Schaufenster der Bits & Bytes: Als das Aus der CeBIT kam
Am 12. März 1986 öffnete in Hannover die erste eigenständige CeBIT. Die Hightech-Messe war über viele Jahre ein Erfolgsmodell. Sie spiegelte Aufstieg, Krisen und Wandel der Computer-Branche. Am 28. November 2018 kam das Aus für die CeBIT.
Besucherrückgang und Ausstellerschwund? Als die Deutsche Messe AG in Hannover 1986 zur ersten eigenständigen CeBIT einlädt, sind solche Begriffe Fremdworte. Bereits seit den 1960er-Jahren hält die Elektronik Einzug in die Verwaltung, das Interesse an moderner Bürotechnik nimmt rasant zu. Büromaschinen sind daher auf der traditionellen Industrieschau Hannover Messe längst vertreteten.
Die Messe stellt Anbietern aus dieser Branche unter dem Stichwort "Büroindustrie" sogar einen eigenen Bereich zur Verfügung, es mangelt aber an Ausstellungsfläche. 1970 entsteht für diesen Sektor ein neues Quartier: Die größte ebenerdige Messehalle der Welt mit mehr als 70.000 Quadratmetern Fläche auf drei Etagen.
CeBIT = Centrum der Büro- und Informationstechnik
Mit der riesigen Halle bekommt die "Büroindustrie" auch einen neuen Namen: Centrum der Büro- und Informationstechnik oder kurz CeBIT. Wie glücklich der Begriff gewählt ist, zeigt sich auch daran, dass viele Besucher ihn mit dem Bit als kleinster Datenmenge in der Computersprache verbinden. Tatsächlich dreht sich auf der Hannover Messe immer mehr um Bits und Bytes. Die Datenverarbeitung fasst in nahezu allen Bereichen der Industrie Fuß und sorgt dafür, dass Anbieter aus dieser Branche immer größere Flächen buchen. Bald können die Messemacher nicht mehr alle Interessenten unterbringen: Die Flut von Computer- und Software-Firmen sprengt den Rahmen. 1980 steigt die Informations- und Kommunikationstechnik zum zweitgrößten Messe-Segment nach der Elektrotechnik auf. 1985 müssen sich Hunderte IT-Unternehmen mit einem Platz auf der Warteliste begnügen.
Die Messe teilt sich
Doch die Organisatoren tun sich schwer, dem Bereich eine eigene Messe zu widmen. Nach monatelangen Gesprächen mit Ausstellerverbänden und Industrievertretern fällt die Entscheidung: Ab 1986 gibt es im März, vier Wochen vor der Industrie-Messe, eine eigene Hannover Messe CeBIT. Der Schritt bleibt allerdings weiter umstritten: Dem größeren Platzangebot steht die Befürchtung gegenüber, dass eine Messe ohne industrielles Umfeld weniger attraktiv sein könnte. Dennoch öffnet am 12. März 1986 die erste eigenständige CeBIT auf 200.000 Quadratmetern Fläche mit 2.142 Ausstellern. Davon stammen 190 Firmen aus dem neuen Bereich Telekommunikation. Er wird in den kommenden Jahren zur boomenden Branche und Kernsegment der CeBIT. Mit insgesamt 334.400 Besuchern während der acht Messetage 1986 zeigen sich die Veranstalter zufrieden.
Schnelles Wachstum und Etablierung
In den folgenden Jahren wächst die junge Messe stetig und gehört schnell zu den festen Terminen im Kalender aller Branchengrößen. Die CeBIT 1995 geht als Mega-Messe in die Historie ein: Mehr als 6.100 Aussteller und 755.000 Besucher drängen sich auf dem längst vollständig genutzten Messegelände. Computer gehören inzwischen nicht nur in der Wirtschaft zum Standard, es gibt auch immer mehr private Nutzer.
Microsoft-Chef Bill Gates zeigt seine Videopräsentation "Information at your fingertips 2005", mit der er einen Ausblick auf die technische Entwicklung in den kommenden Jahren bietet; hochauflösende Flachbildschirme, eine Videoverbindung eines Krankenwagens mit der Klinik und sprachgesteuerte Einsatzcomputer der Polizei. "Sie werden sehen, in zehn Jahren wird sich diese Technik natürlich in unser Leben einfügen", verspricht Gates seinen Zuhörern.
CeBIT Home floppt
Das riesige Publikumsinteresse wird für die Messe zunehmend zum Problem: Handys und PCs locken viele junge Leute an, die als Schaugäste und Souvenirjäger die CeBIT überfüllen. Dem Konzept einer Fachmesse stehen sie im Wege. Die Veranstalter reagieren mit deutlich höheren Eintrittspreisen und streichen einen Messetag. Außerdem heben sie 1996 die CeBIT Home aus der Taufe: eine Messe speziell für die Konsumenten der Elektronik-Branche. Der Plan geht allerdings nicht auf, die Messe findet nicht den erwarteten Anklang und wird schon im Jahr 2000 wieder aufgegeben.
Vom Boom in die Krise
Die CeBIT selbst boomt weiter. Auf dem Höhepunkt der Internet-Euphorie entstehen zahllose Minifirmen im IT-Bereich und drängen an die Börse und auf die Messe. Zur Jahrtausendwende kommen mehr als 7.800 Aussteller und 750.000 Besucher nach Hannover. Danach platzt die Internet-Blase und die Branche gerät in die Krise. 2001 kann die langfristig organisierte Messe zwar noch mit guten Zahlen glänzen, aber die Stimmung ist gedämpft. Ein Jahr später zeigt sich dies auch in mageren Geschäften.
Besucherzahl sinkt auf Anfangsniveau
Danach kämpft die CeBIT gegen schrumpfende Aussteller- und Besucherzahlen. Mehrere zugkräftige Großunternehmen kommen nicht mehr nach Hannover, andere verkleinern ihre Messestände. 2004 zählt die Messe AG knapp 500.000 Gäste und 2010, als Folge der Weltwirtschaftskrise, nur noch 4.157 Aussteller und 334.000 Besucher - weniger als im Premierejahr 1986. Auch die Produkte der IT-Branche selbst stellen die Messe infrage: immer schnellere Datenverbindungen zu günstigen Preisen, Video-Konferenzen und das weltweite Präsentations- und Werbemedium Internet. Sind große Messen an starren Terminen noch zeitgemäß?
Mehr Konferenzen gehören zum neuen Konzept
Die Messe-Leitung passt ihr Konzept immer wieder die aktuellen Entwicklungen an und versucht so, den Trend umzukehren. Um Kosten zu senken, wird die CeBIT 2010 auf nur noch fünf Tage verkürzt. Außerdem gibt es mehr Kongresse und Firmenveranstaltungen. Neben der Information über neue Produkte stehen Diskussionen und Konferenzen zunehmend im Mittelpunkt. So wirbt die CeBIT 2011 zum 25-jährigen Bestehen für die "CeBIT Global Conferences". Außerdem wird die Messe erstmals nicht nach Themenbereichen gegliedert, sondern nach Zielgruppen. Dabei sind auch Endverbraucher wieder willkommen. Die Bilanz fällt dennoch bescheiden aus: Nach den fünf Messetagen registrieren die Veranstalter ein kleines Plus von 5.000 Besuchern gegenüber dem Minus-Rekord von 2010.
Erneut weniger Besucher
Offenbar behalten die Skeptiker Recht. 2012 sinkt die Zahl der Besucher erneut deutlich - auf nur noch 312.000. Die Messe AG begründet das unter anderem mit einem eintägigen Streik im öffentlichen Nahverkehr Hannovers. Inhaltlich stehen "Vertrauen und Sicherheit in der digitalen Welt" im Mittelpunkt. Konsumenten werden mit einem Entertainment-Bereich aus Musik und Spielen sowie viel Smartphone-Zubehör auf das Messegelände gelockt.
Weniger Masse, mehr Klasse?
Auch ein Jahr später fehlen der CeBIT die großen technischen Innovationen. So stehen 2013 die Bereiche Mobility, Cloud, Big Data, Social Business und das Internet der Dinge auf der Agenda. Das zentrale Thema der Messe ist das Kunstwort "Shareconomy" - teilen und profitieren. Teilen muss auch die CeBIT, nämlich die Interessenten mit anderen Messen und dem Internet als Konkurrenten. Weil die Besucherzahl erneut um zwölf Prozent auf rund 280.000 abnimmt, tröstet sich die Messeleitung damit, dass sich die Qualität verbessert habe. "Klasse statt Masse", so lautet das neue Motto.
Rote Karte für Laien
2014 entscheiden sich die Messemacher zu einem radikalen Schnitt. Sie setzen ganz offiziell auf Fachbesucher. Die einst umworbenen interessierten Laien sind nicht mehr willkommen. Ein Tagesticket kostet nun 60 Euro, 20 mehr als vor einem Jahr. Das Thema "Datability", ein Kunstwort, das für den sicheren und nachhaltigen Umgang mit großen Datenmengen stehen soll, hat am Ende der nur noch fünf Messetage insgesamt rund 210.000 Besucher interessiert. Die Zahl der Aussteller bleibt mit 3.400 nahezu konstant.
"d!conomy" wird zum Erfolg
Ein neues Jahr, ein neues Kunstwort: "d!conomy" heißt das CeBIT-Motto 2015. Es soll dafür stehen, wie stark Wirtschaft und Gesellschaft von den Neuerungen der Informationstechnologie durchdrungen werden. Allein das aktuelle Partnerland China schickt rund 600 Aussteller und damit jeden fünften auf dem Messegelände.
Das Kozept und der Name scheinen angekommen zu sein, denn auch 2016 bleibt es bei "d!conomy" - mit dem Zusatz "join-create-succeed". Eine reine Computer- oder IT-Messe will die CeBIT nun nicht mehr sein. Die Organisatoren verstehen sie als Plattform für die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ein umfangreiches Kongresssprogramm ergänzt die Präsentationen an den Messeständen. Neue, große Themen lassen sich 2016 kaum erkennen. Es geht erneut um Schwerpunkte wie Cloud-Dienste, Smartphone-Apps, 3D-Drucker und IT-Sicherheit. Das Partnerland wechselt von groß auf klein: Schweiz statt China. Die Besucher- und Ausstellerzahlen stabilisieren sich und liegen erneut im Bereich von gut 200.000 Interessenten bei rund 3.300 Anbietern.
2018: Niedergang bis zum Ende
Der Durchbruch gelingt jedoch nicht. 2018 geht die CeBIT mit einem ganz neuen Konzept ins Rennen um die Besucher. Mehr Events, mehr Konzerte, mehr Konferenzen, Party und Spaß. Es sollen mehr junge Menschen nach Hannover gelockt werden - die Entscheider von morgen. Doch die Resonanz bleibt mäßig, nur 120.000 Menschen kommen auf das Messegelände - trotz günstiger Abendtickets. Am 28. November 2018 kommt dann das Aus für die CeBIT. Schon 2019 werde es keine Computermesse mehr geben, teilen die Veranstalter mit. "Industrienahe Digitalthemen" sollen nun auf der Hannover Messe unterkommen.
Agrarmesse liegt vorn
Die Ausstellung mit den meisten Besuchern in Hannover ist inzwischen die Agritechnica, die weltgrößte Schau von Maschinen für die Landwirtschaft. Sie findet alle zwei Jahre statt, 2021 musste sie Corona-bedingt ausfallen, auch die Ersatzveranstaltung 2022 fiel wegen der Pandemie aus. 2023 hingegen hat die Agritechnica einen Besucherrekord verzeichnet. Rund 470.000 Interessenten kommen auf das Messegelände.