Blick in das automatisierte Medikamentenlager einer Apotheke. © picture alliance/dpa | Jan Woitas Foto: Jan Woitas

Lieferengpässe bei Medikamenten: Was sind die Ursachen?

Stand: 07.11.2024 14:56 Uhr

Ob Blutdruckmittel, Krebsmedikament oder Antibiotikum: In den vergangenen Jahren kam es bei wichtigen Arzneimitteln zu bedrohlichen Lieferengpässen. Wie kann das sein? Und wie lässt sich das ändern?

von Annette Niemeyer

Die Gründe für Lieferengpässe bei Medikamenten sind vielfältig: Mal sind es Verunreinigungen der Medikamente, mal stellt ein Hersteller die Produktion ein, mal sind es die Folgen der Corona-Pandemie. Die Hauptursache ist aber, dass es für die meisten Wirkstoffe nur noch sehr wenige Hersteller gibt - und diese Unternehmen ihren Sitz oft weit weg in China und Indien haben.

Neues Gesetz zur Bekämpfung der Lieferengpässe

Das im Juli 2023 in Kraft getretene "Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz" soll Abhilfe schaffen. Um Lieferengpässe einzudämmen, sollen wieder mehr Medikamente in Europa produziert werden, heißt es auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums: "Krankenkassen müssen zukünftig auch patentfreie Antibiotika einkaufen, die in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum produziert werden." So solle die Vielfalt der Anbieter erhöht werden.

Wirkstoffe kommen meist aus China oder Indien

In manchen Fällen ist das aber überhaupt nicht möglich, denn für bestimmte Wirkstoffe gibt es gar keine Produktion mehr in Europa. Zudem erfolgt die Herstellung von Arzneimitteln in mehreren Stufen: Selbst wenn also auf der Verpackung ein deutscher Hersteller angegeben ist, kann es sein, dass dieser die Tablette nur noch gepresst und verpackt hat. Die Wirkstoffe in den Arzneimitteln kommen nämlich meist aus China oder Indien. Das ist auch bei gängigen Antibiotika oft der Fall.

Cephalosporin-Antibiotika: Produktion nur noch in China

Ein Beispiel für die Anfälligkeit der Lieferketten sind Cephalosporin-Antibiotika. Cephalosporine bilden nach Penicillin die wichtigste Antibiotika-Wirkstoffgruppe mit ganz unterschiedlichen Einsatzbereichen. Im Krankenhaus werden sie zum Beispiel zur Verhinderung von Wundinfektionen bei OPs verabreicht, aber auch zur Behandlung von Sepsis, Harnwegsinfektionen, Lungen- oder Hirnhautentzündungen und sogar zur Bekämpfung der gefürchteten multiresistenten Krankenhauskeime.

Cephalosporine wachsen ebenso wie Penicillin auf Schimmelpilzen. Daraus wird 7-ACA (7-Aminocephalosporansäure) gewonnen - der Ausgangsstoff für die Herstellung aller Cephalosporin-Antibiotika. Bis 2016 wurde 7-ACA in Frankfurt produziert, doch die Produktion war defizitär und wurde eingestellt. Heute gibt es nur noch eine Handvoll Hersteller von 7-ACA - und die sitzen in China. Fallen diese aus oder ist der Transport unterbrochen, steht diese wichtige Antibiotika-Wirkstoffgruppe der ganzen Welt nicht mehr zur Verfügung.

Preisdeckelung mit Folgen

Zwei Entwicklungen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass es Probleme mit Lieferengpässen gibt. Einerseits führten Rabattverträge der Krankenkassen mit Pharmaunternehmen dazu, dass die Preise für Arzneimittel, insbesondere für Generika, sanken. Das ist gut für die Patienten, hat aber zur Konsequenz, dass die Pharma-Unternehmen, die in Deutschland Arzneimittel verkaufen, die Wirkstoffe möglichst billig beschaffen - meist in China oder Indien.

Preisdruck in Deutschland - Ausbau der Produktionskapazitäten in China

Seit den 1980er-Jahren wurden zudem in China große Fabriken zur Antibiotikaproduktion aufgebaut. Diese können deutlich günstiger produzieren als europäische Wirkstoffhersteller. Die Gründe dafür:

  • geringere Personalkosten
  • weniger strenge Umweltauflagen
  • niedrigere Energiekosten

Doch die Konzentration auf nur wenige Fabriken führt zu erheblichen Risiken für die Versorgungssicherheit der Patienten in Europa.

Stärkung der Produktion in Europa

Die Produktion wieder nach Deutschland oder in die EU zurückzuholen, geht nicht ohne finanzielle Förderung - davon sind Wissenschaftler wie der Lieferketten-Forscher Prof. David Francas von der Hochschule Worms überzeugt. So ist es beispielsweise gelungen, die Produktion von Penicillin in Europa zu halten. Der österreichische Staat hatte das Unternehmen Sandoz mit 50 Millionen Euro unterstützt, als Investitionen in den Produktionsstandort in Kundl notwendig waren.

Doch von Subventionen will man im deutschen Bundesgesundheitsministerium nichts wissen. Auf Nachfrage räumt das Ministerium zwar ein, dass finanzielle Hilfen ein Instrument sein können, "um die Wiederansiedlung von Produktionsstätten für Arzneimittel in Europa zu fördern". Sich selbst sieht das Gesundheitsministerium aber nicht in der Pflicht: "Auf die Zuständigkeit des BMWK (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Anm. der Redaktion) für Wirtschaftsförderung wird hingewiesen."

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