100 Jahre Grenze: Dänen entdecken preußisches Erbe
Mit zwei Volksabstimmungen wurde 1920 die deutsch-dänische Grenze neu gezogen. Der nördliche Teil des alten Herzogtums Schleswig von Flensburg bis zur Wiedau war danach dänisch. Die Preußen mussten nach 56 Jahren abziehen. Die Denkmäler verschwanden schnell - der Bismarck vom Knivsberg etwa war sogar schon 1919 vorsorglich nach Süden gebracht worden. Doch es blieb das architektonische Erbe. Und Preußen hatte viel gebaut und sehr viel davon im deutschen, meist historisierendem Stil. Dieses Erbe war lange sehr unbeliebt, blieb aber weitgehend erhalten. Wer heute preußische Architektur im Norden bis zum Ersten Weltkrieg sehen will, fährt am Besten über die Grenze nach Sønderjylland – also Nordschleswig – nach Sonderburg.
Ein bedrohlicher Trutzbau
Sonderburg war lange die kleinste Stadt in Nordschleswig. Dann kamen die Preußen. Aus dem verträumten Ort am Eingang des Alsensunds wurde eine Garnison. 1908 war deren Wahrzeichen vollendet: Wer am alten Sonderburger Schloss vorbei in den Hafen einfuhr, sah groß, rot und mit trutzigen Türmchen nun über der Einfahrt zum Sund oben über dem Hafen die die zwei Blöcke der Kaserne thronen. Die Offiziere mussten auch wohnen. Deshalb reihen sich vor der Kaserne Wohnhäuser und Villen für die Soldaten. Ihre Kinder gingen in die neue Realschule. Wer mit der Bahn anreiste, tat das auf einem - recht dänisch wirkenden - preußischen Bahnhof. Mitten in der Stadt wurde im sogenannten hannoverschen Stil protzig ein Bankgebäude aus grob behauenem Sandstein gesetzt. Soldaten trinken Bier - also entstand eine deutsche Brauerei, Preußen ließ Arbeiterhäuser und einen Kindergarten bauen. Auch ein Deutsche Schlachter eröffneten in Sonderburg. 1920 schließlich war Sonderburg die größte unter den Nordschleswigschen Städten - und ist es bis heute.
Preußens Backstein bleibt
Die Kaserne über dem Alsensund hat in den vergangenen Jahren viel von ihrer Bedrohlichkeit verloren. Unten am Wasser entstanden auf dem Südufer die Hochhäuser des Alsions der Universität Süddänemark, vor der Kaserne auf der Nordseite wuchs ein schwarzes Hochhaus vor und über die Backsteinblöcke. Doch Sonderburg ist bis heute die am stärksten von preußischer Architektur geprägte Stadt.
Mit den Preußen kam der gelbe Ziegel
Auch das alte Landratsamt in Apenrade steht - ohne Preußenadler - noch und auch Tondern hat noch Zeugnisse in großer Zahl. Hier steht auch das 1908 vollendete Landratsamt - das stilistisch im Gegensatz zu den meist historisierend überladenen preußischen Amts- und Funktionsbauten steht. Es gilt als die Initialzündung für die Baupflegebewegung. Sie griff auf Material aus der Region zurück und schuf, inspiriert durch die traditionelle Baukultur, modern funktionierende Bauten.
Mit den Preußen kam auch der gelbe Ziegel nach Nordschleswig, oft mit Bändern und Ornamenten in Rotstein gegliedert. Der deutschen Zeit haben die Dänen auch einige Zeugnisse des Jugendstils zu verdanken.
Überall da und nirgendwo beliebt
Die preußischen Bauten machen den Süden Dänemarks zu einer der architektonisch reichsten Gegenden des Landes. Die Dänen haben diese Häuser aber lange einfach nur ertragen und nicht geliebt. Den Schatz gehoben hat vor allem Peter Dragsbo. Der ehemalige Leiter des Museums "Sønderborg Slot". Unter dem programmatischen Titel "En fælles kulturarv - Ein gemeinsames Kulturerbe" brachte er 2011 seine Arbeit über das Bauen in Nordschleswig in der Preußenzeit heraus. Auch im Museum im Sonderburger Schloss wurde diese Zeit in der Dauerausstellung thematisiert. Sein Nachfolger Carsten Porskrop Rasmussen ist sicher: Damit wurde ein Umdenken angestoßen. Heute wird der bauliche Nachlass der Preußen vor allem als ein kultureller Reichtum angesehen. Auch Rasmussens Kollege vom Deutschen Museum Nordschleswig in Sonderburg, Hauke Grella, hat in den vergangenen Jahren den Wandel und einen neuen Stolz erlebt.
Dänischer Pragmatismus
Südlich der Grenze sind viele Gebäude aus der preußischen Zeit verschwunden. In Städten wie Kiel wurden sie zerbombt, anderswo abgerissen. In Nordschleswig sind keine Bomben gefallen. Auch war vieles, was stand, zwar vielleicht nicht nach dem Geschmack der Menschen und wurde zum Teil als unpopuläre Hinterlassenschaften der deutschen Zeit gesehen. Doch die Bauten wurden weiter genutzt, weil sie solide waren und ihren Zweck erfüllten. Als im Frühjahr 1920 die deutschen Soldaten abzogen, blieben die Kasernen in Sonderburg und Hardersleben. Die Reichsflagge wurde eingezogen, der Danebrog gesetzt und es zogen Soldaten mit anderen Uniformen ein. Dieser Pragmatismus hat nördlich der 1920er Grenze dafür gesorgt, dass dort bis heute Zeugnisse preußischer Architektur in einer Dichte und Qualität erhalten sind, die es auf der deutschen Seite südlich der Grenze im Norden nicht mehr gibt.