Zeugnis-Sorgen: So hilft die "Nummer gegen Kummer"
Eine 5 in Mathe, eine 6 in Deutsch: Nicht jedes Kind wird jubeln, wenn es in diesen Tagen sein Zeugnis in den Händen hält. Eine Anlaufstelle bei Sorgen rund um die Schulnoten bietet der bundesweit tätige Verein "Nummer gegen Kummer", der Kinder und auch Eltern telefonisch unter der Nummer 11 61 11 aber auch online berät. Mit welchen Fragen die Beraterinnen und Berater konfrontiert werden und warum das Telefonangebot auch in Zeiten des Internets sehr gefragt ist, erklärt Sprecherin Anna Zacharias im Interview.
Was sind die typischen Sorgen, mit denen sich Kinder und Jugendliche rund um die Zeugnisvergabe an die "Nummer gegen Kummer" wenden?
Anna Zacharias: Hauptthemen sind in diesen Tagen natürlich die Noten, die Zukunftspläne und Konfliktsituationen wegen des Zeugnisses in der Familie. Bei vielen Kindern geht es um die Frage, wie sie mit ihren Eltern über ihre Noten ins Gespräch kommen können, und was sie tun können, um ihre Noten im nächsten Halbjahr zu verbessern. Dabei spielt meist das Thema Enttäuschung eine Rolle: Viele Kinder tun sich heute schwer damit, dass sie ihre Eltern enttäuschen könnten. Dazu kommt, dass Schüler ja keine schlechten Noten schreiben, um ihre Eltern zu ärgern. Sie sind selbst extrem enttäuscht von ihrer Leistung und machen sich große Sorgen.
Sie sagen, das Thema Enttäuschung sei heutzutage ein großes Problem. Hat sich der Erwartungsdruck, der Kindern entgegengebracht wird, in den vergangenen Jahren geändert?
Zacharias: Auf jeden Fall haben sich das Schulsystem und die Gesellschaft verändert. Wir leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der das Thema Noten bei der Zukunftsgestaltung eine große Rolle spielt. Dazu kommen die ständigen Leistungsvergleiche der Bundesländer und auch mit anderen Staaten und die hohen Grundqualifikationen, die von Schülern erwartet werden. Insofern ist der Druck in den vergangenen Jahren sicher nicht kleiner geworden.
Was raten Sie denn einem Kind, das Angst hat, seine Eltern mit den Zeugnisnoten zu konfrontieren?
Zacharias: Ein Tipp kann zum Beispiel sein, sich eine Art Mediator zu suchen, also eine Person, die mit dem Kind in das Gespräch mit den Eltern gehen kann. Das kann eine gute Freundin sein, eine Nachbarin oder die Oma, damit das Kind sich in der Situation sicher fühlt.
Die "Nummer gegen Kummer" kann ja nicht nur zum Ende des Schulhalbjahres, sondern ganzjährig angerufen werden. Wie viele Kinder- und Jugendliche melden sich denn bei Ihnen - und welche Altersgruppe ruft am häufigsten an?
Es rufen Kinder jeder Schulform und jeden Alters an, aber die größte Gruppe sind Jugendliche in der Pubertät zwischen 12 und 18 Jahren. 2018 hatten wir übers Jahr verteilt rund 70.000 intensive Beratungsgespräche zu den verschiedensten Sorgen und Nöten am Kinder- und Jugendtelefon. Für 2019 sind die Zahlen noch nicht veröffentlicht - es waren aber deutlich mehr. Die Themen sind dabei breit gefächert, von psychosozialen Problemen über Sexualität, Familie, Liebe und Gewalterfahrungen. Noten und Zeugnisse beschäftigen die Kinder und Jugendlichen übrigens nicht nur zum Schulhalbjahr oder vor den Sommerferien, sondern im ganzen Jahr.
Wie kommt es denn, dass das Telefon in Zeiten des Internets immer noch ein gefragtes Medium für die Beratung ist?
Zacharias: Am Kinder- und Jugendtelefon melden sich ganz viele, die ein brennendes Bedürfnis haben, sofort mit jemandem zu sprechen. Sie sind wütend oder traurig und bekommen dann sofort eine Live-Beratung, während die Antwort in einer E-Mail-Beratung oder in Online-Foren ja häufig erst zeitversetzt kommt. Vielen Anrufern fällt zudem das Sprechen leichter als das Schreiben. Heute gibt es eine ganze Bandbreite an Beratungsangeboten - aber wenn es um eine anonyme und niedrigschwellige Beratung geht, ist das Telefon noch immer sehr aktuell.
Der Verein "Nummer gegen Kummer" bietet ja auch eine Online-Beratung an. Geht es dort um ähnliche Themen - und welche Gruppe nutzt dieses Angebot?
Zacharias: In der Online-Beratung sind die Themen tatsächlich teilweise anders: Es geht häufig um schwerwiegende Themen, wie psychische Erkrankungen und Belastungen, um Selbstzweifel, Selbstverletzung und auch Suizidgedanken. Oft sind das Themen, bei denen den Betroffenen selbst ein telefonischer Kontakt nicht anonym genug ist. Auffällig ist, dass viel mehr Mädchen als Jungen die Online-Beratung nutzen, während das Verhältnis in der Telefonberatung ausgeglichen ist.
Bei Ihnen können - unter einer extra Nummer - ja auch Eltern anrufen. Was beschäftigt sie denn rund um die Zeugnisse?
Zacharias: Viele Eltern sind enttäuscht und manche auch wütend über die Leistungen ihrer Kinder, sie sind überfordert oder machen sich Sorgen, wie sie ihr Kind zukünftig unterstützen können. Viele brauchen einfach jemanden, bei dem sie ihre Wut und ihren Ärger über die Situation ablassen können. Auch dafür haben wir ein offenes Ohr, und letztlich ist es ja immer besser, die Wut bei uns rauszulassen als beim Kind. Im Anschluss an die Wut kann man dann gemeinsam nach einer Lösung suchen, um zum Beispiel mit dem Kind wieder in Kontakt zum Thema Zeugnis zu kommen.
Das Interview führte Stefanie Lambernd, NDR.de