Schiller-Oper: Wo in Altona der Eisbär steppte
Die fantastische Geschichte der Schiller-Oper beginnt in Altona im Jahr 1891: Eisbären stampfen durch die Manege, Akrobaten fliegen durch die Luft. In Scharen strömen die Besucher in den runden Wellblech-Zirkus. (Teil 1/3)
Anfangs ist die Schiller-Oper ein beliebter Zirkus. Dann wird sie zu einem Theater, später zu einem Opernhaus, als Tenöre schmalzige Arien in der Rotunde schmettern. Auch danach ist der Wandel ständiger Begleiter der Schiller-Oper. Und heute? Nur noch ein denkmalgeschütztes Stahlgerippe, inzwischen ohne ihre ehrwürdigen, aber maroden Mauern. Auf dem Areal mitten in Hamburg soll neu gebaut werden.
1. Akt: Zirkus Buschs Tempel der Versuchung
Im August 1889 stellt der aufstrebende Zirkusbetreiber Paul Busch ein Baugesuch bei der Stadt Altona, die damals noch nicht zu Hamburg gehört. Ein "Circus mit Stallgebäuden und Restauration" schwebt ihm vor. Es entsteht ein zwölfeckiger Kreisel aus Stahl und Wellblech. Das Hauptgebäude misst 30 Meter im Durchmesser. Es soll 3.000 Zuschauern Platz bieten. Herzstück ist die Arena, die von einem riesigen Kronleuchter beschienen wird. 1891 ist Eröffnung. Busch verspricht auf bunten Plakaten sensationelle Unterhaltung: "Engel im Löwenkäfig" und "Tempel der Versuchung" heißen seine Shows. Sie drehen sich um tollkühne Artisten, exotische Tänzerinnen, dressierte Hengste und wilde Tiere.
"Zwischen harten Kämpfen zeigten unsere Springpferde ihr Können"
Ein Stück heißt "Klondike". Es thematisiert den Goldrausch in Kanada. Paula Busch, Tochter des Zirkusdirektors, schreibt später darüber:
"Im ersten Akt soffen und schossen die Desperados, die Goldsucher und ihre Hyänen, in wüsten Hafenkneipen herum. Dann folgte ein veritabler Indianer-Sketch, und am Klondike-River zeigten bei harten Kämpfen zwischen Gut und Böse, zwischen Weiß und Braun, unsre Springpferde ihr Können."
Als Höhepunkt sei eine große Platte von der Zirkuskuppel heruntergelassen worden, auf der eine indianische Tempelhöhle nachgebaut war.
"In diesen Felsendom aus purem Gold legt der Graue Wolf reumütig einen entführten Knaben der Weißen nieder und entflieht. Das in einer magischen Strahlenaureole ruhende Kind wird nun umtanzt von den Elfen des Glücks. Also kurzum: das große Ballett tritt in Aktion."
Aufwendige Zirkus-Shows haben Konjunktur im ausklingenden 19. Jahrhundert: Unweit von Buschs Neubau residiert seit Jahren am Rande der Reeperbahn der Zirkus Renz in einem festen Gebäude. Auf dem Heiligengeistfeld stehen fast ständig Zirkuszelte. Und auch ein Raubtierdompteur namens Willy Hagenbeck findet sein Publikum.
Elefanten und Pygmäen als Attraktion in Altona
Der inzwischen verstorbene Filmemacher und NDR Redakteur Horst Königstein hat um 1980 mit betagten Hamburgern gesprochen, die diese Zeit selbst miterlebten. Lilli Rober und ihr Bruder Max wohnten als Kinder neben dem Zirkus.
Lili: "Entsinnst Du, wie der Elefant gestorben ist?" Max: "Ja. Da habe ich dagestanden, wie sie ihn auseinandergeschnitten haben, damit sie ihn aus dem Hof rauskriegten."
Lili erzählt, wie sie als Vierjährige im Zirkusballett mittanzte. Und sie berichtet von einem Pygmäenpärchen aus der Show, das bei ihrer Familie zur Untermiete wohnte.
"Ein richtiges kleines Paar, so groß wie Champagnerflaschen." Max erinnert sich an die Musik, die man ständig auf den Straßen hörte: "Tsching - Tsching - Tschingdarassabumm."
Im Vergleich: Die Schiller-Oper in den 1920er-Jahren und 2017
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Wie ein Kohlenhändler an Tiger und Löwen kam
Altona ist damals eine ärmliche Stadt und völlig überbevölkert. Handwerker leben dort, Angestellte und Arbeiter. Wer überhaupt einen Job hat, kann froh sein - Altona hat zu der Zeit in ganz Deutschland die meisten Arbeitslosen. Für die Kinder ist es eine Sensation im tristen Alltag, dass plötzlich wilde Tiere aus Afrika durch ihre Gassen brüllen. "Bubi", der Sohn des Kohlenhändlers Schwartau, erzählt, dass nach der Zirkus-Vorstellung immer eine große Bühnen-Leiter bei ihnen untergestellt wurde.
"Sie wurde mit einem Elefanten zu uns rübergefahren." Und es wurde noch aufregender: Weil es im Zirkus Platzprobleme gab, kamen mitunter Raubtiere beim Kohlenhändler unter: "Löwen und Tiger. Die mussten dann bei uns nachts im Lager abgestellt werden."
Im angrenzenden Hamburg wütet in jenen Jahren die Cholera.
Die fabelhafte Revue mit 120 Polarbären
Es gibt Berichte über spektakuläre Tiernummern damals bei Zirkus Busch: "Ludwig XIV. und seine Abenteuer" heißt eine Show und eine andere: "Nach Sibirien". Sie soll darin gegipfelt haben, dass der Boden der Manege abgesenkt und mit Wasser gefüllt wurde. 120 Eisbären sollen dann über eine Rampe von der Zirkuskuppel aus in das Becken gerutscht sein. Das klingt unglaublich - und ist es auch. Die Hamburger Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Anke Rees hat jahrelang über die Geschichte der Schiller-Oper geforscht. Sie hält diese Schilderung der legendären Eisbärnummer für deutlich übertrieben. Die Arena sei für so viele Tiere zu klein gewesen. Und es habe dort wohl kein derartiges hydraulisches Wasserbecken gegeben. Dafür allerdings in anderen Busch-Zirkussen - in Berlin und auch in dem Gebäude an der Hamburger Reeperbahn, in das Busch später übersiedelte. "Immer wieder ranken sich Mythen um die Schiller-Oper", meint Rees.
Nach einigen Jahren endet die aufregende Zirkuszeit in Altona. Grund ist allerdings kein Misserfolg - im Gegenteil: Paul Busch ist so erfolgreich, dass er 1899 den Konkurrenten Renz aufkauft. Busch zieht mit seinem Zirkus in dessen Gebäude am Millerntor um.
Wie es danach mit der abenteuerlichen Geschichte der Schiller-Oper weitergeht, erfahren Sie hier: