Zeitreise: 100 Jahre deutsch-dänische Grenze
von Karl Dahmen
Wenn Landwirt Henrik Hansen aus seiner Haustür tritt, ist er in Dänemark. Ein paar Schritte weiter und er ist in Deutschland. Das ist das Ergebnis eines Ereignisses vor genau 100 Jahren. Eine kuriose Geschichte um eine Familie, durch die bis heute eine kleine dänische Enklave bei Ellund in das Gebiet von Schleswig-Holstein ragt.
Volksabstimmung: Der Wahlkampf beginnt
Die Geschichte beginnt 1918 im französischen Versailles. Hier richten die Sieger des Ersten Weltkriegs über den Verlierer Deutschland. Zu den Vereinbarungen, die hier getroffen werden, gehört auch die Neuregelung der deutsch-dänischen Grenze. Seit 1864 wird das Herzogtum Schleswig von Deutschland regiert. Aber hier wohnen Deutsche und Dänen. Zu welchem Land die Menschen gehören wollen, soll eine Volksabstimmung entscheiden. Ein Wahlkampf darüber beginnt, der beide Bevölkerungsgruppen so spaltet, wie es das vorher in der Geschichte des Herzogtums nie gegeben hat. Menschen, die früher gute Nachbarn waren, reden nicht mehr miteinander, bekämpfen sich gar. Erbittert wird um jede Stimme gekämpft.
1920 wird in zwei Wahlzonen gewählt. Die Nördliche stimmt mehrheitlich für Dänemark, die Südliche aber will bei Deutschland bleiben. Der Hof von Nis Hansen gehört zur Abstimmungszone 2 und damit zu Deutschland. Doch das will er nicht akzeptieren. Er hat vier Söhne und hat Angst, diese müssen eines Tages für Deutschland in den Krieg ziehen. Für Nis Hansen ist klar: er muss etwas tun. Daher wendet er sich an die zuständige Kommission in Flensburg und irgendwie schafft er es, die Mitglieder zu überzeugen. Der Hof der Hansens gehört zu Dänemark.
Die Grenze bringt Veränderungen mit sich
Plötzlich gibt es hier eine kontrollierte Grenze. Die Hansens müssen alte Gewohnheiten ändern. Bisher konnten sie zum Einkaufen ins deutsche Ellund fahren, das nur einen Kilometer entfernt ist. Er und seine Söhne sind hier auch noch zur Schule gegangen. Seine Enkel aber drücken nun die Schulbank in Dänemark und müssen dafür sechsmal so weit gehen.
Der Hof gehört nun zwar zu Dänemark, aber die Getreidefelder der Hansens liegen in Deutschland. Für die Ernte haben sie deutsche Arbeiter. Zur Mittagszeit dürfen die Deutschen aber nicht auf den Hof - denn der liegt in Dänemark. So bringt ihnen Meta Hansen, die Frau von Nis, jeden Tag das Essen über den kleinen Feldweg in die extra dafür gebaute Scheune.
Nach Annäherung folgt nun erneute Trennung
Nach dem Zweiten Weltkrieg nähern sich Deutschland und Dänemark an, werden Partner in der Europäischen Union. Doch seit Kurzem gibt es hier wieder eine sichtbare Grenze: den Wildschweinzaun. 100 Jahre nach der Volksabstimmung zwischen Dänemark und Deutschland läuft man damit in den Augen Henrik Hansens Gefahr, alte Grenzen wieder aufzubauen und den Zusammenhalt der Grenzregion aufs Spiel zu setzen.