Vor 110 Jahren: Als die Luftschiffe in den Krieg eingriffen
Im Ersten Weltkrieg setzt Deutschland Luftschiffe als Waffen ein. Beladen mit Bomben starten sie ab dem 19. Januar 1915 von norddeutschen Stützpunkten. Ihre Ziele: Städte in England.
Des Kaisers neueste Waffe ist noch nicht einsatzbereit, als am 1. August 1914 der Krieg ausbricht. Nur einen einzigen Zeppelin besitzt die im Vorjahr aufgestellte Marine-Luftschiff-Abteilung. Aber die britischen Spione wissen schon Bescheid: In Nordholz südlich von Cuxhaven entsteht der zentrale Luftschiffplatz des Deutschen Reiches. Mehr als 18 Millionen Mark wird er kosten, mit Hallen, Unterkünften, Werkstätten und eigener Gasanstalt.
Begeisterung für Zeppeline
Gerade einmal 14 Jahre ist es her, dass Ferdinand Graf Zeppelin in Friedrichshafen am Bodensee mit der LZ 1 sein erstes, 128 Meter langes Luftschiff gestartet hat. Drei Jahre bevor 1903 die Brüder Wright mit ihrem Flugzeug abheben. Versuche mit Ballons gibt es seit dem 18. Jahrhundert. Aber Graf Zeppelin hat ein Luftschiff konstruiert, das nicht von der Windrichtung abhängig ist und gelenkt werden kann. Mehr als 25 Jahre hat er sich dafür eingesetzt, sein Vermögen verbraucht. Nun erfasst eine Luftschiffbegeisterung das Land. Zeppeline und andere Fabrikate verkehren bald zwischen den deutschen Großstädten. 1912 wird in Hamburg-Fuhlsbüttel die erste Luftschiffhalle gebaut, die Geburtsstunde des heutigen Flughafens. Und Graf Zeppelin denkt bereits an Linienflüge in die USA.
Nach Kriegsbeginn wird das Luftschiff zur Waffe
Inzwischen interessiert sich auch das Militär für das neue Flugobjekt. Heer und Marine rüsten nach Kriegsbeginn eilig auf. In Nordholz werden bis zum Juni 1915 vier Luftschiffe stationiert, auch an anderen Orten Landeplätze gebaut, in Hage etwa und Wittmundhafen in Ostfriesland, in Ahlhorn bei Oldenburg und im nordschleswigschen Tondern. Bald wächst die Truppe auf fast 4.000 Offiziere und Mannschaften an, die meisten zum Halten der Flugköper beim "Ein- und Aushallen". Graf Zeppelin begleitet die Schiffe bei der Auslieferung in den Norden. Die Ausbildung leitet dort ein Vertrauter, der ehemalige Journalist Hugo Eckener.
Anfangs werden die Luftschiffe nur für Aufklärungsflüge eingesetzt. Sie orten britische U-Boote und markieren Minenfelder. Aber der Kommandeur der Luftschiff-Abteilung, Fregattenkapitän Peter Strasser, der mit seinem Stab in Nordholz residiert, fordert ebenso wie Graf Zeppelin bald den Einsatz als Fernbomber, gegen feindliche Industriegebiete und Transportwege, vor allem in Großbritannien. Seine Männer schlafen in den Hangars, dürsten nach Taten. Doch Kaiser Wilhelm II. zögert. Er ist mit dem britischen Königshaus verwandt, und Angriffe auf Zivilisten gelten als Kriegsverbrechen.
Nachdem am ersten Weihnachtstag 1914 britische Flugzeuge überraschend Nordholz angegriffen haben, ändert sich jedoch die Haltung. Am 10. Januar 1915 genehmigt der Kaiser Bombenangriffe auf militärische Ziele in Großbritannien. Nur London bleibt ausgespart. Neun Tage später starten in Norddeutschland drei Zeppeline. 300 Mann haben die 158 Meter langen Ungetüme gegen Mittag aus den Hallen gezogen und halten sie startbereit.
19. Januar 1915: Angriff auf Großbritannien
22.000 Kubikmeter hochbrennbares Wasserstoffgas in riesigen Gaszellen lassen sie in der Luft schweben. Die Zellen bestehen aus Goldschlägerhaut, in Schichten verklebte hauchdünne Rinderblinddärme, 700.000 je Schiff. Die Außenhülle, die das Aluminiumgerippe überzieht, ist aus lackiertem Baumwollstoff genäht und hat die Maße von vier Fußballfeldern. Angetrieben werden die Zeppeline von Benzinmotoren der Firma Maybach.
Sie sind anfangs mit je 500 Kilogramm, später mit bis zu fünf Tonnen Bomben bestückt und verfügen über mehrere Maschinengewehre. Zur etwa 15-köpfigen Besatzung gehört auch ein Segelmacher, der Beschädigungen der Außenhaut während des Fluges reparieren kann. Auf der Oberseite des Luftschiffs befindet sich eine MG-Plattform. Hier harren die Schützen in Eiseskälte aus, in dickem Lederzeug, Pelzen und Filzschuhen. Minus 30 Grad werden in 5.000 Meter Höhe gemessen.
An jenem 19. Januar 1915 erreichen die Luftschiffe am Abend die englische Küste. In der mondlosen Dunkelheit sind sie am schwarzen Himmel schwer zu erkennen. Eine Luftabwehr mit Flugzeugen und Kanonen gibt es noch nicht. Über Hafenanlagen in Norfolk werfen sie ihre Bomben ab. Vier Menschen sterben, 16 werden verletzt. Die Briten sind schockiert, müssen erkennen, dass ihre Insellage im modernen Krieg nun keinen Schutz mehr bietet.
Luftschiffbomber über London
Nachdem die britische Seeblockade die deutsche Kriegsführung zu beeinträchtigen beginnt, befiehlt Wilhelm II. im Mai 1915 auch Angriffe auf London. Nach kleineren Angriffen durch Heeresluftschiffe startet am Morgen des 8. September auch ein Marinebomber im ostfriesischen Hage. Sein Auftrag: die Bank von England zerstören. Gegen 23 Uhr erfassen ihn die Suchscheinwerfer über der britischen Hauptstadt. Aber das Geschützfeuer erreicht ihn nicht. Auch die wenigen Flugzeuge können nicht in seine Höhe vorstoßen. Immer wieder werfen die Soldaten nun Spreng- und Brandbomben über Bord. Wohnhäuser werden getroffen, hinter St. Paul’s Cathedral gehen Textillagerhäuser in Flammen auf. Aber die Bank treffen die Bomben nicht.
Für viele Londoner ist der Zeppelin zunächst nur ein Schauspiel am nächtlichen Sommerhimmel, wie der Schriftsteller George Bernhard Shaw schreibt: "Die ganze Zeit über machte er einen gewaltigen Lärm. Der Klang der Zepp-Motoren war so angenehm und seine Fahrt zwischen den Sternen so bezaubernd, dass ich mich bei der Hoffnung ertappte, in der nächsten Nacht möge ein weiterer Angriff stattfinden."
Aber 22 Menschen sterben im Bombenhagel. Weitere Angriffe folgen, werden bald alltäglich, wie die Schriftstellerin Virginia Woolf später notiert: "Wir hörten weit entfernte aber unverkennbare zwei Einschläge, dann einen dritten, der das Fenster erzittern ließ. Es stellte sich heraus, dass es ein Zeppelin gewesen war."
Ab 1916 schlagen die Briten zurück
1915 kommen durch diese ersten strategischen Luftangriffe der Weltgeschichte in Großbritannien 208 Menschen ums Leben, zumeist Zivilisten. Doch im September 1916 wendet sich das Blatt. Als 16 Luftschiffe - darunter die neuesten, 200 Meter langen Zeppeline, die zum Teil 100 Bomben von insgesamt fünf Tonnen Gewicht transportieren können und 100 Stundenkilometer erreichen - London angreifen, treffen sie auf unerwartete Gegenwehr.
Brandmunition lässt die Luftschiffe in Flammen aufgehen
Neue Flugzeuge können plötzlich in die Angriffshöhe der Luftschiffe vorstoßen und schießen mit Brandmunition. Langsam gleitet ein getroffenes Luftschiff zu Boden, einen grellweißen Feuerschweif hinter sich herziehend. Zehntausende Kubikmeter Wasserstoffgas verwandeln sich in ein Flammenmeer. Wenn die Soldaten nicht schon in großer Höhe aus der Gondel gesprungen sind, verbrennen sie in den Trümmern. Die Briten feiern auf den Straßen.
Die deutschen Militärs aber lassen trotzdem immer mehr, immer bessere Luftschiffe bauen, 3,2 Millionen Mark teure Höhenkletterer etwa, die sich auf 6.000 Meter vor den Flugzeugen zurückziehen können. Sie besitzen einen bemannten Spähkorb, den sie 1.500 Meter herablassen können, bis unter die Wolkendecke.
Es sind technische Wunderwerke, die auch New York angreifen und dann nach Ahlhorn oder Nordholz zurückkehren könnten. Doch der kurze Wettlauf zwischen Flugzeug und Luftschiff ist längst entschieden. Die Bilder brennender, abstürzender Luftschiffe häufen sich fortan. Manche überstehen nicht einmal den ersten Einsatz.
Während das Heer 1917 seine Luftschiffflotte zugunsten von Langstreckenflugzeugen aufgibt, widmen sich die Marineluftschiffer notgedrungen wieder der Aufklärung über der Nordsee, 12.000 Fahrten werden sie bis Kriegsende durchführen. Nur noch selten, in besonders dunklen, wolkigen Nächten, fliegen sie nach London.
Am Ende bleiben hohe Verluste
In Nordholz hat Fregattenkapitän Strasser inzwischen Hallen für zehn Luftschiffe bauen lassen. 5.965 Mann stehen unter seinem Kommando. Doch bei einem letzten Angriff im August 1918 stirbt er an Bord von L 70, des bis dahin größten gebauten Zeppelins, der 130 Stundenkilometer erreicht und auf 7.000 Meter steigen kann. Im November 1918 weht auch auf den Hallen in Nordholz und den anderen Luftschiffplätzen die rote Fahne der Revolution. Graf Zeppelin erlebt das Ende nicht mehr. Er ist bereits im Vorjahr gestorben.
Bis 1918 haben Heer und Marine rund 100 Luftschiffe bauen lassen, von denen zwei Drittel zerstört wurden. Sie haben rund 275 Tonnen Bomben auf Großbritannien geworfen. Durch ihre Angriffe sind dort 557 Menschen getötet worden, 1.358 verletzt. 40 Prozent ihrer Besatzung sind dabei ums Leben gekommen, die höchste Verlustquote aller Waffengattungen des Ersten Weltkriegs. Den Kriegsverlauf haben sie zu keinem Zeitpunkt beeinflusst.
Luftschiffe dienen nach dem Krieg für Forschungsreisen, über den Nordpol oder nach Sibirien, und für Linienflüge in die USA, die Hugo Eckener initiert. Nach der Katastrophe von Lakehurst, als sich im Mai 1937 die Wasserstofffüllung des /geschichte/hindenburg122_v-contentxl.jpgZeppelin LZ 129 bei der Landung entzündet und 36 Passagiere den Tod finden, werden sie eingestellt.
Luftschiffe gibt es heute immer noch, sie sind zum einen aber viel kleiner als damals und zum anderen zielt ihre Nutzung auf Transport und Rundflüge ab. An ihre militärische Geschichte erinnern heute Museen in Nordholz und im dänischen Tondern.