VIDEO: Experte zu illegalen Drohnenüberflügen: "Es geht erstmal darum, Daten zu sammeln" (8 Min)

Radarstation, Windpark und Nuklear-Lager im Visier von Drohnen

Stand: 12.04.2025 06:00 Uhr

Ein LNG-Terminal, ein Rüstungsbetrieb, Industriehäfen und Bundeswehr-Standorte: In Mecklenburg-Vorpommern sind sicherheitsrelevante Einrichtungen zunehmend von illegalen Drohnenüberflügen betroffen. Auch Areale, wo ukrainische Soldaten ausgebildet werden, wurden wiederholt überflogen. Über die Urheber ist wenig bekannt.

von Henning Strüber, Martin Möller, Juliane Mau, Martina Rathke

Ziel solcher Drohnen-Überflüge waren im Jahr 2024 etwa das EWN Entsorgungswerk für Nuklearanlagen in Lubmin, das LNG-Terminal in Sassnitz-Mukran sowie eine Bundeswehr-Einrichtung auf Rügen, der Rüstungsbetrieb General Dynamics in Neubrandenburg, der Offshore-Windpark "Baltic 1" in der Ostsee, eine nicht näher bezeichnete Polizei-Liegenschaft sowie in drei Fällen der Industriehafen Lubmin. Dort lag bis zum Frühjahr 2024 das LNG-Regasifizierungsschiff "Neptune". Auch das Zwischenlager Nord, wo unter anderem hochradioaktive Abfälle eingelagert sind, befindet sich auf dem Areal.

Das teilte das Innenministerium in Schwerin auf NDR Anfrage mit. Demnach wurden im vergangenen Jahr landesweit insgesamt 120 Vorgänge mit illegalen Drohnenüberflügen registriert, davon waren 40 meldepflichtig. "Ich sehe mit großer Sorge, dass Drohnenüberflüge und Überflugversuche zunehmen und es bislang wenig Handlungsspielraum gibt, dies zu unterbinden", sagte EWN-Geschäftsführer Henry Cordes dem NDR.

"Alle realisierten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie sicherheitsrelevanten Vorfälle im Zusammenhang mit dem Betrieb von unbemannten Luftfahrzeugsystemen stellen grundsätzlich eine Gefahr aus der Luft dar." Landesregierung MV

Hobby-Drohnenpiloten oder hybride Spionage-Aktion?

Die genauen Hintergründe der einzelnen Vorfälle sind unbekannt. Ob es sich dabei "nur" um Flüge von Hobby-Drohnenpiloten handelte, die aus Unkenntnis, aufgrund ungünstiger Witterungsverhältnisse oder technischer Probleme erfolgten, oder etwa um Flüge von Jägern auf der Suche nach Wild oder gar um hybride Aktionen von staatlichen Akteuren mit Spionageabsicht, lässt sich nicht sicher sagen. Sowohl die Behörden als auch die Betreiber der Anlagen halten sich mit Details bedeckt - häufig mit Verweis auf Sicherheitsaspekte.

Abstands-und Meldepflicht bei Drohnenflügen

Grundsätzlich gilt, dass über und innerhalb eines seitlichen Abstands von 100 Metern von der Begrenzung von Industrieanlagen, Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen des Maßregelvollzugs, militärischen Anlagen und Organisationen, Anlagen der zentralen Energieerzeugung und Energieverteilung, Verfassungsorganen des Bundes oder der Länder, Konsulate, Krankenhäuser, Liegenschaften von Polizei und anderen Sicherheitsbehörden ohne Erlaubnis des Betreibers der Einrichtung nicht geflogen werden darf. Das Positionssystem handelsüblicher Drohnen blockiert automatisch Flüge über solche Zonen.

Für Straftaten, Ordnungswidrigkeiten und sicherheitsrelevante Vorfälle im Zusammenhang mit dem Betrieb von unbemannten Luftfahrtsystemen gilt eine Meldeverpflichtung.

(Quelle: Innenministerium MV)

Verwechslungen mit Himmelsphänomenen wie Starlink-Satelliten

Die Sichtungen wurden meist von privaten Hinweisgebern, Polizei und Bundespolizei gemeldet. In fast allen Fällen konnten die Drohnen-Überflüge keinem Urheber zugeordnet werden. Es dürften auch irrtümliche Meldungen darunter sein, weil Drohnen immer wieder mit echten Flugzeugen oder anderen Himmelsphänomenen wie etwa den am Nachthimmel wie eine Perlenkette leuchtenden Starlink-Kommunikationssatelliten des US-Raumfahrtunternehmens SpaceX verwechselt werden, wie Insider betonen.

41 Ordnungswidrigkeitsverfahren in 2024 - häufig Grundstücksüberflüge

Das Wirtschaftsministerium in Schwerin teilte als zuständige Luftfahrtbehörde des Landes mit, dass im vergangenen Jahr insgesamt 41 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet wurden. In den meisten Fällen habe es sich um Überflüge über private Wohngrundstücke ohne Erlaubnis der Eigentümer gehandelt. Weitere Verfahren wurden wegen mehrerer Überflüge über Industrieanlagen etwa in Poppendorf bei Rostock sowie in Lubmin und Sassnitz eingeleitet.

VIDEO: Illegale Drohnenüberflüge nehmen zu (4 Min)

Strafrechtliche Ermittlungen verliefen im Sande

Bei den Staatsanwaltschaften werden solche Vorfälle nicht "gesondert statistisch erfasst", wie die Generalstaatsanwaltschaft in Rostock auf Anfrage mitteilt. Gleichwohl seien in zwei Fällen strafrechtliche Ermittlungsverfahren "erinnerlich", so die Behörde: In einem Fall wurden Staatsanwälte wegen eines Drohnenüberflugs über dem LNG-Terminal in Mukran tätig, sie gingen dem Verdacht der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen nach. Das Verfahren wurde eingestellt, ein Täter konnte nicht ermittelt werden.

Bundeswehr-Radarstation auf Rügen als Ziel: Täter nicht ermittelt

Auch die Untersuchung eines illegalen Drohnenüberflugs über einer Bundeswehr-Einrichtung in Putgarten auf Rügen verlief letztlich im Sande. Dabei dürfte es sich um die Radarstation im Ortsteil Varnkevitz handeln, mit der laut Bundeswehr der Luftraum im Radius von rund 400 Kilometern über der Ostsee überwacht werden kann. Das Verfahren wurde mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Offenbar auch "Patriot"-Ausbildung ukrainischer Soldaten im Visier

Die Bundeswehr teilte mit, dass sie sich aus Gründen der operativen Sicherheit grundsätzlich nicht zu Einzelvorfällen äußere. Eine Sprecherin des Operativen Führungskommandos bestätigte dem NDR jedoch, dass in den vergangenen Jahren wiederholt Drohnen über verschiedenen militärischen Liegenschaften in MV gesichtet worden seien - auch über Arealen, auf denen ukrainische Soldaten ausgebildet werden.

Damit dürften die Standorte der Flugabwehrraketengruppen 21 und 24 in Bad Sülze (Landkreis Vorpommern-Rügen) und Sanitz (Landkreis Rostock) gemeint sein. Dort werden ukrainische Soldaten an der Bedienung des "Patriot"-Flugabwehrsystems geschult. Auch bei einer ähnlichen Einheit im schleswig-holsteinischen Schwesing, wo Ukrainer ausgebildet werden, waren Anfang des Jahres Drohnenüberflüge öffentlich geworden.

Weitere Informationen
Ein Militärfahrzeug fährt duch das Tor eines Militärstützpunktes. © NDR

Spionage? LKA ermittelt nach Drohnensichtung an Patriot-Standort

Mehrfach sollen Drohnen am Luftwaffenstützpunkt in Schwesing gesichtet worden sein. Ein Experte macht klar: Schutz vor Drohnen ist schwierig. mehr

Nach NDR Informationen stieg die Drohnenaktivität über den Standorten seit dem Bekanntwerden der Ausbildungsmission der Ukrainer an. Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass vor Ort die Sicherheitsvorkehrungen erhöht wurden.

Sicherheits-Insider: Es herrscht "Anspannung"

Zuletzt hatten sich Berichte über Aktivitäten von Drohnen mit teils mehreren Metern Spannweite an sensiblen Sicherheitseinrichtungen in Deutschland gehäuft. Als Drahtzieher werden auch staatliche Akteure vermutet. Eine eindeutige Zuordnung sei aber schwierig, weil man bisher noch keiner dieser Drohnen habhaft geworden ist, erfuhr der NDR aus Sicherheitskreisen. Gleichwohl herrsche derzeit eine gewisse "Anspannung". Bei Bundeswehr und Polizei gehen demnach täglich mehrere Meldungen über vermeintliche Drohnensichtungen ein, in sehr vielen Fällen seien dies aber Fehlmeldungen.

"Passt zu anderen Maßnahmen, die wir gesehen haben"

Dass zumindest in einigen Fällen staatliche Auftraggeber hinter den Überflügen stecken könnten, meint auch der Experte für hybride Bedrohungen und non-residential Fellow am Institut für Sicherheitspolitik der Uni Kiel, Sönke Marahrens. "Mit der Nähe zur Ostsee gehe ich davon aus, dass es Russland ist, weil es auch zu anderen Maßnahmen passt, die wir gesehen haben."

"Im hybriden Umfeld sagen wir immer: Erster Fall - Zufall, zweiter Fall - Achtung, dritter Fall - es entsteht ein Muster." Sönke Marahrens, Experte für hybride Bedrohungen

Drohnenflüge dienen zum einen der Aufklärung, so Marahrens. So ließen sich mit ihnen genauere Bildinformationen der Objekte erhalten als etwa mit Satelliten. "Sie können mit verschiedenen Sensoren wie beispielsweise Wärmebildern zusätzliche Informationen gewinnen und Sie können damit natürlich Verteidigungsmechanismen auslösen oder provozieren." Außerdem tragen sie zur Verunsicherung der Bevölkerung bei, wenn der Eindruck entsteht, dass man sie nicht abwehren kann.

Getarnte Touristen und "Wegwerf"-Agenten

Bei hybriden Aktionen kommen laut Marahrens auch Spezialkräfte oder Agenten zum Einsatz, sie agieren teils getarnt als Touristen. "Oder aber auch nicht-staatliche Akteure, private Sicherheits-Consultants wie etwa Angehörige der Wagner-Gruppe. Es können aber auch sogenannte Wegwerf-Agenten sein, denen man über anonyme Internetseiten Geld für bestimmte Aufklärungsflüge oder Provokationsflüge anbietet."

Drohnen-Starts von Schiffen in der Ostsee?

Eine andere mit der Thematik vertraute Person, die namentlich nicht genannt werden will, sagte dem NDR, dass die über Deutschland eingesetzten Drohnen von vermeintlichen Forschungsschiffen der dem russischen Verteidigungsministerium unterstellten Hauptverwaltung Tiefseeforschung GUGI, aber auch Tankern der Schattenflotte in Nord- und Ostsee gestartet worden sein könnten. Darauf deuteten unter anderem Abgleiche der Drohnenüberflüge mit der Position bestimmter Schiffe hin.

"Man tappt nicht im Dunkeln"  

Eine Bundeswehr-Soldatin setzt bei einer Übung einen "Effektor HP47 3/V4 Störsender" ein, der Drohnen elektronisch zur Landung zwingen kann. © picture alliance/dpa | Andreas Arnold Foto: picture alliance/dpa | Andreas Arnold
Zur Drohnenabwehr setzt die Bundeswehr unter anderem den Störsender Effektor HP-47 ein.

Doch warum sind die Behörden so machtlos? "Ich denke, man tappt nicht im Dunkeln, aber auch hier gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen", so Marahrens. Technologisch tue sich in der Drohnenabwehr derzeit sehr viel, Mittel und Wege zur Abwehr stünden zur Verfügung, so der Experte. Aber die private Drohnenfliegerei habe in den vergangenen Jahren einen "riesigen Zuwachs erlebt, den der Gesetzgeber erst peu à peu regulieren konnte." Zudem seien die Drohnen vergleichsweise klein, sodass sie meist erst erfasst werden, wenn sie an den Zielobjekten sind.

Betreiber für Schutz verantwortlich

Die Verantwortung für den Schutz der Einrichtungen liegt in erster Linie bei den Betreibern. Die Bundeswehr setzt zur Drohnenabwehr auch auf den Effektor HP-47 - vereinfacht gesagt ein Anti-Drohnengewehr, mit dem die Funkverbindung zum Gerät gestört werden kann. Die Betreiber kritischer Infrastrukturen geben sich schmallippig, wenn es um die Schutzvorkehrungen geht.

Weitere Informationen
Eine Drohne in den Farben der Polizei © Stefan Sauer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Stefan Sauer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

"Zunehmende Bedrohung": MV baut Drohnenabwehr-Zentrum auf

Ziel ist es, gefährliche Drohnen frühzeitig zu erkennen und abzuwehren. Denn sie stellen laut Innenministerium auch eine Gefahr für die kritische Infrastruktur dar. mehr

Drohnenabwehr-Zentrum der Landespolizei weiter im Aufbau

Seit vergangenem Jahr wird in Mecklenburg-Vorpommern ein Drohnenabwehr-Zentrum bei der Landespolizei aufgebaut. Nach Angaben des Innenministeriums ist dieses aber "noch nicht vollumfänglich technisch ausgestattet, um unberechtigt fliegende Drohnen von zivilen Nutzern abzuwehren". Die Ausstattung mit technischen Geräten dauere an, noch in diesem Jahr sollen aber die fehlenden Komponenten geliefert werden.

Für den Experten Marahrens stehen "Wahrnehmung und Information" am Anfang gesellschaftlicher Widerstandsfähigkeit gegenüber solchen Bedrohungen. "Es gilt, auf die Gefahren hinzuweisen, Meldewege anzubieten, aber gleichzeitig auch keinen Alarmismus zu erzeugen."

Weitere Informationen
Eine fliegende Drohne vor grauen Wolken © Screenshot

Drohnen über Norddeutschland: Kritische Infrastruktur im Visier?

Nicht nur über Bundeswehr-Arealen haben die Sichtungen zugenommen. Oft gehen Ermittler von Spionage aus. mehr

Deutsche und ukrainische Soldaten stehen beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj auf einem Truppenübungsplatz vor Flugabwehrraketensystemen vom Typ Patriot. © dpa-Bildfunk Foto: Jens Büttner

Patriot-Abwehrsystem: Ausbildung in MV für Ukrainer geht weiter

Ob die Flugabwehrraketengruppe aus Sanitz erneut die NATO in Ostpolen unterstützt, ist dagegen noch offen. mehr

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 12.04.2025 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Bundeswehr

Mehr Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern

Rostock-Spieler bejubeln einen Treffer von Christian Kinsombi (M.) © IMAGO / Andy Bünning

4:0-Gala gegen Verl: Hansa Rostock klopft oben an

Christian Kinsombi steuerte drei Tore zum souveränen Heimsieg des Fußball-Drittligisten gegen den SC Verl bei. mehr

Die Applikation App WhatsApp ist auf dem Display eines Smartphones zu sehen. © picture alliance/dpa Foto: Silas Stein

Im Handy abonnieren: Die NDR MV Nachrichten bei Whatsapp

Im NDR MV Whatsapp-Kanal gibts die wichtigsten Themen für Mecklenburg-Vorpommern kompakt und schnell zusammengefasst. extern