Radarstation, Windpark und Nuklear-Lager im Visier von Drohnen
Ein LNG-Terminal, ein Rüstungsbetrieb, Industriehäfen und Bundeswehr-Standorte: In Mecklenburg-Vorpommern sind sicherheitsrelevante Einrichtungen zunehmend von illegalen Drohnenüberflügen betroffen. Auch Areale, wo ukrainische Soldaten ausgebildet werden, wurden wiederholt überflogen. Über die Urheber ist wenig bekannt.
Ziel solcher Drohnen-Überflüge waren im Jahr 2024 etwa das EWN Entsorgungswerk für Nuklearanlagen in Lubmin, das LNG-Terminal in Sassnitz-Mukran sowie eine Bundeswehr-Einrichtung auf Rügen, der Rüstungsbetrieb General Dynamics in Neubrandenburg, der Offshore-Windpark "Baltic 1" in der Ostsee, eine nicht näher bezeichnete Polizei-Liegenschaft sowie in drei Fällen der Industriehafen Lubmin. Dort lag bis zum Frühjahr 2024 das LNG-Regasifizierungsschiff "Neptune". Auch das Zwischenlager Nord, wo unter anderem hochradioaktive Abfälle eingelagert sind, befindet sich auf dem Areal.
Das teilte das Innenministerium in Schwerin auf NDR Anfrage mit. Demnach wurden im vergangenen Jahr landesweit insgesamt 120 Vorgänge mit illegalen Drohnenüberflügen registriert, davon waren 40 meldepflichtig. "Ich sehe mit großer Sorge, dass Drohnenüberflüge und Überflugversuche zunehmen und es bislang wenig Handlungsspielraum gibt, dies zu unterbinden", sagte EWN-Geschäftsführer Henry Cordes dem NDR.
"Alle realisierten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie sicherheitsrelevanten Vorfälle im Zusammenhang mit dem Betrieb von unbemannten Luftfahrzeugsystemen stellen grundsätzlich eine Gefahr aus der Luft dar." Landesregierung MV
Hobby-Drohnenpiloten oder hybride Spionage-Aktion?
Die genauen Hintergründe der einzelnen Vorfälle sind unbekannt. Ob es sich dabei "nur" um Flüge von Hobby-Drohnenpiloten handelte, die aus Unkenntnis, aufgrund ungünstiger Witterungsverhältnisse oder technischer Probleme erfolgten, oder etwa um Flüge von Jägern auf der Suche nach Wild oder gar um hybride Aktionen von staatlichen Akteuren mit Spionageabsicht, lässt sich nicht sicher sagen. Sowohl die Behörden als auch die Betreiber der Anlagen halten sich mit Details bedeckt - häufig mit Verweis auf Sicherheitsaspekte.
Verwechslungen mit Himmelsphänomenen wie Starlink-Satelliten
Die Sichtungen wurden meist von privaten Hinweisgebern, Polizei und Bundespolizei gemeldet. In fast allen Fällen konnten die Drohnen-Überflüge keinem Urheber zugeordnet werden. Es dürften auch irrtümliche Meldungen darunter sein, weil Drohnen immer wieder mit echten Flugzeugen oder anderen Himmelsphänomenen wie etwa den am Nachthimmel wie eine Perlenkette leuchtenden Starlink-Kommunikationssatelliten des US-Raumfahrtunternehmens SpaceX verwechselt werden, wie Insider betonen.
41 Ordnungswidrigkeitsverfahren in 2024 - häufig Grundstücksüberflüge
Das Wirtschaftsministerium in Schwerin teilte als zuständige Luftfahrtbehörde des Landes mit, dass im vergangenen Jahr insgesamt 41 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet wurden. In den meisten Fällen habe es sich um Überflüge über private Wohngrundstücke ohne Erlaubnis der Eigentümer gehandelt. Weitere Verfahren wurden wegen mehrerer Überflüge über Industrieanlagen etwa in Poppendorf bei Rostock sowie in Lubmin und Sassnitz eingeleitet.
Strafrechtliche Ermittlungen verliefen im Sande
Bei den Staatsanwaltschaften werden solche Vorfälle nicht "gesondert statistisch erfasst", wie die Generalstaatsanwaltschaft in Rostock auf Anfrage mitteilt. Gleichwohl seien in zwei Fällen strafrechtliche Ermittlungsverfahren "erinnerlich", so die Behörde: In einem Fall wurden Staatsanwälte wegen eines Drohnenüberflugs über dem LNG-Terminal in Mukran tätig, sie gingen dem Verdacht der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen nach. Das Verfahren wurde eingestellt, ein Täter konnte nicht ermittelt werden.
Bundeswehr-Radarstation auf Rügen als Ziel: Täter nicht ermittelt
Auch die Untersuchung eines illegalen Drohnenüberflugs über einer Bundeswehr-Einrichtung in Putgarten auf Rügen verlief letztlich im Sande. Dabei dürfte es sich um die Radarstation im Ortsteil Varnkevitz handeln, mit der laut Bundeswehr der Luftraum im Radius von rund 400 Kilometern über der Ostsee überwacht werden kann. Das Verfahren wurde mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.
Offenbar auch "Patriot"-Ausbildung ukrainischer Soldaten im Visier
Die Bundeswehr teilte mit, dass sie sich aus Gründen der operativen Sicherheit grundsätzlich nicht zu Einzelvorfällen äußere. Eine Sprecherin des Operativen Führungskommandos bestätigte dem NDR jedoch, dass in den vergangenen Jahren wiederholt Drohnen über verschiedenen militärischen Liegenschaften in MV gesichtet worden seien - auch über Arealen, auf denen ukrainische Soldaten ausgebildet werden.
Damit dürften die Standorte der Flugabwehrraketengruppen 21 und 24 in Bad Sülze (Landkreis Vorpommern-Rügen) und Sanitz (Landkreis Rostock) gemeint sein. Dort werden ukrainische Soldaten an der Bedienung des "Patriot"-Flugabwehrsystems geschult. Auch bei einer ähnlichen Einheit im schleswig-holsteinischen Schwesing, wo Ukrainer ausgebildet werden, waren Anfang des Jahres Drohnenüberflüge öffentlich geworden.
Nach NDR Informationen stieg die Drohnenaktivität über den Standorten seit dem Bekanntwerden der Ausbildungsmission der Ukrainer an. Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass vor Ort die Sicherheitsvorkehrungen erhöht wurden.
Sicherheits-Insider: Es herrscht "Anspannung"
Zuletzt hatten sich Berichte über Aktivitäten von Drohnen mit teils mehreren Metern Spannweite an sensiblen Sicherheitseinrichtungen in Deutschland gehäuft. Als Drahtzieher werden auch staatliche Akteure vermutet. Eine eindeutige Zuordnung sei aber schwierig, weil man bisher noch keiner dieser Drohnen habhaft geworden ist, erfuhr der NDR aus Sicherheitskreisen. Gleichwohl herrsche derzeit eine gewisse "Anspannung". Bei Bundeswehr und Polizei gehen demnach täglich mehrere Meldungen über vermeintliche Drohnensichtungen ein, in sehr vielen Fällen seien dies aber Fehlmeldungen.
"Passt zu anderen Maßnahmen, die wir gesehen haben"
Dass zumindest in einigen Fällen staatliche Auftraggeber hinter den Überflügen stecken könnten, meint auch der Experte für hybride Bedrohungen und non-residential Fellow am Institut für Sicherheitspolitik der Uni Kiel, Sönke Marahrens. "Mit der Nähe zur Ostsee gehe ich davon aus, dass es Russland ist, weil es auch zu anderen Maßnahmen passt, die wir gesehen haben."
"Im hybriden Umfeld sagen wir immer: Erster Fall - Zufall, zweiter Fall - Achtung, dritter Fall - es entsteht ein Muster." Sönke Marahrens, Experte für hybride Bedrohungen
Drohnenflüge dienen zum einen der Aufklärung, so Marahrens. So ließen sich mit ihnen genauere Bildinformationen der Objekte erhalten als etwa mit Satelliten. "Sie können mit verschiedenen Sensoren wie beispielsweise Wärmebildern zusätzliche Informationen gewinnen und Sie können damit natürlich Verteidigungsmechanismen auslösen oder provozieren." Außerdem tragen sie zur Verunsicherung der Bevölkerung bei, wenn der Eindruck entsteht, dass man sie nicht abwehren kann.
Getarnte Touristen und "Wegwerf"-Agenten
Bei hybriden Aktionen kommen laut Marahrens auch Spezialkräfte oder Agenten zum Einsatz, sie agieren teils getarnt als Touristen. "Oder aber auch nicht-staatliche Akteure, private Sicherheits-Consultants wie etwa Angehörige der Wagner-Gruppe. Es können aber auch sogenannte Wegwerf-Agenten sein, denen man über anonyme Internetseiten Geld für bestimmte Aufklärungsflüge oder Provokationsflüge anbietet."
Drohnen-Starts von Schiffen in der Ostsee?
Eine andere mit der Thematik vertraute Person, die namentlich nicht genannt werden will, sagte dem NDR, dass die über Deutschland eingesetzten Drohnen von vermeintlichen Forschungsschiffen der dem russischen Verteidigungsministerium unterstellten Hauptverwaltung Tiefseeforschung GUGI, aber auch Tankern der Schattenflotte in Nord- und Ostsee gestartet worden sein könnten. Darauf deuteten unter anderem Abgleiche der Drohnenüberflüge mit der Position bestimmter Schiffe hin.
"Man tappt nicht im Dunkeln"
Doch warum sind die Behörden so machtlos? "Ich denke, man tappt nicht im Dunkeln, aber auch hier gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen", so Marahrens. Technologisch tue sich in der Drohnenabwehr derzeit sehr viel, Mittel und Wege zur Abwehr stünden zur Verfügung, so der Experte. Aber die private Drohnenfliegerei habe in den vergangenen Jahren einen "riesigen Zuwachs erlebt, den der Gesetzgeber erst peu à peu regulieren konnte." Zudem seien die Drohnen vergleichsweise klein, sodass sie meist erst erfasst werden, wenn sie an den Zielobjekten sind.
Betreiber für Schutz verantwortlich
Die Verantwortung für den Schutz der Einrichtungen liegt in erster Linie bei den Betreibern. Die Bundeswehr setzt zur Drohnenabwehr auch auf den Effektor HP-47 - vereinfacht gesagt ein Anti-Drohnengewehr, mit dem die Funkverbindung zum Gerät gestört werden kann. Die Betreiber kritischer Infrastrukturen geben sich schmallippig, wenn es um die Schutzvorkehrungen geht.
Drohnenabwehr-Zentrum der Landespolizei weiter im Aufbau
Seit vergangenem Jahr wird in Mecklenburg-Vorpommern ein Drohnenabwehr-Zentrum bei der Landespolizei aufgebaut. Nach Angaben des Innenministeriums ist dieses aber "noch nicht vollumfänglich technisch ausgestattet, um unberechtigt fliegende Drohnen von zivilen Nutzern abzuwehren". Die Ausstattung mit technischen Geräten dauere an, noch in diesem Jahr sollen aber die fehlenden Komponenten geliefert werden.
Für den Experten Marahrens stehen "Wahrnehmung und Information" am Anfang gesellschaftlicher Widerstandsfähigkeit gegenüber solchen Bedrohungen. "Es gilt, auf die Gefahren hinzuweisen, Meldewege anzubieten, aber gleichzeitig auch keinen Alarmismus zu erzeugen."
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