Lobbytreffen im Schloss: Nord Stream umgarnte auch den Landtag
Der russische Gazprom-Konzern hat über seine Nord Stream AG auch versucht, den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern für seine Interessen einzuspannen. Nord Stream hatte als privates Unternehmen die Möglichkeit, mit Abgeordneten des Parlaments direkt Gespräche zu führen - und nutzte dabei eine fragwürdige PR-Strategie.
Es war am 9. Mai 2017, einem Dienstag. Am nächsten Tag sollten im Landtag die Ausschüsse tagen - unter anderem auch der für Energie. Die Pipeline Nord Stream 2 war damals noch in der Planungsphase. Das Projekt war auch wegen der russischen Annexion der Krim nicht unumstritten. In Moskau gab es zum Jahrestag des Kriegsendes eine Militärparade mit markigen Worten des Präsidenten Wladimir Putin.
Energieminister Pegel war Gast beim "Nord-Stream-Abend"
Im Schweriner Schloss lud die Nord Stream AG zu einem sogenannten Parlamentarischen Abend. Bei diesen Lobbytreffen zeigen sich die Abgeordneten in der Regel interessiert und gelegentlich auch aufgeschlossen für die Projekte des Veranstalters. Mit beim "Nord-Stream-Abend" dabei war auch der damalige Energieminister Christian Pegel (SPD), begleitet von gleich drei führenden Mitarbeitern seines Ministeriums. Das geht aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage aus dem Dezember 2018 hervor - eine Antwort, die bisher "untergegangen" ist.
Vertreter von Nord Stream und der Landesregierung trafen sich mehr als 40-Mal
Dass Minister zu Runden dieser Art erscheinen, gilt als unüblich. Es könnte als weiterer Beleg dafür dienen, wie wichtig das Pipeline-Projekt der Landesregierung war. Für Pegel jedenfalls war es einer seiner vielen Begegnungen mit den Leuten von Nord Stream - er hatte erst Anfang April ein "Arbeitsgespräch" und dann Ende Mai noch einmal ein "Beratungsgespräch". Der Minister gilt neben Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) als der Architekt eines besonderen Symbols der deutsch-russischen Partnerschaft: Er organisierte ab Herbst 2020 den Aufbau der Klimaschutzstiftung. Bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges im Februar 2022 gab es mehr als 40 Treffen zwischen Nord Stream und Mitgliedern der Landesregierung, dazu etliche Telefonate und Videokonferenzen.
Die Staatskanzlei teilte auf Anfrage mit, Pegel habe auch andere Parlamentarische Abende besucht. Aus einer Auflistung, die die Transparenzinitiative "Frag den Staat" veröffentlichte, geht hervor, dass Nord Stream auch den damaligen Chef der Staatskanzlei, Christian Frenzel (SPD), einladen wollte. Frenzel sagte aber ab, möglicherweise als Ersatz kam der Staatssekretär im Umweltministerium, Jürgen Buchwald.
Nur eine Handvoll Parlamentarische Abende von privatwirtschaftlichen Unternehmen
Nicht nur Pegels Anwesenheit bei dem Treffen im Schloss ist in der Rückschau ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist auch, dass die Nord-Stream-Führung überhaupt im Parlament für sich, den Pipeline-Bau und das Ende der EU-Sanktionen werben konnte. Parlamentarische Abende waren bis Ende 2022 fast ausschließlich auf Vereine und Verbände beschränkt, beispielsweise ist die Deutsche Automatenwirtschaft immer wieder dabei, auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und Unternehmensverbände laden immer wieder zum parlamentarischen Stelldichein - ebenso wie Handelskammern oder auch die Initiative "Musikland MV". Von den gut 80 Lobbyabenden zwischen 2013 und Ende Oktober 2022 gingen nur zwei weitere an "Private" - an die Krankenhauskette Ameos AG im März 2013 und die Sky Deutschland GmbH im Februar 2015.
Werbeabend als Teil einer großangelegten Projekt-PR
Für Nord Stream wurde offenbar eine weitere Ausnahme gemacht und danach lange keine weitere. Warum es diese Ausnahme gab, ist unklar. Ein Sprecher des Landtags erklärte auf NDR Anfrage, das sei nicht Sache des Parlaments. Er verwies auf den Veranstalter, der organisiere und bezahle. Protokolle und Berichte über das Treffen gibt es nicht. Der Werbeabend im Schloss diente Nord Stream als eine Art Blaupause für die großangelegte Projekt-PR. Zwei Monate zuvor hatte der Kommunikationschef Ulrich Lissek die Grundzüge erläutert - in der Rückschau überraschend klar. "Wie gewinnt man Fürsprecher?" war sein Vortrag am 21. März 2017 in der DialogGesellschaft in Berlin überschrieben.
"Die politische Debatte im Sinne der Projektes beeinflussen"
Lissek, der seit 2009 für Nord Stream arbeitet und zuvor bei der Deutschen Telekom die Unternehmenskommunikation leitete, gab in der Schankhalle Pfefferberg im Prenzlauer Berg klare Antworten - auch in einem weiteren Statement: Zunächst meinte er, das Unternehmen habe "Erwartungen" an diese Fürsprecher. Die müssten "die politische Debatte im Sinne der Projektes beeinflussen", schrieb der Nord-Stream-Stratege. Denn wenn "politische Erwägungen oder wirtschaftliche und ökologische Bedenken" ein Projekt verzögerten oder gar verhinderten, seien "Fürsprecher hilfreich". Die Pipeline durch die Ostsee stand teils heftig in der Kritik. Man müsse Fürsprecher mit exklusiven Informationen und Botschaften, aber auch mit Expertenwissen versorgen. Es gehe um eine "stimmige Storyline", die politisch, ethisch und moralisch "keine Angriffspunkte" bieten dürfe.
Nord-Stream-PR-Guide listet "Direktfinanzierung von Fürsprechern" auf
Mit diesem Vorgehen werde ein "Gegengewicht zur Masse der Projektgegner" geschaffen. Ganz oben in der Zielgruppe der Nord-Stream- PR stand die "Politik". Fürsprecher dort könnten "ihre gesellschaftliche Wahrnehmung und eigene Position ausbauen", so Lissek. Ein Punkt seiner Präsentation lässt aufhorchen. Dort ist auch von "kommerziellen Fürsprechern" und einer "verdeckten Form der Einbindung" die Rede. Ein Unterpunkt lautet: "Direktfinanzierung von Fürsprechern". Nord Stream schien also nicht auszuschließen, mit direkten Zahlungen Leute für die eigene Sache einzuspannen.
Keine Erkenntnisse über Schmiergeldzahlungen
Schmiergelder oder andere Zuwendungen sind nach bisherigen Erkenntnissen nicht in Richtung Landespolitik geflossen. Die Landesregierung handelte auch so im Sinne von Nord Stream. Auch der Landtag stützte den Kurs. Auf Initiative der SPD brachte das Parlament zum Beispiel ein Partnerschaftsabkommen mit der Region St. Petersburg auf den Weg. Dort hat der Nord Stream-Eigner Gazprom seinen Hauptsitz.
Auch Deutsche ReGas veranstaltete Parlamentarischen Abend
Die Nord Stream AG blieb mehr als fünf Jahre lang das einzige Unternehmen, das einen Parlamentarischen Abend in Schwerin veranstalten konnte. Erst nach der "Zeitenwende" gab es eine weitere Ausnahme und auch dabei ging es erneut um die Gas-Branche. Am 1. November 2022 veranstaltete die Deutsche ReGas einen Parlamentarischen Abend "mit Diskussion und individuellen Gesprächen inkl. Imbiss". Das Unternehmen ging wenig später mit dem ersten LNG-Terminal in Mecklenburg-Vorpommern an den Start. Auch dieses Projekt ist umstritten, hat aber den politischen Segen.