Gegenwind in Binz: Scholz und Habeck zu Gesprächen auf Rügen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) wurden mit lautstarken Protesten auf der Insel Rügen empfangen. Mit Bürgermeistern und Kritikern haben sie über die LNG-Pläne des Bundes gesprochen.
Die Spitzenpolitiker aus Berlin wurden mit mächtig Gegenwind an der Ostsee empfangen: Laut Polizei waren etwa 600 Demonstrierende den Protestaufrufen von "Fridays for Future" und der Bürgerintiative "Lebenswertes Rügen" gefolgt. Scholz und Habeck waren zu Gesprächen über ein für Rügen geplantes Flüssigerdgas-Terminal auf die Insel gekommen. In Binz wollten sie mit Verbänden und Vertretern der Gemeinden und der Wirtschaft über das Thema sprechen. Für die Gemeinden ist das Treffen ein überfälliger Schritt.
Bürgermeister und Landräte erwarteten im Vorfeld einen Dialog auf Augenhöhe und fordeten, dass die Bedenken der Menschen ernst genommen werden müssen, sagte der Binzer Bürgermeister Karsten Schneider (parteilos). Die Argumente sollten zentraler Bestandteil der Entscheidungsfindung werden. Vorpommern-Rügens Landrat Kerth (SPD) hoffte, dass endlich die Fragen beantwortet werden, die er und auch die Bürgermeister seit Wochen stellen.
Bürgermeister fordern mehr Informationen
Bei dem Treffen sollen Scholz und Habeck in erster Linie erklären, wie groß der Bedarf für das Flüssigerdgasterminal wirklich ist und wie der Stand der Planungen zu den Standortvarianten ist. Der Kreistag hat ein LNG-Terminal, egal an welcher Stelle, per Beschluss abgelehnt. Umwelt und Tourismus würden zu sehr darunter leiden. Die spärlichen Informationen und das überstürzte Handeln würden außerdem für Verunsicherung und Ablehnung in der Bevölkerung sorgen, so Kreistagspräsident Andreas Kuhn (CDU).
Hoffnung auf Alternativen
Im Interview bei NDR MV Live kritisierte auch der Bürgermeister Karsten Schneider die Kommunikation über das LNG-Terminal seitens der Bundes. Ihm zufolge müssen alternative Standorte in Betracht gezogen werden, denn auch der aktuell vom Bund ins Auge gefasste Standort bei Mukran sei problematisch. "Die Nachteile vor Sellin, die wir benannt haben, potenzieren sich in Mukran noch", sagte Schneider.
Er verwies auf ein klares Meinungsbild in Mecklenburg-Vorpommern gegen Rügen als Standort für ein LNG-Terminal. Der kürzlich bekannt gegebene Kauf von Material für eine Gasleitung beunruhige die Bevölkerung. Er habe zahlreiche Anrufe von Menschen erhalten, die sich vor vollendete Tatsachen gestellt fühlen.
Schwesig: Bund muss über Bedarf entscheiden
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) begrüßte den Besuch. Sie ging aber nicht davon aus, dass das Zusammentreffen zu einer Standortentscheidung für das Flüssigerdgas-Terminal führt. "Es wird nicht ein Termin sein, wo morgen ein Standort festgelegt wird", antwortete die SPD-Politikerin am Mittwoch auf eine Frage des NDR am Ende ihrer Litauen-Reise in Vilnius.
Stattdessen erwartete Schwesig von Scholz und Habeck eine Erklärung, warum es überhaupt ein weiteres Terminal für Flüssigerdgas (LNG) brauche. Schwesig stehe zu ihrer Zusage, dass Mecklenburg-Vorpommern seinen Beitrag für eine sichere Energieversorgung leiste. Doch könne letztlich nur der Bund darüber befinden, ob dafür ein weiteres Terminal in Mecklenburg-Vorpommern wirklich benötigt werde.
Neues Gutachten zu LNG-Beschleunigungsgesetz
Ein neues Rechtsgutachten der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zum LNG-Beschleunigungsgesetz des Bundes könnte nun für Furore bei der anstehenden Diskussion sorgen. Mithilfe dieses Gesetzes soll gemeinhin der Bau von LNG-Terminals schneller umgesetzt werden. Der Bund hatte geplant, den Geltungsbereich des Gesetzes auf Rügen auszuweiten. Das Rechtsgutachten der DUH soll die Rechtswidrigkeit des Gesetzes belegen. Es beruhe auf überholten Annahmen und widerspreche in weiten Teilen dem Europarecht sowie den Zielen des Klimaschutzgesetzes. Die DUH fordert daher eine sofortige Rücknahme des Gesetzes, einen Klimastresstest für alle weiteren LNG-Terminalprojekte sowie sofortigen Bau- und Planungsstopp, einschließlich der geplanten Standorte auf Rügen.
Weitere Standorte in der Prüfung
Vom ursprünglich geplanten Standort vor Sellin ist der Bund mittlerweile abgerückt. Andere Standorte, wie etwa der Hafen in Mukran, seien in der Prüfung, heißt es. In der Diskussion sollen auch Gebiete weiter draußen auf der Ostsee vor Rügen in Frage kommen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es vehementen Widerstand gegen ein LNG-Terminal vor Rügen. Erst am Montag war bekannt geworden, dass die Bundesregierung nicht verbaute Röhren der deutsch-russischen Erdgaspipeline Nord Stream 2 für das LNG-Terminal gekauft hat.