"Estonia": Schwedens Staatsanwaltschaft ermittelt nicht weiter
Am 28. September 1994 ereignete sich in der Ostsee eine der schlimmsten Schiffskatastrophen Europas: Die Fähre "Estonia" sank. 852 Menschen starben, 137 überlebten. Fast 30 Jahre später heißt es: Es wird keine neuen Ermittlungen geben.
Die schwedische Staatsanwaltschaft nimmt im Fall der 1994 gesunkenen Ostsee-Fähre "Estonia" keine neuen Ermittlungen auf. Das geht aus einer Mitteilung der Behörde vom Donnerstag hervor. Demnach will die Staatsanwaltschaft weder die bereits beendeten Ermittlungen zum Untergang des Schiffs wieder aufnehmen noch neue Ermittlungen in Gang setzen.
Hintergrund für die erneute Befassung mit dem Fall waren Filmaufnahmen, die im Herbst 2020 veröffentlicht worden waren und die dabei bisher nicht gekannte Risse in der Bordwand der "Estonia" zeigten. Daraufhin hatte die schwedische Staatsanwaltschaft den Auftrag erhalten zu prüfen, ob das 1997 eingestellte Verfahren noch einmal aufgenommen werden muss. Konkret ging es um die Frage, ob im Zusammenhang mit dem Untergang eine Straftat begangen wurde. Diese Ermittlungen wurden jetzt eingestellt.
Ursache für den Untergang: Abgerissenes Bugvisier
Die "Estonia" war im September 1994 mit 989 Menschen an Bord auf dem Weg von Tallinn nach Stockholm vor der finnischen Südküste gesunken. 852 Menschen starben, 137 überlebten. Es war die größte Schiffskatastrophe der europäischen Nachkriegsgeschichte.
Meyer Werft sieht keinen "Konstruktionsfehler"
Um Antworten zu finden, hatten Schweden, Estland und Finnland eine gemeinsame Untersuchungskommission gegründet: die Joint Accident Investigation Commission (JAIC). Drei Jahre lang untersuchten Experten der JAIC den Untergang der Fähre. Dem offiziellen Untersuchungsbericht von 1997 zufolge war das abgerissene Bugvisier der Fähre die Ursache für den Untergang. Daran wurden aber immer wieder Zweifel geäußert. Vor allem die Hinterbliebenen kritisierten das Gutachten.
Aber auch der Erbauer der "Estonia", die Meyer Werft in Papenbug, störte sich an dem Bericht - denn der "final report" der JAIC kommt zu dem Schluss, dass das Schiff wegen eines Konstruktionsfehlers untergegangen gegangen sei. Die Hamburgische Schiffsbauversuchsanstalt (HSVA) und die Technische Universität Hamburg-Harburg (TUHH) stellten ihrerseits Untersuchungen an und fanden heraus, dass das Bugvisier abfiel, weil es überlastet und außerdem schlecht gewartet gewesen sei. Dann habe die Fähre das Visier überfahren und durch den Seegang sei massiv Wasser eingedrungen.
Havariekommission befasst sich weiter mit dem Fall
Unabhängig von der Entscheidung der schwedischen Saatsanwaltschaft untersucht die staatliche Havariekommissionen von Estland mit Unterstützung der schwedischen und finnischen Behörden weiter den Fall des Untergangs der "Estonia". Auch diese gemeinsamen Untersuchungen der drei Länder waren aufgrund der Veröffentlichung im Zusammenhang mit einer TV-Dokumentation neu gestartet worden.
Die Kommission hatte im Januar 2023 einen Zwischenbericht vorgelegt und zahlreiche neue Fotos vom Wrack der "Estonia" veröffentlicht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass es bisher keine Hinweise auf eine Kollision mit einem Schiff oder einem Gegenstand im Wasser gibt. Auch konnten keine Hinweise auf eine Explosion an Bord der Fähre entdeckt werden. Vor dem Hintergrund dieses Zwischenberichts hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen einer möglichen Straftat eingestellt.
Weitere Untersuchungen an Wrack und Unglücksort
Das Wrack und der Unglücksort werden aber weiter untersucht. Zuletzt hat das norwegische Unternehmen Reach Subsea AS mithilfe eines schwedischen Forschungsschiffes den Meeresboden rund um die Estonia abgesucht. Dank eines Unterwasserroboters waren im Oktober 2023 auch neue Aufnahmen des Autodecks entstanden. Auch vor diesem Hintergrund ist noch unklar, wann die JAIC ihren finalen Bericht vorlegen wird.