100 Jahre deutsch-dänische Grenze: Wer feiert was?
Die deutsch-dänische Grenze feiert Geburtstag: 1920 hatte das Volk an zwei Tagen - am 10. Februar in Nord- und am 14. März in Mittelschleswig - abgestimmt und die bis heute gültige Grenze zwischen Dänemark und Deutschland festgelegt. In Dänemark entstand in der Folge die deutsche und in Schleswig-Holstein die dänische Minderheit. Zum Start einer Serie zum 100-jährigen Bestehen der Grenze geht NDR Schleswig-Holstein der Frage nach, was die beiden Länder 2020 jeweils zelebrieren.
Ein Bild erzählt für Dänemark die Geschichte
Hoch auf einem Schimmel, ein blondes Mädchen im Arm, reitet König Christian X. bei Christiansfeld durch jubelnde Menschen in ein befreites Land. Dieses fast kitschige Bild erzählt für die Dänen die ganze Geschichte. Mit dem Ritt am 10. Juli 1920 ist nördlich der Grenze die Wiedervereinigung (Dänisch: Genforeningen) vollzogen. Mit ihr endet die 1864 durch den Sieg der Preußen und der Österreicher erlittene Schmach wegen des Verlusts von Nordschleswig. Der Nationalstaat Dänemark ist komplett - das feiert unser Nachbarland in diesem Jahr.
Was feiert Schleswig-Holstein eigentlich?
Auch wenn das Jubiläum dänisch-deutsch begangen wird, Ministerpräsident Daniel Günther schon mit Gala und Audienz bei der dänischen Königin war, stellt sich die Frage, was bei uns in Schleswig-Holstein gefeiert wird. Fragt man Hans Heinrich Hansen, der lange Zeit Vorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) war, so ist er eher ratlos. Für den langjährigen dänischen Generalkonsul in Flensburg und ausgewiesenen Historiker Henrik Becker-Christensen ist der Grund für die Feierlichkeiten, dass hier eine Grenze in einem demokratischen Prozess gezogen wurde und seit 100 Jahren besteht. Bei den Vertretern der Minderheiten fällt die Antwort auf die Frage, was gefeiert wird, hingegen schwer. Das Gestern bietet wenig Anlass zum Jubel. Das Heute schon.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges tobte ein Grenzkampf
Der 1920 per Wahl ermittelte Grenzverlauf ist seit 100 Jahren unverändert. Nicht nur die gelösten Probleme der Minderheiten nördlich und südlich der Grenze gelten heute in Europa als Modell. Der Weg dorthin war lang. In den 1920er-Jahren wollte man sich vor allem südlich der Grenze nicht mit dem Verlust abfinden. Im April 1940 überfiel die deutsche Wehrmacht das neutrale Dänemark. Die Grenze wurde nicht zurückverlegt, aber viele aus der deutschen Minderheit leisteten in der Waffen-SS Kriegsdienst.
Nach Ende des Krieges kam es in Dänemark zu einer Rechtsabrechnung mit der deutschen Minderheit. Südlich der Grenze - auf zwei Einheimische kam ein Flüchtling - erstarkte die neudänische Bewegung. Zehntausende forderten nun, Dänemark sollte bis zur Eider reichen. Obwohl aus Kopenhagen ein klares "Danmarks Grænser ligger fast" (Deutsch: Dänemarks Grenzen liegen fest) kam, tobte ein Grenzkampf.
Dann griff Konrad Adenauer ein. Der Bundeskanzler brauchte das Wohlwollen der Dänen für den NATO-Beitritt. Das Interesse der Dänen war es, die Minderheitenfragen zu lösen.
Bonn-Kopenhagener Erklärungen als effektive Vereinbarung
Zwei mal vier DIN-A4-Blätter, luftig in großer Schrift beschrieben, bringen die Wende für das Grenzland. Auf den ersten vier Blättern legen die Deutschen fest, künftig die dänische Minderheit mit den deutschen Staatsbürgern gleichzustellen. Das Bekenntnis zur Minderheit wird frei, eigene Schulen werden garantiert und so weiter. Dasselbe füllt vier Blätter auf Dänisch für die deutsche Minderheit.
Die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen verpflichten den jeweils ausstellenden Staat. Sie sind also keine Verträge zwischen zwei Staaten. Eine ziemlich einmalige Art sich zu vereinbaren - aber eine effektive.
Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen vom 29. März 1955 befreiten nicht nur den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) in Schleswig-Holstein von der Fünf-Prozent-Klausel, sie waren auch Startsignal für den Weg der Grenzregion zum Modellfall.
Minderheiten als Motor für gemeinsame Projekte
Der Historiker Professor Uwe Danker vom Institut für regionale Zeitgeschichte an der Uni Flensburg sieht deshalb vor allem den Frieden an der Grenze seit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen als zentralen Grund für Festivitäten in Schleswig-Holstein. Es ist sicher einer, denn er hat die Probleme der Minderheiten gelöst. Diese haben gerade in den vergangenen Jahren eine neue Rolle.
Vom Gegeneinander über das Nebeneinander ist inzwischen ein Miteinander erreicht. Zusammen sind die Minderheiten heute Motor für gemeinsame Projekte in der Grenzregion. Sie machen damit der Politik in beiden Ländern Druck, weil gegen den Willen zur Kooperation oft und hemmend die fundamental unterschiedlichen Verwaltungs- und Kommunalstrukturen stehen.
Die Geschichte aus nationalstaatlicher Sicht
Auf beiden Seiten der Grenze betrachten wir heute unsere Geschichte aus nationalstaatlicher Sicht. Aus dieser Perspektive ist es richtig, dass die Dänen 2020 die Wiedervereinigung feiern. Historisch gesehen ist das fraglich. Die bei uns über die gemeinsame Sprache definierten Nationen sind erst im 19. Jahrhundert entstanden. Die Sprache als neue und große Klammer ersetzte die sich auflösenden dörflichen, städtischen und regionalen Gemeinschaften. Staaten, die sich aus vielen kleinen Gebieten mit unterschiedlichen Sprachen zusammensetzten, hatten so überlebt.
Es war damit auch das Ende des dänischen Gesamtstaates, der seit dem 18. Jahrhundert Dänemark und die Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie zeitweise auch das Herzogtum Lauenburg zu einer Einheit zusammengeschlossen hatte. Man war Untertan des dänischen Königs, egal ob man Dänisch, Plattdänisch, Plattdeutsch, Deutsch oder Friesisch sprach. Alle Sprachen koexistierten friedlich in der späteren Grenzregion.
Dänemark als Nationalstaat entstand erst nach der Niederlage von 1864. Im nach 1867 zu Preußen gehörenden Nordschleswig mit einer mehrheitlich Dänisch sprechenden Bevölkerung wurde nun nach Kräften "borussifiziert", also verdeutscht. Damit war der nationale Konflikt da. An dessen Ende standen 1920 die Grenzabstimmungen. Das Ergebnis war die Teilung des Herzogtums Schleswig. Und weil die neue Grenze im Gegensatz zu früher keine territoriale, sondern eine nationale war, entstanden nördlich und südlich der Grenze Minderheiten.