"Brigitte" auch mit 60 weit weg von der Rente
Was für ein Wandel, "Brigitte"! Aus dem im doppelten Sinn zugeknöpften Hausmütterchen im grauen Wolldress, aufgepeppt mit gelben Accessoires, ist eine strahlende Frau in rotem Spitzen-Minikleid geworden, der die langen Haare ins Gesicht fallen. Schon im Vergleich der Titelmodelle scheint Deutschlands Inbegriff der Frauenzeitschrift in den vergangenen 60 Jahren nicht gealtert, sondern jünger und unbeschwerter geworden zu sein. Kein Wunder: Liegen doch zwischen der ersten Ausgabe von Mai 1954 und der aktuellen Jubiläumszeitschrift Ereignisse wie die Emanzipation oder die erste weibliche Kanzlerin.
Leserschaft hat sich versechsfacht
Auch wenn sie nach sechs Jahrzehnten langsam ins Rentenalter kommt, ist der Ruhestand für "Brigitte" folglich kein Thema. Mit zuletzt knapp 537.000 verkauften Exemplaren ist das Traditionsblatt aus dem Hause Gruner + Jahr im Jubiläumsjahr trotz sinkender Auflage nach Verlagsangaben noch immer "Deutschlands führendes Frauenmagazin". Nimmt man Ableger wie "Brigitte Woman", "Brigitte Mom" und den Internet-Auftritt hinzu, erreicht die Marke "Brigitte" heute etwa 6,5 Millionen Leserinnen.
Damit hat sich die Leserschaft im Lauf der Zeit mehr als versechsfacht. Als die vierzehntäglich erscheinende Zeitschrift 1954 erstmals auf den Markt kommt, erreicht "Brigitte" etwa 970.000 Leserinnen. Wobei: Völlig neu ist eigentlich nur der Titel. Denn das Frauenmagazin gibt es bereits seit Jahrzehnten - unter sich wandelnden Überschriften.
Vorläufer: "Dies Blatt gehört der Hausfrau"
Als "Dies Blatt gehört der Hausfrau" kommt der Vorläufer 1886 auf den Markt, verlegt von dem Berliner Friedrich Schirmer. Es enthält neben Tipps für die Küche, Garten- und Gesundheitspflege auch Artikel zu historischen und naturwissenschaftlichen Themen, Fortsetzungsromane und Gedichte. Schirmer verkauft das Heft 1905 an den Verlag Ullstein, der den Titel 1914 verkürzt zu "Blatt der Hausfrau". Ab 1952 setzen die Blattmacher vor diesen Titelschriftzug zunächst schräg den Namen "Brigitte", der im Laufe der Zeit immer größer wird und ab Mai 1954 schließlich für sich steht. Dieser Schnitt ist für Gruner + Jahr die offizielle Geburtsstunde des Magazins.
"Sei sparsam, Brigitte, nimm' Ullstein-Schnitte"
Warum der Anfang des 20. Jahrhunderts beliebte Name "Brigitte" gewählt wurde, ist nicht ganz geklärt. Der Legende nach stammt er aus der Zeit, als der Berliner Ullstein-Verlag sich dafür entscheidet, dem Magazin Schnittmuster beizulegen und diese mit dem Slogan bewirbt: "Sei sparsam, Brigitte, nimm Ullstein-Schnitte!"
1957 Umzug nach Hamburg
1957 zieht "Brigitte" nach Hamburg um - zum Constanze-Verlag von John Jahr, unter dessen Führung das Blatt inhaltlich und gestalterisch neu ausgerichtet wird. So stellt die Zeitschrift beispielsweise von da an in jeder Ausgabe das "Brigitte-Zimmer" vor, eine Rubrik mit Einrichtungstipps. Was heute unaufregend klingt, ist zu der Zeit bemerkenswert: Ein eigenes Zimmer zu bewohnen und gestalten zu können, bedeutet für viele junge Frauen in den 1950er-Jahren einen Schritt in Richtung Individualität. Zugleich sind die Anfangsjahre aber noch geprägt von einem Frauenbild, bei dem es vor allem darum geht, Männer zur Heirat zu bewegen und dann als Hausfrau dem Gatten und den Kindern das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten.
Mit den Frauen emanzipiert sich auch "Brigitte"
Dies ändert sich - und mit den Frauen emanzipiert sich auch "Brigitte". Sie gibt den Anstoß zu gesellschaftspolitischen Debatten über Themen wie Abtreibung und Missbrauch, fordert schon in den 1970er-Jahren Tagesmütter für berufstätige Frauen und in den 1980er-Jahren Computerkurse für junge Mädchen. Außerdem bleibt sie ein Forum für aktuelle Mode-, Kosmetik- und Beziehungs-Tipps.
Aufsehen erregt eine Kampagne im Jahr 2010, als "Brigitte" als Gegenbewegung zu den Mager-Models ausschließlich Leserinnen Mode präsentieren lässt. Kritische Stimmen monieren zwar, dass sich die Amateur-Models teilweise kaum von Profis unterscheiden. Insgesamt wird die Initiative aber positiv aufgenommen - bis sie der Verlag nach zwei Jahren absetzt, weil es unter den Leserinnen Stimmen gebe, die sich angesichts der Laien-Modelle "von der Mode abgelenkt" oder aufgrund deren Attraktivität gar "unter Druck gesetzt fühlen".
Geburtstagsausgabe im Pocket-Format
Zum offiziellen 60. Geburtstag wartet der Verlag mit einer weiteren Neuerung auf: Er druckt die Frauenzeitschrift erstmals im Pocket-Format. Außerdem sind diverse Sonderhefte und neue Apps angekündigt. Bei "Brigitte Backstage" öffnet die Redaktion allen Interessierten ihre Türen.
Die aktuelle Chefredakteurin, Brigitte Huber, freut sich auf die Jubiläumsfeierlichkeiten und konstatiert: "Wir haben viel erreicht, schauen mit Stolz auf die letzten 60 Jahre zurück und mit großer Zuversicht und Freude in die Zukunft". Denn auch wenn der Name "Brigitte" heute für manche Ohren altbacken klingen mag - inhaltlich geht sie in jedem Fall weiter mit der Zeit.