Sorgenkinder: Werften in MV schlittern von Krise zu Krise
Die Geschichte der Werften in Mecklenburg-Vorpommern ist seit der Wiedervereinigung eine Geschichte von Krisen. Seit Anfang der 1990er-Jahre scheiterte ein Eigner nach dem anderen.
Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks brechen auch für die volkseigenen Werften im Nordosten die Aufträge weg. Allein die Volkswerft in Stralsund soll beispielsweise noch bis 1995 45 Trawler für die Sowjetunion bauen. Durch den nun folgenden Baustopp verliert fast die Hälfte der rund 7.000 Schiffbauer ihre Jobs. Die Volkswerft wird in einer ersten Maßnahme zunächst in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt, 1993 aber wie alle anderen Standorte privatisiert.
Pleite von Bremer Vulkan-Verbund
Der Bremer Vulkan-Verbund übernimmt die Werft für eine Million D-Mark und baut das Unternehmen um zu einer Kompaktwerft. 1996 meldet der Vulkan-Verbund jedoch wegen Zahlungsunfähigkeit ein gerichtliches Vergleichsverfahren an. Stralsunder Bürger, Politiker und Schiffbauer erreichen schließlich, dass sich die Volkswerft vom Verbund abkoppeln kann und somit am Konkurs vorbeischrammt. Die Unternehmensanteile liegen nun beim Bund, beim Land Mecklenburg-Vorpommern und der Stadt Stralsund.
Peene-Werft und Volkswerft verschmelzen
1998 übernimmt die dänische Unternehmensgruppe A. P. Møller, danach 2007 die Bremer Hegemann-Gruppe die Werft: Der Einstieg in den Bau großer Containerschiffe. Zur Gruppe gehört neben der Volkswerft in Stralsund auch die Peene-Werft Wolgast. Mitte 2010 verschmelzen die beiden Werften zu den P+S Werften. Containerfrachter stehen nun nicht mehr im Mittelpunkt. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Bau von Spezialschiffen, wie beispielsweise Flusskreuzfahrtschiffen. 1.925 Mitarbeiter sind in dieser Zeit an den beiden Standorten Wolgast und Stralsund beschäftigt.
P+S Werften gehen in Insolvenz
Die P+S-Gruppe meldet im August 2012 Insolvenz an. Für die Beschäftigten wird eine Auffanggesellschaft gegründet. Die Wolgaster Werft geht im Mai 2013 an die Bremer Lürssen-Gruppe, in Stralsund werden im November 2013 750 Mitarbeiter arbeitslos. Im Juni 2014 übernehmen die Nordic-Werften die Stralsunder Schiffbaufirma für 6,5 Millionen Euro. Die Volkswerft Stralsund heißt nun "Nordic Yards Stralsund".
Großkonzern Genting übernimmt
Anfang März 2016 kauft der asiatische Konzern Genting die drei Nordic-Werften in Wismar, Warnemünde und Stralsund - für rund 230 Millionen Euro. Der Konzern hatte von Anfang an das Ziel, seine Kreuzfahrt-Branche auszubauen. Am Standort Warnemünde wird 2019 das 216 Meter lange Mittelschiff des ersten Global-Class-Kreuzfahrtschiffes "Global Dream" ausgedockt, um es anschließend zur Werft in Wismar zu schleppen. Hier soll es komplett zusammengebaut werden. Das nach Fertigstellung 342 Meter lange Schiff soll - gemessen an der Passagierkapazität - das größte Kreuzfahrtschiff der Welt werden. Genting investiert mehrere hundert Millionen Euro. Knapp 3.000 Menschen arbeiten zwischenzeitlich für die MV-Werften.
Erste Hilfen aus den Sicherheitsrücklagen
2020 kommt Corona, Einnahmen brechen weg, Mitte April werden erste Meldungen über die Schieflage der Werften öffentlich. Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) damals: "Das Land würde sich grundsätzlich mit der Hälfte der auszuzahlenden Mittel, sprich Bürgschaft oder Darlehen, beteiligen, ja klar."
Drei Monate später fließen die ersten 175 Millionen Euro. Diese stammen aus Rücklagen, die Genting Hong Kong für Krisenzeiten angelegt hatte. Reichen werden die aber nicht, die MV Werften wollen unter den Rettungsschirm des Bundes und einen Kredit von knapp 600 Millionen Euro. Dazu fehlen aber Langezeitgutachten zu den Zukunftschancen der Werften und ihres Eigentümers. Die Arbeiter hoffen und bangen, demonstrieren mit Autokorsos. Sie sehen sich als Spielball der Politik.
Genting schließt Beteiligung aus - Insolvenz
Einen Lichtblick gab es dann 2021: Stralsund feiert die Taufe des Kreuzfahrriesen „Crystal Endeavour“. Doch nur wenige Tage später beginnt hier der Jobabbau. Doch es bleibt bei der unendlichen Krisen-Geschichte: 300 Millionen Euro Kredite wurden garantiert, das Land beteiligt sich mit Millionen und rettet die Werften mehrfach vor dem Aus. Dann Ende 2021 erneut der Ruf nach 130 Millionen Staatshilfen, doch Genting will nun seinen Eigenanteil nicht aufbringen. Nun blicken die knapp 2.000 Mitarbeiter der MV Werften einer ungewissen Zukunft entgegen. Der Konzern hat am 10. Januar 2022 Insolvenz angemeldet.