Strom statt Gas: Kieler Forscher wollen ungenutzte Windenergie einspeisen
In Deutschland fehlt es an Gas, zugleich bleiben aber jährlich große Mengen Stromenergie ungenutzt. Wissenschaftler der Uni Kiel haben bereits seit zehn Jahren ein Konzept vorliegen, um den Strom zu nutzen und Gas einzusparen.
Das Gas wird immer knapper, die Kosten steigen enorm: Deutschland steckt mitten in einer Energiekrise und nun steht der Winter vor der Tür. Seit Monaten ist die Politik auf der Suche nach einer Lösung, um die Energieversorgung sicherzustellen und die Kosten wieder für jeden bezahlbar zu machen. Dabei haben Wissenschaftler der Universität Kiel bereits seit zehn Jahren ein Konzept vorliegen, das genau hier helfen könnte.
Milliarden Kilowattstunden gehen verloren
Windkraftanlagen sind an vielen Orten in Schleswig-Holstein zu finden. An windreichen Tagen werden sie jedoch oft abgeschaltet. Grund: Die Mengen Strom könnten das Netz überlasten. Jedes Jahr gehen daher allein in Schleswig-Holstein 3,1 Milliarden Kilowattstunden Energie verloren. "Man kann es auch in Duschen ausdrücken. Wenn alle Schleswig-Holsteiner ein Jahr lang aufs Duschen verzichten würden, dann würden sie weniger einsparen als diese 3,1 Milliarden Kilowattstunden", sagt Andreas Dahmke, Wissenschaftler an der Universität Kiel im Kompetenzzentrum Geo-Energie.
Den Preis für die verlorene Energie muss der Verbraucher dennoch bezahlen. Bis zu einer halben Milliarde Euro jährlich bekommen die Betreiber der Windkraftanlagen trotz stillstehender Räder - allein in Schleswig-Holstein.
Starkwind-Strom für die Heizung
Abhilfe könnte das Konzept der Kieler Wissenschaftler bringen. Die Idee: Die Windkraftwerke laufen weiter. Der Starkwind-Strom wird genutzt, um Wärme zu produzieren. An windigen Tagen würden die Stadtwerke den Strom an die Kommunen und Haushalte abfließen lassen. Das entlastet die Netze. Was es dazu braucht: Heizungen, die mit strombetriebenen Wärmestäben nachgerüstet werden. Diese nutzen die Energie zum Heizen. Dadurch wird teures Gas und Heizöl gespart. "Über Atomkraft und Braunkohle nachzudenken, aber den regenerativen Strom, der eigentlich verfügbar wäre, nicht zu nutzen, das ist ja widersinnig", erklärt Dahmke.
Technik ist seit Langem vorhanden
Mit den 3,1 Milliarden Kilowattstunden Stromenergie könnten etwa 20 Prozent des Gasbedarfs in Schleswig-Holstein gedeckt werden. "Technisch sind wir schon seit Langem in der Lage", erklärt Constantin Kinias, Hersteller für Heizsysteme aus Heide (Kreis Dithmarschen). Das Konzept liege schon seit zehn Jahren auf dem Tisch. Es müsse nur umgesetzt werden.
Die Stadtwerke Schleswig-Holstein, ein Gemeinschaftsunternehmen der Stadtwerke Schleswig, Eckernförde und Rendsburg, unterstützen das Projekt der Wissenschaftler. So seien bereits erste Maßnahmen erfolgt, um die Idee Wirklichkeit werden zu lassen, teilen die Stadtwerke Schleswig-Holstein schriftlich mit. Eine Umsetzung für diesen Winter sei allerdings noch nicht zu erwarten. Es fehle noch an einem passenden Tarif, der diese Energiemengen auch preislich berücksichtigt. Und es fehle an intelligenten Zählern, um auch auf Preisschwankungen zu reagieren.
Landespolitik setzt sich beim Bund für Konzept ein
Tobias Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur von Schleswig-Holstein (Bündnis 90/Die Grünen), erklärt dazu: "Ich bin quasi wöchentlich im Gespräch mit der Bundesregierung über das Thema. Wir haben auch diesen Punkt in den Bundeskoalitionsvertrag eingespeist und Bundesratsinitiativen auf den Weg gebracht." Er sehe allerdings die Verantwortung nicht bei den Ländern. Für die Umsetzung des Energiekonzepts müsse daher in erster Linie die Bundesregierung sorgen. "Diese 3,1 Milliarden Kilowattstunden - das ist eine Größe, über die wir nachdenken müssen und die man nicht undiskutiert stehen lassen kann. Und das ist auch das was mich verwundert, dass da die Politik nicht viel stärker drauf einsteigt", sagt Wissenschaftler Dahmke.