Als Schleswig-Holstein Vorreiter der Demokratie war
Forderungen nach Selbstbestimmung und Freiheit erfassen im Revolutionsjahr 1848 auch Schleswig-Holstein. Eine provisorische Regierung lässt ein Staatsgrundgesetz erarbeiten. Doch europäische Großmachtinteressen bereiten der demokratischen Verfassung, die am 15. September 1848 verkündet wird, ein jähes Ende.
Im Frühjahr 1848 erwachen überall in Europa Kräfte, die demokratische, freiheitliche und nationalstaatliche Bestrebungen entfachen. Auch in Schleswig-Holstein finden diese Ideen Anklang. Allerdings entstehen daraus zwei liberale Bewegungen, die sich in ihren Interessen überschneiden und schließlich zur schleswig-holsteinischen Erhebung führen.
Bislang haben die beiden zum dänischen Gesamtstaat gehörenden Herzogtümer Schleswig und Holstein keine Verfassung. Sie werden absolutistisch und zentralistisch von Kopenhagen aus regiert. Das Herzogtum Holstein ist gleichzeitig Teil des Deutschen Bundes.
Eiderdänen fordern Einverleibung Schleswigs
Im März 1848 nehmen die Spannungen zwischen den dänischen Nationalliberalen, den sogenannten Eiderdänen, und den deutsch gesinnten Schleswig-Holsteinern zu. Beide Strömungen sind sich in ihrer Haltung gegen den dänischen Absolutismus einig. Doch nationalstaatliche Interessen der Eiderdänen sorgen dafür, dass Schleswig-Holstein sich auflehnt. Denn die Eiderdänen fordern am 11. März 1848, dass die Südgrenze Dänemarks bis zur Eider reichen und das gesamte Herzogtum Schleswig zum Königreich gehören soll.
Die deutschen Schleswig-Holsteiner lehnen das ab, weil dies die Trennung der Herzogtümer bedeuten würde. Stattdessen fordern sie auf einer Ständeversammlung am 18. März 1848 die Aufnahme Schleswig-Holsteins in den Deutschen Bund. Eine Delegation der Ständeversammlung reist nach Kopenhagen, um dem dänischen König ihre Forderungen zu überbringen - ohne Erfolg. Stattdessen bildet der dänische König am 22. März 1848 ein Ministerium, das überwiegend aus Eiderdänen besteht.
Gerüchte versetzen Kiel in Aufruhr
Gerüchte über dieses neue Ministerium erreichen Kiel, wo viele die Konsequenzen hinsichtlich der Eingliederung Schleswigs fürchten. Eine Volksbewegung aus engagierten Bürgern, Studenten und Turnern versammelt sich nachts vor dem Rathaus und diskutiert, was nun zu tun sei. Die Behörden des dänischen Stadtkommandanten und auch das Militär leisten keinen Widerstand gegen eine spontan gebildete Bürgerwehr. So können linksliberal-demokratische Gruppen noch am Abend des 23. März das Kieler Rathaus besetzen.
Provisorische Regierung wird über Nacht gebildet
Gleichzeitig kommen im Haus des Advokaten Bargum - wenige Straßen vom Rathaus entfernt - einige führende Köpfe der liberalen Bewegung zusammen, darunter der Nationalkonservative Friedrich Graf Reventlou, das langjährige Mitglied der schleswig-holsteinischen Ständeversammlung Wilhelm Hartwig Beseler und der radikaldemokratische Verleger Theodor Olshausen. Abgesandte laufen stundenlang zwischen dem Rathaus und dem Haus des Advokaten hin und her, um Ideen und Positionen weiterzugeben und zu vermitteln. Innerhalb weniger Stunden einigt man sich. Noch in der Nacht tritt Wilhelm Beseler vor das Kieler Rathaus und verkündet die Gründung einer provisorischen Regierung, deren Präsident er wird. Die Proklamation ist ein Kompromiss aus konservativ-rechtlichen und revolutionären Grundsätzen, um breite Teile der Bevölkerung hinter der Bewegung zu vereinen.
Preußen schickt Truppen zur Unterstützung
Um dem Ganzen militärischen Rückhalt zu geben, sendet die provisorische Regierung am Morgen des 24. März 1848 bewaffnete Truppen nach Rendsburg, um die wichtigste Festung der Herzogtümer einzunehmen. Neben Verbänden aus Freiwilligen unter Kriegsminister Prinz Friedrich von Noer stellen sich auch Teile der regulären Armee hinter die provisorische Regierung. Unterstützung für die Erhebung kommt auch aus Berlin und Frankfurt: Preußen erkennt die provisorische Regierung schnell an und schickt Truppen zur Unterstützung, ebenso der Deutsche Bund.
Versammlungs- und Pressefreiheit in Schleswig-Holstein
Die provisorische Regierung in Kiel beginnt zügig, erste liberale Forderungen umzusetzen. Bereits ab dem 25. März gelten in Schleswig-Holstein die Versammlungs-, die Meinungs- und die Pressefreiheit. Zudem beschließt die Regierung die Bürgerbewaffnung und die allgemeine Wehrpflicht. Auch die Abschaffung ungerechter Steuern und Privilegien wird zügig umgesetzt. Dabei arbeiten demokratische und national-konservative Kräfte angesichts gemeinsamer Ziele und Gegner relativ reibungslos zusammen. Sitz der Regierung ist zunächst Rendsburg, später Schleswig.
Frei gewähltes Parlament erarbeitet Staatsgrundgesetz
Im Sommer 1848 ordnet die provisorische Regierung die Wahl eines Parlaments an, das eine Verfassung erarbeiten soll. Das Parlament wird nach allgemeinem, gleichem und direktem Wahlrecht gewählt - und setzt seine Aufgabe innerhalb weniger Wochen um: Das Staatsgrundgesetz enthält umfassende Grundrechte und wird am 15. September 1848 verabschiedet. Damit haben die Schleswig-Holsteiner vor anderen Regionen in Deutschland und viele Monate vor der ersten Verfassung des Deutschen Reiches am 28. März 1849 eine Verfassung. Die neue Verfassung erklärt Schleswig-Holstein zu einer konstitutionellen Monarchie mit dem dänischen König als Herzog.
Friedrich Engels lobt demokratische Gesetze
"Schleswig-Holstein hat durch diese Regierung demokratischere Gesetze erhalten als irgendein anderer deutscher Staat. Von allen deutschen Versammlungen ist die Kieler Landesversammlung die einzige, die nicht nur auf allgemeinem Stimmrecht, sondern auch auf direkter Wahl beruht. Der von der Regierung vorgelegte Verfassungsentwurf ist der demokratischste, der je in deutscher Sprache abgefasst wurde", schreibt Friedrich Engels im September 1848 in einem Zeitungsartikel.
Europäische Großmächte für Erhalt des Status quo
Dass diese Entwicklung keine dauerhafte Erfolgsgeschichte wird, liegt vor allem an den Interessen der europäischen Großmächte. Diesen ist im Sinne des Machtgefüges in Europa daran gelegen, einen geeinten dänischen Staat zu erhalten. Zudem wollen manche Länder wie Frankreich, England und Russland verhindern, dass die Herzogtümer an ein geeintes Deutschland fallen könnten.
Jähes Ende der provisorische Regierung
Preußen sieht sich daher gezwungen, mit der dänischen Seite zu verhandeln. Nach dem Waffenstillstand von Malmö am 26. August 1848 verlassen die preußischen Truppen Schleswig-Holstein. Die provisorische Regierung in Kiel, die innerhalb weniger Monate so vieles in Richtung eines freiheitlichen, demokratischen Staates umgesetzt hatte, wird aufgelöst. Sie tritt am 22. Oktober 1848 ein letztes Mal zusammen, um daraufhin ihre Tätigkeit zu beenden. Friedrich Graf Reventlou und Wilhelm Beseler werden als Statthalter eingesetzt, allerdings nur für Holstein.
Londoner Protokoll beendet 1852 die Erhebung
Der Waffenstillstand hat nicht lange Bestand. Nach sieben Monaten flammen die Kämpfe wieder auf. Mit der Niederlage der Schleswig-Holsteiner bei Idstedt 1850 ist endgültig klar: Die angestrebte Eigenständigkeit wird es zunächst nicht geben. Das Londoner Protokoll von 1852 bestätigt die Autorität des dänischen Königs über die Herzogtümer Schleswig und Holstein. Somit ist die ursprüngliche Machtordnung zunächst wieder hergestellt und die schleswig-holsteinische Erhebung beendet. Doch die Schleswig-Holstein-Frage ist noch lange nicht gelöst, wie die deutsch-dänischen Kriege von 1864 und 1867 zeigen.