Busfahrt auf Anfrage: Angebote für mehr Mobilität auf dem Land
Wenn die Verkehrswende gelingen soll, muss auch der öffentliche Nahverkehr auf dem Land besser werden. Sogenannte On-Demand-Angebote, zum Beispiel Busfahrten auf Anfrage, könnten eine Lösung sein und werden derzeit auch in der Schleiregion erprobt.
Wer auf dem Land lebt, kennt das Problem: Eine Busverbindung alle paar Stunden ist wenig attraktiv und kann auf Dauer nicht das Auto ersetzen. Aktuell haben rund 90 Prozent der Haushalte auf dem Land ein Auto. Auch mehr Busse sind nicht die Lösung, weil sie mit nur wenigen Fahrgästen nicht wirtschaftlich zu betreiben sind. Eine Alternative wäre eine Taxifahrt, die nur wenig teurer ist als der Bus-Tarif. Diese sogenannten "Auf Anfrage"-Angebote werden derzeit an mehreren Orten in Deutschland erprobt - auch in der Schleiregion in Schleswig-Holstein. Das Bundesverkehrsministerium fördert sie im ländlichen Raum gerade mit vielen Millionen Euro.
Kostenlose Shuttles zum ÖPNV-Tarif
Seit es das ÖPNV-Großprojekt Smile24 in der schleswig-holsteinischen Schleiregion gibt, beginnt Rolf Madsens Weg zur Arbeit immer im nah.Shuttle. Das sind Elektro-Kleinbusse, die Fahrgäste rund um die Uhr bestellen können - als sogenannte Poolfahrten, bei denen weitere Fahrgäste zu- und aussteigen.
In Großstädten gibt es solche Angebote bereits von kommerziellen Anbietern, wie etwa MOIA oder Uber. Das Besondere in der Schleiregion ist: Die nah.Shuttles fahren zum ÖPNV-Tarif und mit dem Deutschlandticket sogar kostenlos. "Das ist ein großer Mehrwert für mich als Bahnfahrer", sagt Madsen. "Wenn ich von hier aus den Bahnhof erreichen will, geht das eigentlich nur mit Bussen über den ZOB. Für mich ist der Shuttle ein sehr angenehmes Angebot, weil es mich gut, sicher und schnell zum Bahnhof bringt."
Gesamtkosten: 13 Millionen Euro
Laut Verkehrsbund Nah.Sh gibt es pro Woche mehr als 4.000 solcher Fahrten. Das On-Demand-Angebot soll bis Ende 2025 laufen und kostet insgesamt 13 Millionen Euro. Zum Großteil wird es vom Bund bezahlt. Zum ÖPNV-Projekt Smile24 gehören aber auch neue Express-Buslinien und Bikesharing-Angebote.
"Die Shuttles sind ein Baustein und bringen die Fahrgäste zum Beispiel von ihrem Wohnort zum Expressbus", erklärt Nah.Sh-Chef Arne Beck. "Die Busse sind das eigentliche Rückgrat und sollen die Masse des Verkehrs abwickeln. Die Shuttles sind Zubringer oder Abbringer, weil der Expressbus nicht in jedes kleine Dorf fahren kann."
Ziel: Flächendeckender ÖPNV rund um die Uhr
Die App soll deshalb eigentlich dazu in der Lage sein, zu erkennen, ob es eine Alternative zum Shuttle gibt, also zum Beispiel eine Busverbindung - und genau da hakt es momentan noch. Bei einer ÖPNV-Alternative dürfte die Software erst gar keine Shuttle-Bestellung zulassen, aber genau das funktioniert derzeit noch nicht zuverlässig. Die Folge: An diesem Morgen fahren die meisten Fahrgäste einfach nur mit, weil es bequemer und schneller ist als der Linienbus.
"Ich habe hier meine Ruhe und werde direkt zur Arbeit gefahren. Gerade jetzt, wenn es regnet, ist das natürlich sehr bequem", berichtet ein Fahrgast. Genau dieses Nutzungsverhalten ist aber eigentlich nicht im Sinne der Projektidee. Das Ziel ist ein absolut flächendeckendes ÖPNV-Angebot rund um die Uhr - und keine Komfortsteigerung. Das wäre erst recht nicht finanzierbar. Aber auch so stellt sich die Frage, ob dieser "Auf Anfrage"-Service zum ÖPNV-Tarif ohne Millionenförderung zu halten ist.
Taxiunternehmer wünscht sich Einbindung des Fuhrparks
Sönke Kortum ist als Taxiunternehmer Kooperationspartner von Smile24. Er lobt den guten Informationsausstausch. Die Kunden, die sich vorher ein Taxi gerufen haben, rufen sich jetzt allerdings den deutlich günstigeren Shuttle. Trotzdem sieht er das Ganze gelassen: Ein Großteil der Einnahmen käme ohnehin durch Partnerschaften mit den Krankenkassen, also durch die Beförderung kranker Menschen. Das Zubrot der Taxiunternehmen ist durch Smile24 zurückgegangen, sagt er: "Wir könnten unser Geschäft ja auch umstellen und nachts beispielsweise keine Fahrten mehr anbieten und diese stattdessen Smile24 überlassen."
Damit das Projekt auch ohne Fördersumme kommerziell erfolgreich laufen kann, müssten seiner Ansicht nach die Taxiunternehmen mit einem eigenen Fuhrpark eingebunden werden. So könnte man die Kosten, die ein Fahrzeug hat, auf 24 Stunden verteilen und nicht auf nur acht bis zehn Stunden Einsatzzeit.
Langfristige Finanzierung ungewiss
Arne Beck von nah.SH sieht im neuen On-Demand-Angebot auch eine Chance fürs Taxigewerbe: "Der enge Schulterschluss mit den Taxiunternehmen war uns sehr wichtig, wir führen über das On-Demand-Angebot schon lange Gespräche mit dem schleswig-holsteinischen Taxiverband. Wir glauben, dass das für die Taxiunternehmen ein gutes Zusatzgeschäft ist. Wir akquirieren ja einen neuen Kundenstamm - also Bürgerinnen und Bürger, die vorher mit dem eigenen Auto gefahren sind."
Kurzfristig jedenfalls freuen sich gerade viele Menschen in der Schleiregion über das neue Angebot - an diesem Morgen haben fast alle Fahrgäste von Smile24 geschwärmt. Ob das reicht, um das Angebot langfristig zu finanzieren, muss sich noch zeigen.
Jährliche Subventionen pro Autofahrer: 5.000 Euro
Mobilitätsforscher und Sozialwissenschaftler Andreas Knie findet die Kosten eines solchen Projekts überschaubar im Verhältnis zu den Subventionen für das Auto. Das Auto werde massiv unterstützt, wie die Entfernungspauschale, die Dieselsubventionierung und das Dienstwagenprivileg zeigten.
Tatsächlich belegen das auch andere Forschungsergebnisse: Laut einer Untersuchung der TU Dresden wird jeder Autofahrer jährlich insgesamt mit etwa 5.000 Euro subventioniert. Diese Kosten tragen alle Steuerzahler - egal ob sie selbst ein Auto besitzen oder nicht. Nur ein Umdenken könne dazu führen, dass diese Gelder in entsprechende ÖPNV-Projekte fließen.
Sozialwissenschaftler: On Demand ist die Lösung
Mobilitätsforscher Knie weiß um den hohen Stellenwert des Autos. Gleichzeitig betont er, dass viele Menschen Umfragen zufolge bereit wären, auf die eine oder andere Autofahrt zu verzichten - wenn die Alternativen besser wären. Das könne nur ein On-Demand-Angebot wie ein Shuttle-Service leisten und nicht ein Bus: "Busse schreiben uns vor, wann wir was tun müssen", erklärt er. "Nur ein bis zwei Prozent der Menschen im ländlichen Raum wählen den Bus freiwillig." Alle anderen seien Schülerinnen und Schüler, Studierende oder Menschen ohne Führerschein.
Tatsächlich brauchen die Menschen aber individuelle Lösungen: "Nämlich etwas, was uns abholt, wo wir sind, und auch dorthin bringt, wo wir hin wollen. Das können natürlich sehr gut Taxis und Mietwagen leisten." Weil die aber zu teuer sind, müsse man es durch entsprechende Subventionen auf die Kosten eines ÖPNV-Tickets bringen: "Dann hätte man eine wunderbare, sofort wirksame Alternative zum eigenen Auto", sagt Knie.
Katja Diehl: Postbus und gezielte Förderung von Alternativen
Auch Mobilitätsexpertin Katja Diehl wünscht sich ein Umdenken für eine neue Mobilität auf dem Land. Sie betont, dass Budget für eine attraktive öffentliche und geteilte Mobilität durchaus vorhanden ist, wenn man sich die Förderung des motorisierten Individualverkehrs anschaut. Gleichzeitig müsse man die ländlichen Räume aber auch insgesamt neu denken, wieder mehr Richtung Gemeinschaft und weg von der Vereinzelung: "Eine Idee wäre, Lieferdienste von der Stadt auf das Land anzubieten - statt einzelne Autos in die Stadt fahren zu lassen."
Auch der Postbus, der den gleichzeitigen Transport von Waren und Menschen möglich gemacht hat, könnte reaktiviert werden. Generell brauche es eine gute Nahversorgung, gutes Internet und gute Mobilitätsalternativen, um das Leben auf dem Land attraktiv zu machen. Und diese Alternativen haben eben einfach ihren Preis, wenn sie das Auto wirklich ablösen sollen.