LNG-Terminals vor Rügen: Von der Planung zum Kanzlerbesuch

Stand: 19.04.2023 13:47 Uhr

Seit Monaten wird in Mecklenburg-Vorpommern gegen den Bau eines LNG-Terminals vor der Küste Rügens protestiert. Was seit der Ankündigung des Baus im Februar 2023 passierte:

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise soll mit Flüssigerdgas (LNG) die Energieversorgung in Deutschland weiter unabhängig gemacht werden. Im Norden entstehen dafür die ersten LNG-Terminals Deutschlands. Den Anfang machte das LNG-Terminal in Wilhelmshaven, das Mitte Dezember 2022 eröffnet wurde. Einen Monat später folgte ein Terminal in Lubmin, gefolgt von einem Terminal in Brunsbüttel. Mitte Februar 2023 stellte Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) dann die LNG-Pläne des Bundes für das Land vor: Ein Terminal mit zwei Plattformen, vier bis sechs Kilometer vor Rügens Südostküste gelegen, mit insgesamt vier Anlegestellen. Seither werden die Pläne hitzig diskutiert und inzwischen auch überarbeitet.

Demonstrationen, Menschenketten, Osterfeuer

Die von Meyer in Schwerin vorgestellten Pläne des Bundes waren auf heftigen Widerstand gestoßen, der sich schon Ende Februar zu mehreren Demonstrationen formierte. So versammelten sich etwa 2.500 Menschen zu Protesten gegen das Terminal in Baabe auf Rügen. Anfang März demonstrierten tausende Kritiker der Pläne auf einem Festival in Binz, organisiert von Kommunen und Gemeinden der Insel, dem Tourismusverband Rügen, dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu), Fridays for Future, Greenpeace, Sea Shepherd, Dehoga Mecklenburg-Vorpommern und weiteren Gruppen. Am Ostersonntag initiierte ein Bündnis aus 37 Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, Städten und Kommunen Proteste mit Menschenkette, Osterfeuern und Trommelumzug von Mukran bis Sellin.

Touristiker und Naturschützer kritisieren das Projekt

Die Pläne werden aus vielerlei Gründen kritisiert, hauptsächlich handelt es sich um Belange des Naturschutzes in der Ostsee und des Tourismus auf der Insel Rügen. So sorgen sich Kritiker zum Beispiel um den Hering, denn die Industrieanlage vor Sellin läge in einem Bereich, durch den die Heringsschwärme zum Laichen in den Greifswalder Bodden zögen. Die Gemeinden auf Rügen haben unter anderem die potenzielle Gefahrenabwehr im Auge. Bei Havarien vor Rügens Küste, wie etwa bei Öl- oder Chemikalienunfällen, Bränden oder Blackouts auf den Schiffen oder der Plattform, blieben ihnen bei Ostwind nur wenige Minuten Reaktionszeit. Vertreter des Tourismus fürchten Einbußen der Branche, etwa durch eine Veränderung des Landschaftsbildes. Laut Deutscher Umwelthilfe (DUH) wäre der Bau der Pipeline vor Rügen eine gewaltige Bedrohung für den Tourismus und außerdem für den Greifswalder Bodden, die Ostsee und die umliegenden Schutzgebiete.

Petition schafft es in den Bundestag

Für das LNG-Projekt war die Aufnahme Rügens als Standort in das LNG-Beschleunigungsgesetz des Bundes geplant. Damit sollte das Bauprojekt als Vorhaben mit Priorität eingestuft und der Weg für ein schnelleres Genehmigungsverfahren geebnet werden. Anfang März hatten Kritiker der Anlage eine Bundestagspetition gegen die Aufnahme Rügens in das Gesetz gestartet. Die Petition konnte bis zum 4. April unterzeichnet werden. Mehr als die nötigen 50.000 Unterschriften für eine Bundestagspetition sind zusammengekommen, heißt es auf der Website des Bundestages. Der Ausschuss wird sich also in naher Zukunft mit den Plänen zum Terminal beschäftigen.

Pläne zurückgezogen - Prüfung von Alternativen

Nach der heftigen Kritik hat das Bundeswirtschaftsministerium im März die Planungen für eine Anlage vor Sellin zurückgezogen und prüft nun alternative Standorte, darunter auch Mukran. Schon im Februar hatte der Selliner Bürgermeister Reinhard Liedtke (Selliner Bürgerschaft) die Idee, das LNG-Terminal in den wenige Seemeilen entfernten Ortsteil von Sassnitz zu verlegen. Dort gibt es einen Tiefwasserhafen, ungenutzte Industrieflächen sowie Abstand zu Wohngebäuden und Hotels. Auch dieser Standort steht allerdings in der Kritik. Sowohl Vertreter der Grünen als auch der CDU im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns halten das Projekt für überdimensioniert.

Position der Landesregierung MV

Der Antrag der CDU, das laufende Genehmigungsverfahren für ein LNG-Terminal vor Rügen zu stoppen, fand im Landtag jedoch keine Mehrheit. Die rot-rote Koalition stimmte Ende März gemeinsam mit den Grünen und der FDP für einen Antrag, der sich für alternative Standorte zum inzwischen gestrichenen Projekt vor Sellin auf Rügen ausspricht. Mit Blick auf die zu gewährleistende Energiesicherheit in Deutschland wäre das falsch, sagte Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD). Doch zunächst müsse der Bund den Bedarf für ein zusätzliches Terminal nachweisen, so Meyer.

Scholz und Habeck zu Gesprächen auf Rügen

Die Proteste gegen ein LNG-Terminal und die Diskussion um dessen Standort dauern an. Erst Mitte April war bekannt geworden, dass die Bundesregierung nicht verbaute Röhren der deutsch-russischen Erdgaspipeline Nord Stream 2 für das LNG-Terminal gekauft hat. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) werden am Donnerstag in Binz auf der Insel Rügen erwartet. Sie wollen nach Angaben von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) mit Verbänden und den Inselbürgermeistern über die Pläne des Bundes für ein weiteres LNG-Terminal in Mecklenburg-Vorpommern sprechen.

Weitere Informationen
Umweltschützer demonstrieren vor dem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Rügen gegen die Pläne für den Bau eines LNG-Terminals vor der Insel. © NDR Foto: Anna-Lou Beckmann

Gegenwind in Binz: Scholz und Habeck zu Gesprächen auf Rügen

Die Spitzenpolitiker wurden mit lautstarken Protesten auf der Insel empfangen. Etwa 600 Menschen haben gegen die LNG-Pläne des Bundes demonstriert. mehr

Am 27.12.2022 liegt der LNG-Shuttle-Tanker "Coral Favia" liegt vor Sassnitz vor Anker. Im Hintergrund liegt der LNG-Tanker "Seapeak Hispania". © dpa Foto: Stefan Sauer

LNG-Terminal vor Rügen: Fakten zum Großprojekt

Die versprochene Kapazität ist nicht nachvollziehbar. Zudem gibt es Bedenken wegen Lärmbelästigung und Umweltverschmutzung. mehr

Die Offshore-Arbeitsplattform "JB119" und der LNG Tanker "Seapeak Hispania" liegt auf der Ostsee vor dem Ostseebad Sellin. © dpa Foto: Stefan Sauer

SPD-Bundesvorsitzende Esken: LNG vor Rügen notwendig

Im "Bericht aus Berlin" verteidigte Esken die Pläne für ein Flüssigerdgas-Terminal und fordert mehr Gespräche mit den Menschen vor Ort. mehr

Die Offshore-Arbeitsplattform "JB119" und der LNG Tanker "Seapeak Hispania" liegt auf der Ostsee vor dem Ostseebad Sellin. © dpa Foto: Stefan Sauer

Bundestagspetition gegen Rügener LNG-Terminal

Der Petitionsausschuss des Bundestages wird sich schon bald mit den Plänen für ein Flüssigerdgas-Terminal beschäftigen. mehr

Demonstranten haben sich am Strand von Binz versammelt © NDR Foto: Mathias Krüger

Weitere Proteste auf Rügen: Menschenkette gegen LNG-Terminal

Über das Osterwochenende haben sich Menschen auf Rügen erneut zu Protesten gegen das geplante LNG-Terminal zusammengefunden. mehr

Blick auf ein Gebäude im Hafen Mukran in der Gemeinde Sassnitz. © dpa Foto: Stefan Sauer

Bund prüft LNG-Terminal in Mukran: Kritik an Alternative

Statt auf der Ostsee vor Sellin könnte das Terminal nun im Hafen von Mukran entstehen. Mehrere Bürgermeister der Insel Rügen sind dagegen. mehr

Ein großes LNG-Spezialschiff wird von Schleppern zum Hafen von Mukran begleitet. © Deutsche ReGas / Christian Morgenstern

LNG: Wie viel Flüssigerdgas kommt derzeit in Deutschland an?

LNG-Terminals in Betrieb, Einspeisung, Anteil an Gas-Importen: Die wichtigsten Daten in der Live-Übersicht. mehr

Eisenbahnwaggons auf Deck des Fährschiffes Mukran im Fährhafen von Mukran bei Sassnitz auf der Insel Rügen, aufgenommen im Oktober 1986. Als für die DDR wichtige direkte Verbindung in die UdSSR wurde hier der Eisenbahn-Fährbetrieb zwischen Mukran (DDR) und Kleipeda (UdSSR) aufgenommen. © picture alliance / ZB / Zentralbild

Als Rügen mit Mukran einen neuen Fährhafen bekam

Am 2. Oktober 1986 nahm der Fährhafen Sassnitz-Mukran den Betrieb auf. Er sollte die DDR und die Sowjetunion enger verbinden. mehr

"LNG Powered" steht auf dem Rumpf eines beladenen Containerschiffs © picture alliance Foto: Christian Charisius

LNG: Fakten zu Flüssigerdgas und Projekten in Norddeutschland

LNG soll Deutschlands Energieversorgung sichern. Im Norden entstanden dafür mehrere Terminals, weitere sind geplant. Welche Vor- und Nachteile gibt es? mehr

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 18.04.2023 | 16:10 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

LNG (Liquefied Natural Gas)

Energiewende

Gas

Energie

Mehr Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern

Grabsteine von Kriegsgräbern auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf © imago images/Hauke Hass

Volkstrauertag: Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt

Seit 1922 erinnert der "stille Feiertag" an die Opfer von Gewalt. Auch hierzulande finden in Schwerin, Greifswald oder Güstrow Veranstaltungen dazu statt. mehr

Die Applikation App WhatsApp ist auf dem Display eines Smartphones zu sehen. © picture alliance/dpa Foto: Silas Stein

Im Handy abonnieren: Die NDR MV Nachrichten bei Whatsapp

Im NDR MV Whatsapp-Kanal gibts die wichtigsten Themen für Mecklenburg-Vorpommern kompakt und schnell zusammengefasst. extern