Eine Offshore-Plattform in der Nordsee, auf der an der Zukunft des Energiesystems gearbeitet wird. Daneben liegt ein rotes Schiff. © picture alliance Foto: ANP

Klima: Günther bringt CO2-Verpressung in SH wieder auf den Tisch

Stand: 20.01.2023 21:11 Uhr

Nachdem Schleswig-Holsteins Parlament sich im Sommer eindeutig gegen eine Speicherung von CO2 ausgesprochen hatte, bringt Ministerpräsident Günther das Thema wieder auf den Tisch. Der Landtag ist irritiert.

Die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid sorgt für Diskussionen in Schleswig-Holstein. Vergangenes Jahr hatte sich der Landtag klar gegen eine Verpressung von CO2 ausgesprochen. Jetzt hat Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) erneut dafür plädiert, die Debatte über die sogenannte Carbon Capture and Storage (CCS) Technologie zu führen: Er regt an, Kohlendioxid unter dem Meer zu speichern - eine Einlagerung an Land schließt er aber weiter aus. Vom Koalitionspartner Grüne gibt es Gegenwind, der SSW fordert per Dringlichkeitsantrag eine Debatte in der kommenden Landtagswoche.

CCS: Zuspruch und Kritik für Technologie

Grafik zum Lagerungsprozess von CO2. © Equinor
Beim Lagerungsprozess der CCS Technologie sind verschiedene Schritte nötig.

Carbon Capture and Storage - zu deutsch etwa "Kohlenstoff einfangen und einspeichern" - beschreibt Methoden, die das Ziel haben, der Atmosphäre CO2 zu entziehen und es anderweitig zu sichern. Das kann beispielsweise geschehen, indem es in Form von Gas im Meeresboden verpresst, in ausgebeutete Gas- oder Erdöllager eingelagert oder in Form von Pflanzenkohle unter die Erde gebracht wird. Es entstehen neue Kohlenstoffsenken, die dazu beitragen, das Gleichgewicht des Kohlenstoff-Kreislaufs des Planten wieder in Balance zu bringen.

Die Technologie ist aber seit Jahren umstritten: Kritiker sind nicht überzeugt, dass Kohlendioxid auf diese Weise sicher gebunden werden kann, da es etwa durch Lecks oder Erdbeben wieder austreten könnte. Unter anderem bringe die Technologie laut Umweltbundesamt aber auch einen sehr großen, zusätzlichen Energieaufwand mit, der wiederum die Nutzung fossiler Energieträger aktuell weiter steigern könnte - statt ihn zu senken. Befürworter sehen keine Alternative zur Nutzung von CCS - wie Klaus Wallmann, der am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel am Forschungsbereich Marine Biogeochemie forscht. "Wir brauchen die Technologie, um den Klimawandel einzudämmen", sagt der Wissenschaftler. CCS sei dabei ein Mittel, um klimaneutral zu werden - also ein Ausgleich der Menge von ausgestoßenen und abgebauten Emissionen.

Landtag irritiert über Günthers Anregung

CO2-Verpressung auf der Gasplattform Sleipner in der Nordsee vor Norwegen. © picture alliance / dpa Foto: Rainer Jensen
In der Nordsee vor Norwegen wird bereits CO₂ in den Meeresboden gepresst.

Günthers neuer Anstoß schlägt Wellen im Landtag. Das Verhalten der Landesregierung trage massiv zur Verunsicherung der Bürger bei, sagte der SSW-Abgeordnete Christian Dirschauer über die Äußerungen des Ministerpräsidenten. SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller warf Günther vor, er setze sich mit seinen Äußerungen über den Willen des Parlaments hinweg. Der Landtag habe sich eindeutig gegen CCS in Schleswig-Holstein ausgesprochen und dieser Beschluss gelte, unterstrich der Fraktionschef der Grünen Lasse Petersdotter.

Ministerpräsident Günther hingegen möchte die Debatte um CCS neu führen: Klar sei, sagt Günther, dass man kein CO2 auf dem Festland speichern wolle. Die für die Speicherung geeigneten Flächen lägen ausschließlich in der Außenwirtschaftszone - also mindestens zwölf Seemeilen vor der Küste. Man könne nicht ausschließlich darauf setzen, das CO2 ins Ausland zu exportieren, so der CDU-Politiker. "Wir können die Debatten zum Klimaschutz nicht mehr so führen, dass die notwendigen Maßnahmen überall durchgeführt werden sollen, nur nicht bei uns", sagte Günther in einem Statement. "Wir müssen selber Lösungen für diese enorme Herausforderung finden und haben in unserem Land auch eine große Expertise dafür mit dem GEOMAR, das bereits lange dazu forscht."

CO2-Entnahme? Für Klimaforscher Minx ein Muss

Ausgewählte Verfahren des Climate Engineering im Überblick. © Kiel-Earth-Institute Climate Engineering
Um den Klimawandel einzudämmen, suchen Wissenschaftler seit Jahrzehnten nach Methoden - auch auf technologischer Basis, wie im Climate Engineering.

Ein neuer wissenschaftlicher Bericht, der am Donnerstag erschienen ist, bringt in Sachen Klimawandel drastische Zahlen in den Fokus: Den Erkenntnissen nach muss bis 2050 insgesamt 1.300 Mal mehr CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden als bisher geschehen - sonst kann die Klimaerwärmung nicht bei unter zwei Grad bleiben. Das ist eine enorme Zahl, vor allem, weil es demnach nicht anstelle, sondern zusätzlich zur geplanten Einsparung von Emissionen passieren muss. Der Bericht mit dem Titel "State of Carbon Dioxide Removal" wurde von 20 Forschenden aus dem Bereich der Klimawissenschaften geschrieben. "Es geht hier nicht um ein 'Kann' in der Diskussion, es ist wirklich ein 'Muss'", stellt einer der Autoren, Klimawandelforscher Jan Minx, klar. "Wir hinken bei den CO2-Entnahmen deutlich hinterher."

Laut Christine Merk, stellvertretende Direktorin des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, ist der Zuspruch in der Bevölkerung für die Nutzung von CCS bisher noch gering - das liege aber vor allem daran, dass viele Menschen die Methoden noch nicht kennen oder ausreichend verstehen. Langsam gebe es aber bei Umweltverbänden und in der Politik ein Umdenken hin zu CCS-Technologien.

IPCC: Verschiedene Schritte notwendig, um Klimaziel erreichen zu können

Der im April 2022 erschienene Bericht des Weltklimarats IPCC zeigte schon klar auf: Für das Ziel, die Erderwärmung bei deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu stoppen, muss der Fokus darauf liegen, die Verbrennung fossiler Energien zu beenden, Emissionen müssen weiter gesenkt und der Ausbau erneuerbarer Energien stärker vorangetrieben werden.

Dennoch sind sich die Wissenschaftler nach wie vor einig: Es bleibt nicht mehr viel Zeit - will das Vorhaben, auf das sich die internationale Staatengemeinschaft im Pariser Abkommen verständigt hat, noch irgendwie umgesetzt werden, braucht es eine Kombination verschiedener Schritte. Sprich: Neben Einsparung von Emissionen und einer entschlosseneren Umsetzung auf erneuerbare Energien wird es demnach notwendig sein, CCS realistisch in Betracht zu ziehen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 20.01.2023 | 16:00 Uhr

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Daniel Günther

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