im "Jeverschen Wochenblatt".

Bei dem Unfall am 6. August 1909 wird "der 11-jährige Sohn des Kaufmanns H. Bellersen aus Twistringen" tödlich verletzt. Der Junge hatte auf einem Pferdefuhrwerk gesessen - und als das Auto näher kam, hatte der Kutscher Angst, dass die Pferde scheuen könnten. Der Junge sei auf die Straße gelaufen und dann von dem Auto erfasst worden. "Der Automobilbesitzer, ein Herr aus Krefeld, war im ersten Augenblick ganz außer sich und wollte sich erschießen", heißt es weiter.

Luxusobjekt Auto - damals wie heute

Die Erfindung des Pkw maßgeblich durch Carl Benz lag da zwar schon mehr als 20 Jahre zurück, trotzdem waren die Gefährte noch relativ selten auf deutschen Straßen zu sehen. Und das, obwohl Carl Benz mit seiner "motorisierten Kutsche" ausdrücklich ein Fahrzeug für viele bauen wollte.

Der deutsche Automobilkonstrukteur und Industrielle August Horch in einem seiner Fahrzeuge. Undatierte Aufnahme. © picture-alliance / dpa
AUDIO: Geliebt und gehasst: Das Automobil in seiner Entwicklung (4 Min)

"Man kann gut einen Vergleich zur Gegenwart und dem Umstieg auf den Elektroantrieb bei Autos ziehen: Es ist oft so, dass technologische Innovationen erst einmal technisch affine Menschen mit Einkommen oder Vermögen ansprechen. So war das auch beim Auto", sagt Historiker Grieger. "Für die war es interessant, weil sie den Zug hinter sich lassen konnten. Nicht nur das Erste-Klasse-Abteil, sondern die ganze Idee, dass unterschiedliche Klassen zusammen in einem Transportmittel fortbewegt wurden. Für bestimmte Teile des Adels und des Besitzbürgertums war das eine Möglichkeit, sich von den anderen abzuheben."

Attentate auf Automobilisten

Der deutsche Automobilkonstrukteur und Industrielle August Horch in einem seiner Fahrzeuge. Undatierte Aufnahme. © picture-alliance / dpa
Aus Angst vor Übergriffen soll der Industrielle und Automobilkonstrukteur August Horch immer eine Peitsche an Bord gehabt haben.

Dort, wo Autos unterwegs waren, stellten sich nun Fragen: Wer hat welche Rechte? Fußgänger, Radfahrer, Pferdekutschen - und die neuen Automobile. "Die anderen mochten Automobile in aller Regel erstmal gar nicht. Sie machten Staub, sie machten Lärm, sie verursachten Unfälle und gefährdeten die nicht motorisierten Personen am meisten. Fußgänger haben anders als Autos keine Knautschzone und sind dadurch natürlich bei einem Unfall gefährdeter", sagt Grieger.

Manchmal wurde dieser Kampf um die Straße mit militanten Mitteln geführt. "Es gab Attentate auf Automobilisten, zum Beispiel mit über die Straße gespannten Drahtseilen. Es gab in den Städten Proteste gegen Lärm und Gestank, und es kam immer wieder zu Übergriffen. In den Erinnerungen von August Horch (Gründer der Automobilwerke Horch und Audi, Anm. d. Red.) steht, dass er immer eine Peitsche an Bord seines Fahrzeugs hatte."

Luxus Auto: Unerschwinglich für Arbeiterinnen und Arbeiter

Plakat für eine Automobil-Messe in Berlin 1909. © picture alliance / Heritage-Images | © Fine Art Images / Heritage-Images
Sehen und gesehen werden - dieses Plakat wirbt für eine Automobilmesse 1909 in Berlin.

"Für die meisten Menschen war ein Auto in der Zeit noch unerschwinglich", so Automobil-Historiker Grieger. "Das sieht man an einer anderen Zahl: Erst 1953 überstieg die Zahl der neu zugelassenen Pkw die Zahl der Motorräder oder der motorisierten Krafträder." Fast 50 Prozent der im "Adreßbuch" registrierten Fahrzeuge entfallen 1909 noch auf Krafträder, Lastwagen gibt es nur wenige.

Doch bereits jeder vierte Eintrag gilt einem "Wagen für Luxus-, Vergnügungs- und Sportszwecke". Denn am Anfang saßen vor allem Adelige und Vermögende hinterm Steuer oder ließen sich kutschieren. Die absolute Zahl war in Berlin am höchsten, aber der Kennzeichenbezirk mit dem höchsten Anteil an Luxuswagen war Hamburg - mit jedem zweiten registrierten Gefährt. Gefolgt von Berlin und Bremen.

Später kamen Berufsgruppen dazu, die ein Auto für ihre Arbeit brauchten - zum Beispiel Landärzte oder Menschen im Vertrieb. "Für einen Krupp-Arbeiter Anfang des 20. Jahrhunderts war ein Auto ein Luxusgut, selbst ein Motorrad konnten sich die wenigsten leisten", so Grieger. Die Besitzer der "Luxuswagen" waren vor allem Kaufleute und Fabrikanten. Im Norden gehörten aber auch Rittergutsbesitzer, Landwirte und Hoteliers dazu - und: Fahrradhändler.

Nach dem Ersten Weltkrieg kommt das Fließband - eine US-Erfindung - schließlich auch in Deutschland an - ein Meilenstein auch für die Mobilität auf der Straße. "Hanomag und andere Hersteller adaptierten das Fließband und reduzierten dadurch die Preise. Eine neue Diskussion tauchte dann auf, nämlich ein Volksautomobil, ein Auto für viele. Das war in der Weimarer Republik am Ende allerdings nicht erreichbar", sagt Historiker Grieger.

Das Automobil: Vom Luxus-Objekt zum Fahrzeug für alle

Zum Vergleich: Heute sind laut Kraftfahrtbundesamt in Deutschland 49,1 Millionen Pkw angemeldet (Stand: 1. Januar 2024) - rund 1.000 mal so viele wie 1909 im Deutschen Reich, das noch eine ganz andere Ausdehnung hatte als die heutige Bundesrepublik. Allerdings lag die Einwohnerzahl deutlich unter der heutigen: Bei der Volkszählung 1910 wurden rund 64,9 Millionen Einwohner im Deutschen Reich registriert.

Zunächst nur wenige Frauen am Steuer

Eine Dame am Volant eines Cabriolet - neben ihr der der Chauffeur - weicht einem Huhn auf der Straße aus. Deutschland um 1910 (Photographie) © picture alliance / brandstaetter images/Sammlung Hubmann
Eine Dame am Steuer ist anders als heute damals eine Seltenheit.

Am Steuer saßen damals vor allem Männer. Nur vereinzelt tauchen Frauen in dem "Adreßbuch" auf, zum Beispiel Elisabeth Trincks, eine Witwe aus der Lessingstraße 24 in Hamburg. Oder Alma Eichwede aus der Seelhorststraße 18 in Hannover. Set 1909 haben sich die Verhältnisse aber geändert: Laut Kraftfahrzeug-Bundesamt besaßen zum 1. Januar 2024 mehr als 22,8 Millionen Frauen in Deutschland eine gültige Fahrerlaubnis. Bei den Männern waren es 28,3 Millionen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | ZeitZeichen | 25.11.2019 | 20:15 Uhr

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